Werwölfe – von den Tiermenschen und einigen anderen mythischen Gestalten
Zum Genrekino: Geschichte, Wirkung, Faszination III
Wozu eigentlich vom Genre sprechen? Warum einzelne Werke einordnen und kategorisieren und katalogisieren und vergleichen und in Schemata, Normen, Konventionen und Regeln einwickeln und verstricken? Berechtigte Fragen und sicher sollte man auch, wenn man dem Genrebegriff a priori nicht abschwören möchte, immer daran denken, daß er ein Raster bietet, um über Filme zu sprechen, auch vergleichend zu sprechen, doch daß dahinter nie das einzelne Werk verschwinden darf. Allerdings sprengen die vielen, vielen guten Filme, die alle Genres hervorgebracht haben, eigentlich immer auch die Grenzen der jeweiligen Gattung. Vielleicht ist das das innere Wesen des Genres: Daß es immerzu in Frage gestellt werden kann, seine Regeln immerzu Belastungsproben unterzogen werden dürfen und seine Setzungen und Normen immerzu gebrochen werden müssen, damit es sich entwickeln kann.
Vom Genre zu sprechen, bedeutet also vor allem, dauernd zu erklären, warum man die Grenzen, Regeln und Konventionen nun gerade wieder zu beugen bereit ist, weil dieser oder jener Film eigentlich auch noch zu bedenken sei. Genreregeln festzulegen bedeutet nichts anderes, als vergleichsweise willkürliche Tabuzonen einzurichten, damit sie gebrochen werden können. Kein Genre, daß sich je gleich geblieben wäre, das jemals mit sich selbst zur Deckung gekommen wäre. Ein jedes bildet Subgenres aus, Verästelungen und Mutationen, manchmal ragen einzelne Werke des einen Genres weit in andere Bereiche hinein. Ob Western, ‚Screwball Comedy‘, Kriegsfilm oder der ‚Film Noir‘, ob die Science Fiction, das Musical oder der Horrorfilm – sie alle (und alle ungenannten) bildeten ihre Unterarten aus. Und die feinsten Verästelungen, Ziselierungen und Verformungen sind ganz sicher im Genre des Horrorfilms festzustellen. Der moderne Horrorfilm hat echte Nebenlinien ausgebildet – den reinen Splatterfilm (EVIL DEAD/1981), das Terrorkino (MARTYRS/2008), das kaum mehr Wert auf Spannung oder echten Grusel legt, sondern ernsthaft nur noch einen Angriff auf die Psyche und den Magen des Zuschauers darstellt. Doch auch in den engeren Rahmungen und Linien des Genres gibt es etliche Verzweigungen und Abweichungen. Sei es die Linie der modernen Slasher-Movies, die meist von den Freuden der ersten Intimerfahrungen und davon berichten, wie diese umgehend metaphysische Bestrafung durch einen meist maskierten Unhold erfahren (HALLOWEEN/1978; FRIDAY THE 13TH/1980); sei es das Backwood-Movie, das, dem Slasher-Film verwandt, zu jenen Hinterwäldlern führt, die man immer schon im Verdacht hatte, Übles im Schilde zu führen (THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE/1974; WRONG TURN/2003); seien es die diversen Tier-Horror-Produktionen, die immer wie eine letzte Warnung vor Armageddon wirken (JAWS/1975; LAKE PLACID/1999) oder seien es eben die klassischen Mythenwesen, die seit jeher Märchen und ihre späten Nachfolger, die Gruselmär und den Horrorfilm bevölkern. Darunter auch der Werwolf.
Werwölfe bieten im Vergleich zu Vampiren, Geistern, Hexen, Zombies oder auch dem „modernen Prometheus“ Frankenstein und seinem Monster, aber auch gegenüber dem artverwandten Fluch des Dr. Jekyll und seines Alter Ego Mr. Hyde, wenig Projektionsfläche für menschliche und männliche Ängste und Traumata. Zu eindeutig negativ die Zuordnung, die der Wolf in der Gesellschaft generell erfährt. In der Mythologie steht die Verwandlung in den ‚Mannwolf‘ (‚wer‘ entspricht im Germanischen der Bedeutung des Wortes ‚Mann‘) in den allermeisten Fällen für einen Pakt mit dem Bösen, mit dem Teufel persönlich, und erst an zweiter Stelle, erst in der modernen Deutung und Interpretation, gehört auch das Animalische als in der zivilisierten Gesellschaft domestizierter und unterdrückter Trieb zum Metaphernfundus des Werwolfs. Natürlich schwingt dieser Subtext immer schon mit, wird aber erst vergleichsweise spät explizit behandelt. So oder so bleibt das Wolfswesen in seinem akuten Zustand bedrohlich. Wir empfinden Mitleid mit dem, der den Fluch zu tragen hat, denn meist sind es Unschuldige, die betroffen sind und die die fürchterlichen Verwandlungen durchleben und deren Folgen tragen müssen. Doch wenn der Wolf (aus dem Manne) hervorbricht, wird es fürchterlich. Es wird brutal, gnadenlos und tödlich. Daran ist nichts zu interpretieren. Anders als die Bestie im Märchen von der Schönen und dem Biest, kann der Werwolf seiner Gier, seinem Blutdurst und der Mordlust nicht widerstehen. Es ist seine Natur (die Natur des Menschen?; die Natur des Mannes?), die sich hier ungebrochen Ausdruck verschafft. Und die Gewalt scheint in dieser Natur wie selbstverständlich angelegt.
In der Literatur hat das Werwolf-Motiv also eine lange Tradition, in moderneren, populäreren Medien kam es vergleichsweise spät und vor allem weitaus seltener als andere Mythenwesen zum Einsatz. Wohl schon der Stummfilm erwies dem Werwolf gelegentlich seine Ehre, der erste Tonfilm, der das Motiv schließlich nutzte, war eine Produktion der Universal-Studios aus dem Jahr 1935 mit dem Titel WEREWOLF OF LONDON. Obwohl durchaus auch andere Studios den ein oder anderen Beitrag leisteten, wurde die Werwolf-Figur doch erst durch Lon Chaneys Darstellung in THE WOLF MAN (1941), ebenfalls ein Universal-Produkt, wirklich populär. Damit fügte das Studio dem Portfolio seiner „Monstergalerie“ eine weitere Ikone hinzu, allerdings keine, die je den Status von Bela Lugosis DRACULA (1931) oder Boris Karloffs Monster in FRANKENSTEIN (1931) erreichen konnte. Chaneys Werwolf, so eindrucksvoll die Maske auch seinerzeit gewesen sein mag, kann in seiner Ikonographie nicht überzeugen, wie es Vampir und Monster vermochten. Zu deutlich als Maske erkennbar, kann Chaney nie als Monster Furcht erregen, weshalb Buch und Regie darauf verzichten, das Wolfswesen allzu oft in Szene zu setzen. In der Idee, verflucht zu sein und zugleich keinen Glauben geschenkt zu bekommen, in der Vorstellung, als Ungeheuer die zu bedrohen, die man liebt, in der Diskrepanz zwischen Aberglaube und rationaler Erklärung liegen Schrecken und Spannung des Films, nicht so sehr in der reellen Bedrohung, die entsteht, wenn der Wolfsmann sich zeigt. Es waren dem Werwolf in der Galerie der Universal Studios auch nur wenige weitere, ernsthafte Auftritte vergönnt. Und meist waren es Ensemblefilme wie in FRANKENSTEIN MEETS THE WOLF MAN (1943), da der Werwolf als einzelne Figur offenbar kaum Anziehungskraft besaß.
Ähnlich wie seine berühmteren Artverwandten tingelte auch Chaney in seiner Paraderolle durch etliche Nachfolgefilme, inklusive weiterer Packet-Filme mit Karloff oder Karloff und Lugosi, je nach dem ob sich Monster, Vampir oder der Wolfsmensch über den Weg laufen sollten. Alle mussten als Tiefpunkte ihrer Karrieren Auftritte in Klamaukfilmen hinnehmen, Karloff entging der Schmach, indem er seine Monsterrolle für ABBOTT AND CASTELLO MEET FRANKENSTEIN (1948) nach HOUSE OF FRANKENSTEIN (1944) erneut an Glenn Strange abtrat und selbst nur andere Rollen in diesen Werken übernahm. Es war der Ausverkauf dessen, was in den 1920er und den frühen 30er Jahren einen Hollywood-Mythos begründet hatte: Den Kosmos des Universal-Horrors. Es sollte fast eine Dekade dauern, bis das Studio – dann bereits als ‚Universal International‘ – mit Jack Arnolds Crossover-Filmen aus Science-Fiction und Horror wie CREATURE FROM THE BLACK LAGOON (1954) oder TARANTULA (1955) an die alten Erfolge anknüpfen konnte. Doch es waren andere Monster, die Arnold präsentierte, und es waren andere Zeiten, andere Ängste, die sich da Bahn brachen. Anders als in den Vorkriegsjahren, reagierten diese Filme viel direkter auf die Schrecken ihrer Zeit. Die mythischen Halbwesen, die Untoten und Verfluchten blühten erst jenseits des Atlantiks noch einmal auf. Im Mutterland des klassischen Grusels, des ‚Gothic Horror‘, in England, griff man die ursprünglichen Mythen noch einmal auf und verarbeitete sie nahezu naiv in ungebrochenen, märchenhaften Erzählungen, die den Schrecken und was ihn auslöst sehr ernst nahmen.
Sieht man einmal von dem Erfolg ab , den Gene Fowler jr. mit I WAS A TEENAGE WEREWOLF (1957) hatte und der wahrscheinlich den besonderen Umständen der 1950er Jahre und den ersten Teenagerfilmen überhaupt geschuldet war, ist die britische Hammer-Produktion THE CURSE OF THE WEREWOLF (1961) nicht nur ein populärer Film, der dem Subgenre des Werwolf-Films einen echten Höhepunkt bescherte, sondern bis heute auch ein wirklich überzeugender Horrorfilm. Die Hammer Studios hatten sich seit den 1950er Jahren darauf verlegt, die klassischen Mythenstoffe der Universal in Farbe und erweitert um allerhand Details blutiger wie sexueller Natur neu aufzulegen. Oft wirken die Filme wie Trivial- oder burleske Versionen der früheren Filme. Verfügte Bela Lugosi nicht einmal über spitze Zähne, floss, wenn Christopher Lee in DRACULA (1958) zubiss, das Blut literweise und sehr, sehr rot über die Leinwand.
Terence Fisher, Hammers Hausregisseur für all die neu aufzubereitenden Klassiker, nahm für seine Version des Werwolf-Mythos eine ganz andere Perspektive ein, als dies das Original von 1941 getan hatte. Vollkommen unironisch und ungebrochen, erzählt Fisher die Legende als Albtraum in Technicolor. Er nimmt die Story ernst – so ernst, wie der Märchenerzähler sein Märchen nehmen muß, damit es überzeugend wirken kann. So erzeugt THE CURSE OF THE WEREWOLF rasch die nötige Fallhöhe, um das Schicksal des Leon Corledo angemessen tragisch erscheinen zu lassen. Mit Oliver Reed verfügte Fisher über einen angehenden Weltstar des britischen Kinos, der sich mit all der Wucht in die Rolle warf, die diesem massigen Mann zur Verfügung stand. In vielerlei Hinsicht kann man THE CURSE OF THE WEREWOLF attestieren, der gültige, ja, der definitive Werwolf-Film zu sein. Wie aus einem Guss gelingt es hier, angemessen vom Mythos zu erzählen, filmische Mittel akkurat zu nutzen und eine ebenso unheimliche wie tragische Atmosphäre zu kreieren. Der Film beharrt auf dem Fluch, den der Titel behauptet, sein Protagonist ist schon verflucht per Geburt, nicht per Zufall, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort ist. In dieser fast reaktionären Sichtweise, die Hammer sich häufig und gern und fast zynisch zueigen machte, kommt die Legende vom Wolfswesen aber gleichsam zu sich. Direkt, ohne Umwege oder Ausschweifungen, wird von dem Fluch, der auf Leon lastet und davon erzählt, was es mit dem Jungen, später dem jungen Mann macht, verflucht zu sein. Wo der ältere Film sich fast verquast einen psychoanalytischen Anstrich gab, wenn die Honoratioren des Dorfes bei Chaney lieber Schizophrenie diagnostizieren, als seiner Geschichte Glauben zu schenken, wird in Fishers Film einfach gezeigt, wie einsam und verstörend es ist, dem Joch des Fluchs zu unterliegen. Auch Fisher geht sein Sujet mit dem herkömmlichen Blickwinkel an, der Film mag zwar einen gewissen sexuellen Subtext zumindest andeuten, die Narration bleibt jedoch der tragischen Seite der Geschichte verhaftet.
Obwohl Hammer ihm keine weitere Aufmerksamkeit schenkte, verschwand das Motiv des Wolfsmenschen nicht gänzlich von der Leinwand. In B- und C-Movies aus aller Herren Länder lebte es fort; in Spanien wurde beispielsweise die Serie um den Grafen Waldemar Daninsky, der sich eines Daseins als Werwolf erfreut, zu einem Dauerbrenner, dessen Spuren bis in die 2000er Jahre aufzuspüren sind. Doch es sollten wieder exakt zwei Dekaden vergehen, bevor das Jahr 1981 gleich drei Filme hervorbrachte, die für den Horrorfilm generell wegweisend werden sollten, die aber auch alle drei das Wolf-Motiv nutzten. Zwei der Filme setzten klar auf den Werwolf, bedienten sich des Genres aber vollkommen unterschiedlich und befruchteten es doch auf ihre jeweils ganz eigene Art und Weise, der dritte Film ging ernsthafter mit dem um, was der „Wolf“ aus unterschiedlichen Perspektiven, in unterschiedlichen Kulturen repräsentiert und symbolisiert.
John Landis feierte mit AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON (1981) einen großen Erfolg an den Kinokassen, obwohl er seinem Publikum zwar einen im Grunde konventionell erzählten, jedoch momentweise extrem harten und explizit schockierenden Werwolf-Film bot. In Erinnerung blieb neben den extrem realistisch geschminkten Untoten, die die Hauptfigur bedrängen, vor allem die Verwandlungsszene, für die Hauptdarsteller David Naughton eine wahre Masken-und-Make-Up-Tortur über sich ergehen lassen musste. Doch das Ergebnis ist nach wie vor atemberaubend. Da der Film sehr vieles richtig macht und mit seiner Mischung aus popkultureller Referenz, comicartiger Action und einem oft tiefschwarzen Humor auch ein Publikum zu fesseln versteht, das ansonsten vermutlich keine Horrorfilme goutiert, ging ein anderer Film, der sich ebenfalls des Werwolf-Motivs bediente, etwas unter. Dabei ist die Verwandlungsszene dort nicht nur technisch ebenso beeindruckend, sondern sie erweitert auch den Interpretationsspielraum, das Spektrum der Metapher, indem sie auch als sexuelles Zeichen genutzt wird.
Stärker als zuvor spielt die triebhaft-sexuelle Ebene, die im Werwolf-Motiv schlummert, eine Rolle in THE HOWLING !1981) von Joe Dante, der bereits mit PIRANHA (1978) Sinn für Tier-Horror bewiesen hatte. Das Anziehende im Animalischen kommt hier zu seinem Recht, die den Mond anheulenden Werwölfe sind zwar nicht anmutig, nicht schön, aber erhaben. In AN AMERICAN WEREWOLF IN LONDON steht das Tierwesen ganz in der Tradition des klassischen Horrorfilms: Es ist böse und der Protagonist David weiß darum, daß er gefährlich ist. Er empfindet sich als „infiziert“, der „Fluch“ ist kein Teil von ihm. So kann dem Wesen auch keine Anziehung, keine erotische Kraft innewohnen. Es ist und bleibt die maximale Bedrohung. THE HOWLING, in weit höherem Maße als Landis´ Film ein Werk der Postmoderne in seiner Ambiguität, auch der Ambivalenz, mit der er sowohl die Geschehnisse als auch die Protagonisten behandelt, weiß das Untier ganz anders einzustezen und vielschichtiger zu deuten. Obwohl auch AMERICAN WEREWOLF (dt. Titel) deutliche Zeichen seiner Zeit aufweist und vor allem in seiner Komik und Schwarzhumorigkeit durchaus als „postmodern“ gelten kann, bedient er nicht die vielen, sich durchkreuzenden, auch widersprüchlichen Ebenen, die THE HOWLING aufweist.
Dante thematisiert die Wirkmacht der Medien, die Spektakellust, aber er referiert auch auf und er reflektiert die Medien – seine wölfischen Protagonisten tragen die Namen von Regisseuren, die kaum je über das Niveau der B-Movies hinauskamen, zumeist aber ihre Signatur im Subgenre „Werwolf“ hinterlassen haben – , THE HOWLING tritt sogar in direkte Korrespondenz zu Vorgängern und verwandten Horrorfilmen: Wenn Chris im Bett liegt, läuft ein Ausschnitt aus THE WOLF MAN im TV, in welchem Claude Rains das Phänomen der Lykanthropie erklärt, jene Wahnvorstellung, die Menschen glauben lässt, sie verwandelten sich in Wölfe; die Wolfskolonie selbst ist die logische Folge dessen, was am Ende von Roman Polanskis THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (1967) angedeutet wird: Wir werden die Anwesenheit des andern, des vielleicht radikal bösen andern, wohl oder übel hinnehmen müssen. Es gibt keine Eindeutigkeit mehr, „richtig“ und „falsch“, „gut“ und „böse“ sind längst ineinander aufgegangen und haben sich damit aufgehoben. Der Schrecken geht weniger von der Kreatur selbst aus, mag sie uns auch noch so „widernatürlich“ anmuten, der eigentliche Schrecken geht von unserem Umgang mit der Anwesenheit der Kreatur in einer profan gewordenen Welt aus. Die Wölfe in Dantes Film sind smart, wenn sie nicht gerade ihren natürlichen Bedürfnissen erliegen. Sie müssen jedoch die Bedingungen ihres Daseins neu definieren, da Eddies Verhalten in Frage stellt, weshalb die Wölfe sich ihrer Kräfte nicht – wie früher auch – bedienen sollten. Dr. Waggner – dessen Name direkt auf den Regisseur von THE WOLF MAN (1941) verweist – sucht nach effektiven Lösungen, die es erlauben, daß er und seine Artgenossen ein „geregeltes“ Leben leben können, ohne allzu sehr aufzufallen. Die neue Situation, in die die Kolonie zu geraten droht, verlangt andere Antworten. Dr. Waggner wird sich mit seinen zivilisierten, psychoanalytisch und -therapeutisch geprägten Ansätzen kein Gehör mehr verschaffen. Zu Gehör kommt das Geheul der Wölfe.
Vielleicht war Dantes Film zu verstörend, ganz sicher ist seine Version des Stoffes düsterer als Landis´ später gestarteter Sommerhit, und er erfüllt bei allem grimmigen Humor, den auch der spätere Regisseur der GREMLINS (1984) zu bieten hat, eindeutig die Bedingungen eines harten, zeitgenössischen Horrorfilms. Wenn Landis durch Humor den Schrecken abzumildern sucht, die Realistik der Darstellung durch die Absurdität der Szenen, in denen sie zur Anwendung kommt, entfremdet oder gar konterkariert, sind die Schocks bei Dante durchaus als Angriffe auf den Zuschauer gedacht. Leichte Kost ist THE HOWLING trotz seines wie bei Landis manchmal bewusst unseriös wirkenden Looks, trotz seiner Nähe zum Comic, nicht. Er nimmt sein Thema ernst, denkt es aber radikal anders und mischt ihm so einen Anteil paranoider Angst bei, die zwar nicht spezifisch auf das Werwolf-Motiv anzuwenden ist, doch dort ausgesprochen gut funktioniert. Über Herkunft, Geschichte und Mythologie des Werwolfs denkt THE HOWLING nicht mehr allzu viel nach. Er denkt bereits über fragmentierende Gesellschaften nach, in denen Vereinzelung, Entfremdung und auch Dekadenz unempfindlich werden lassen gegen das Ungewöhnliche, auch das Leidvolle; er denkt diese Entwicklungen im Spiegel der Massenmedien. Er lebt geradezu von der Konfrontation des mythischen Aberglaubens mit einer profanierten Welt und ihren Ersatzreligionen wie bspw. die diversen Sekten und Therapien des kalifornischen ‚New Age‘ hervorbringen.
In der Gemeinde der Aficionados ein Kultfilm, gilt THE HOWLING als Klassiker des Werwolf-Films, immer ein wenig im Schatten seines „großen Bruders“, dem AMERICAN WEREWOLF IN LONDON. Ganz anders – mystischer, esoterischer und sehr viel ernsthafter – ging Michael Wadleigh, der durch den WOODSTOCK-Film (1970) in die Filmgeschichte einging, mit dem Mythos um. WOLFEN (1981) nutzt die Regeln und Konventionen des Horrorfilms – Subgenre: Tier-Horror – um mit damals vergleichsweise moderner Technik, in düster-realistischen Bildern des verrottenden New York, stilistisch dem ‚New Hollywood‘ verpflichtet und doch Genrewerk durch und durch, eine Message zu vermitteln. Das macht er momentweise aufdringlich, dennoch gelingt es Buch und Regie, die Geschichte von den Wölfen, die um ihr Revier kämpfen, so spannend zu erzählen, daß man die allzu offensichtlichen didaktischen Momente in Kauf zu nehmen bereit ist.
Im Laufe eines zunächst als Kriminalhandlung startenden Plots erhält der ermittelnde Polizist Hinweise, daß er es mit indianischen Ritualen zu tun haben könnte, die auch Gestaltwandlung mit einbeziehen. Der Film macht Andeutungen, daß übernatürliche Elemente im Spiel sind, doch versteht er es sehr geschickt, sich nicht festzulegen, niemals eindeutig zu werden. Detective Wilson ist schließlich bereit zu akzeptieren, daß nicht alles er-klärbar ist und der Mensch sich besinnen sollte, daß die Natur – hier in Form eines Wolfrudels, das Mutationen der Wahrnehmungsorgane aufzuweisen scheint – zumindest momentweise noch stark genug ist, ihn in die Schranken zu weisen. Es ist eine ökologische Botschaft, die sich ähnlich wie die des sieben Jahre älteren Films PHASE IV (1974) von Saul Bass aus einem ernsthaften Nachdenken über unseren Umgang mit der Natur, der Umwelt, den Ressourcen speist. WOLFEN nutzt den Wolf-Mythos von jeglicher Konnotation des „Bösen“ oder gar eines „Fluchs“ befreit. Vielmehr fügt Wadleigh dem Mythos eine weitere Ebene hinzu, eine ethno-anthropologische, wenn man so will. Hier steht der Wolf in der Tradition indianischer Tiermetaphern – er symbolisiert etwas Wildes, auch Gewaltiges und Gewalttätiges, doch ebenso symbolisiert er Kraft, Vitalität, den Einzelgänger, der sich nicht besiegen lässt – und ganz grundlegend symbolisiert er den Kampf. Aber zugleich steht er auch für eine natürliche Ordnung, denn der Wolf ordnet sich ein, er ordnet sich unter, er ist trotz seines Images als Einzelgänger ein soziales Wesen. WOLFEN – und mit ihm Wadleigh – nimmt letztlich eine klare Position zu den Vorkommnissen ein, die er schildert. Er tritt ein für eine radikale ökologische Haltung, für eine Ordnung, in der wir ein Bewußtsein für Lebensräume anderer, uns fremder Wesen entwickeln und diese Räume respektieren. Dazu nutzt WOLFEN den Wolf, es hätten aber ebenso gut Ratten, Möwen oder Füchse sein können, da auch sie alle sich an den Menschen und seine Neuordnung der natürlichen Ordnung anpassen können.
Der Wolf allerdings hat eine lange mythologische, kulturelle und soziale Verbundenheit mit dem Menschen, der ihn fürchtet, ihm aber auch gewaltige Kräfte zuschreibt, der ihn bewundert und mythisiert. So gesehen konfrontiert Wadleigh sein Publikum direkt mit einer ihrer kollektiven Ängste und zwingt es, über genau diese Verbindung nachzudenken. Der Film zeigt wie nebenbei Möglichkeiten, den Wolf anders, in anderen Zusammenhängen und anderen, fremden Bezügen zu präsentieren. Ohne daß man WOLFEN nun wirklich in den engeren Rahmen eines „echten“ Werwolf-Films setzen könnte, entspricht er als Metafilm ganz der beginnenden postmodernen Epoche im Mainstreamkino. Indem er auf den Werwolf-Mythos rekurriert und den Hauptprotagonisten zumindest zweifeln lässt, ob nicht doch etwas dran sein könnte, fügt WOLFEN dem Subgenre doch etwas vollkommen Eigenes und ausgesprochen Wesentliches hinzu. Und in einem wesentlichen Punkt hat er mehr mit THE HOWLING gemein, als dieser mit AMERICAN WEREWOLF – sowohl Wadleigsh als auch Dantes Film deuten die Möglichkeit an, daß der Mensch sich womöglich mit dem Fremden wird arrangieren müssen. Wo diese Erkenntnis in THE HOWLING für einen sublimen Schrecken sorgt, ist die dahinter stehende Logik in WOLFEN hingegen eine sehr ernsthafte These. In gewissem Sinne wirklich ein radial-ökologische These.
Die eher allegorische Nutzung des Motivs setzt sich in jenem Film fort, der kaum mehr als Horrorfilm zu bezeichnen ist, will man ihm unbedingt ein Genrelabel anheften, wäre er wahrscheinlich eher im Bereich der Fantasy einzuordnen: Neil Jordans THE COMPANY OF WOLVES (1984) vermischt in einer komplizierten und vielschichtigen Mixtur Märchenerzählung (Rotkäppchen), film- und narrationstheoretische Fragen der (auch geschlechtlichen) Erzählperspektive, sowie literaturwissenschaftlicher Abhandlung über die psychoanalytischen Untiefen der traditionellen Sagenwelt und was sie uns über uns selbst, unsere Abgründe, unsere verdrängten Wünsche, Sehnsüchte und (Alb)Träume zu berichten wissen. Auch hier wird der Zuschauer mit einer atemberaubenden Verwandlungsszene konfrontiert, die – allerdings deutlich als Traum- oder Phantasiesequenz markiert – wortwörtlich zeigt, wie das Tier im Manne hervorbricht, sich Bahn bricht, und nichts übrig lässt von dem, was eben noch den Kavalier ausmachte. Jordans Film, basierend auf zwei Kurzgeschichten der Feministin Angela Carter, die sich seit jeher mit Fragen weiblicher Sexualität auseinander gesetzt hat, lässt keinen Zweifel an seinem allegorischen Gehalt aufkommen. Die Kulissen oft bewusst artifiziell, mutet hier alles von allem Anfang wie die Vorstellungswelt eines überhitzten Teenagerhirns an. Der Werwolf ist in diesem Kontext nie etwas anderes als Metapher für die Gefahr, die der Mann für die Frau darstellt, gerade die noch unsichere, heranwachsende Frau. Die Metapher kann in der Phantasie natürlich reales Bild werden. Als reales Bild wird es bedrohlich. Diesen Sprung zwischen Sprach-„Bild“ und einem visuellen Bild, und sei es nur ein imaginiertes, nutzt Jordan reichlich. Der Werwolf ist damit allerdings „eingefangen“, in gewisser Weise domestiziert, denn nun erfüllt er die Funktion des Symbols, er steht nicht mehr, wie noch in THE CURSE OF THE WEREWOLF so eindeutig, für sich selbst. Ein Film wie THE COMPANY OF WOLVES sperrt ihn in das abstrakte Gefängnis des Allegorischen, des Sprachlichen. Genau das, was der Film behauptet, geht ihm dadurch jedoch verloren – das Animalische, Unberechenbare, Wilde. Jordan verfällt bei aller Bildmächtigkeit gelegentlich in den Rhythmus eines Proseminars.
Die 1980er Jahre brachten wenig Innovatives im Bereich des klassischen Horrorfilms. Seine wahren Entwicklungen spielten sich auf abseitigeren Wegen ab, im italienischen Exploitationkino etwa oder den jenseits Hollywoods entstehenden Independent-Schockern eines David Cronenberg (VIDEODROME/1983; THE FLY/1986) oder, auf ganz anderer Ebene, eines Stuart Gordon (RE-ANIMATOR/1985). Der Werwolf fristete in diesen Jahren ein eher betuliches Dasein, ein Echo auf sein früheres Wirken könnte man noch in Paul Schraders weithin unterschätzter Neuverfilmung von Jacques Tourneurs THE CAT PEOPLE (1942/1982) vernehmen, ansonsten bliebe nur das Michael-J.-Fox-Vehikel TEENWOLF (1985) zu erwähnen, in welchem der Star des Blockbuster-Hits BACK TO THE FUTURE (1985) sein Image als Teen-Idol auszubauen suchte.
Es blieb dem Meisterregisseur Mike Nichols vorbehalten, dem Subgenre den bisher letzten wirklich wesentlichen Beitrag hinzugefügt zu haben. Mit Jack Nicholson in der Titelrolle, nutzte der Regisseur solcher Klassiker des Gesellschaftsdramas wie WHO´S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF? (1966) oder THE GRADUATE (1967) den Wolf nun ebenfalls als Metapher, um so einen bösen, manchmal zynischen Spaß mit den Krisen und Neurosen des durchschnittlichen männlichen Großstädters zu treiben. Nicholson spielt den Lektoren Will Randall als milde resignierten Mittfünfziger, der selbst die Midlife-Crisis verpasst zu haben scheint. Erst der Wolfsbiss und die sich daraus ergebenden Veränderungen, die mit ihm vorgehen, geben dem Mann Würde und Stolz zurück. Nichols, definitiv kein ausgewiesener Genre-Regisseur, erst recht nicht im grusligen Fach, weiß allerdings recht wenig mit den Möglichkeiten, die in dem Konstrukt stecken, anzufangen. In einem viel zu langen Film, der sich nie entscheiden kann, was er nun eigentlich genau sein will, verlässt der Regisseur sich schließlich zu sehr auf ihm offensichtlich fremde Genre-Konventionen.
Es erstaunt, daß die sexuelle, triebhafte, animalische Konnotation des Motivs nicht viel häufiger und in genau dieser Art und Weise genutzt wurde, wie Jordans oder Nichols` Filme es andeuteten und – in Nichols´ Fall – doch nicht einlöst. Will man dem Werwolf-Mythos irgendetwas Ambigues einlesen, wäre dieser Bereich sicher noch der subtilste. Doch blieb der Werwolf eine singuläre Erscheinung oder wurde zu einem Sidekick oder Teilmotiv in Serien wie der TWILIGHT-Saga, die ab 2008 den Vampir-Mythos erneuerte und zu einem Teenager-Drama umdeutete. Hier treten auch Werwölfe in Erscheinung, doch bleibt der Fokus auf den Blutsaugern, der Werwolf und seine Legende wirken wie ein Supplement der „stärkeren“ Vampir-Mythen.
Seit den 2000er Jahren tritt der Werwolf wieder in vielerlei Formen auf. Doch dem Sujet neues hinzuzufügen wussten die meisten Filme, die sich des Motivs bedienten, nicht. Einige nahmen die Sache ernst und suchten nach neuen, zeitgenössischen Wegen: WER (2013) bietet genetische Erklärungen und zeigt das Wolfswesen als Kreatur – in die Welt geworfen, triebhaft, unschuldig und gehetzt. Doch vor allem machte es hier wie in anderen modernen Werken moderne CGI-Technik möglich, den Wolf vergleichsweise billig und dennoch beeindruckend in Szene zu setzen. Jene an die Team-Up-Filme der 1940er und 50er Jahre anschließenden Actionblockbuster wie VAN HELSING (2004) oder auch die HARRY-POTTER-Filme, die in einigen Folgen das Werwolf-Motiv aufgreifen, nutzten die Technik ausgiebig. Doch hier verflacht der Wolfsmann dann endgültig zu einer Superheldenfigur. Vielleicht ist das schon moderne Mythologie, aber für das Genre ist die Frage letztlich unwesentlich.
2010 wagte sich Joe Johnston an eine Neuverfilmung des klassischen Stoffes aus THE WOLF MAN. Allerdings ist WOLFMAN (2010) letztlich mehr Neuinterpretation denn Remake. Nicht nur verlegt er die Handlung zeitlich um ca. Hundert Jahre zurück, er fügt der Geschichte auch neue Elemente hinzu. Und er macht massiven Gebrauch der CGI-Technik, was allerdings für wirklich stimmungsvolle, atmosphärische Bilder und eindringliche Sequenzen mit den Wolfsmenschen bürgt. Johnston erweist der Geschichte und ihren Möglichkeiten seinen vollen Respekt, indem er gerade den Details, den Kulissen, den Hintergründen, den Feinheiten, die auf den ersten Blick nicht einmal auffallen mögen, äußerst viel Sorgfalt angedeihen lässt. Inhaltlich weiß er mit Anthony Hopkins´ Darstellung des Sir John Talbot jene Frage nach der Überlegenheit der „Wolfrasse“ aufzugreifen, die in THE HOWLING bereits anklang. Doch gibt sich der Film irgendwann seinen Effekten hin, erliegt seinen eigenen Schauwerten und setzt auf Action und ein hohes Maß an Schock, Blut und Gewalt. Nichts Neues also. Der inoffizielle Nachfolger WEREWOLF: THE BEAST AMONG US (2012) wagt sich an eine Neudeutung, indem er ein Wolfswesen vorführt, das, wie jenes in THE CURSE OF THE WEREWOLF, per GEburt den Fluch trägt und damit stärker als seine Artverwandten ist – und immer stärker wird. Allerdings verschafft dies dem Wolfsmenschen die Möglichkeit, ansatzweise zu denken, womit er nicht nur seine Verwandlung steuern kann, sondern durchaus auch, wen er angreift und tötet. Dieses Wesen wird schließlich durch die Liebe erlöst, ohne daß es sterben muß. Immerhin ein Versuch, dem Wolfswesen ein Leben zu ermöglichen. Ansonsten verharrt der Film im üblichen Genresumpf aus Blut, Hirn und Gedärm.
Man wird abwarten müssen, ob dem Werwolf-Mythos noch weitere Ebenen abzuringen sind. Es scheint allerdings so, als müssten sich die einstigen Stars des Horrorfilms, die mythischen Wesen, damit abfinden, in Zeiten der sich stetig verbessernden Tricktechnik weniger inhaltliche Komponenten hinzu zu gewinnen, sondern lediglich immer eindrucksvoller in Szene gesetzt zu werden. Vielleicht bieten der Vampir und der in den letzten 15 Jahren zu neuen Ehren gekommene Zombie zukünftig die besseren Projektionsflächen und passenderen Metaphern für die Ängste, denen wir uns zu stellen haben. Der Horrorfilm ist das filmische Ventil der dunkleren Kammern unserer Seele; das, was dort hervorquillt und uns bedrängt, ist nicht mehr mit Wolfswesen zu bannen, das liegt wohl tiefer. Wir werden vielleicht ganz neue Ungeheuer brauchen, Monster, die wir uns noch nicht einmal vorstellen können, neue Mythen und Mythologien, um den neuen Schrecken Herr zu werden.