X

Ein hervorragender Retro-Slasher

Ein halbprofessionelles Filmteam fährt von Austin aus ins texanische Hinterland, um dort auf einer Farm, wo der Produzent Wayne (Martin Henderson) ein abgelegenes Haus angemietet hat, einen Pornofilm zu drehen. Wir schreiben das Jahr 1979 und man spürt noch die letzten Nachwehen der sexuellen Befreiung und der libertären Sichtweisen auf die Gesellschaft, welche die späten 60er und die 70er Jahre geprägt hatten.

Neben Wayne, der – deutlich älter als seine BegleiterInnen – sich als Chef des Unternehmens versteht, sind es als Regisseur und Kameramann der Filmstudent RJ (Owen Campbell) sowie seine Freundin Lorraine (Jenna Ortega), die Stripperinnen Maxine (Mia Goth) und Bobby-Lynne (Brittany Snow) und der Ex-Soldat Jackson (Kid Cuti), ein Vietnam-Veteran, die das Team bilden.

Auf der Ranch angekommen, stellt sich bald heraus, daß der alte Farmer Howard (Stephen Ure) wenig übrig hat für das Jungvolk aus der Metropole. Doch Wayne versteht es, etwaige Problemchen durch Dollarscheine aus dem Weg zu räumen, zudem zollt Howard Jackson Respekt, da er selbst ebenfalls einmal bei den Marines war.

Schnell leben sich die jungen Leute ein, Maxine geht schwimmen und merkt nicht, daß in dem nahegelegenen See auch ein riesiger Alligator lebt. Sie ist aber auch zu unbekümmert, um sich ernsthafte Sorgen zu machen. Für sie ist die Produktion die große Chance, aus dem Trott des Strippens, der Gelegenheitsprostitution, den Drogen und billigen Absteigen auszubrechen und endlich dorthin zu kommen, wo sie nach eigener Ansicht hingehört: Hollywood. Oder zumindest in eine der besseren Pornoproduktionen der Westküste.

Während sie noch die Nachmittagssonne genießt, drehen Bobby-Lynne und Jackson die ersten Szenen, die RJ begeistert filmt, Wayne geradezu bejubelt und die Lorraine verstören. Die hatte ihren Freund immer für einen Künstler gehalten, nicht als Macher billiger Sexfilme betrachtet. RJ aber besteht darauf, daß es sich um Kunst handle. Wayne ist das alles egal, er weiß, daß er das, was er bisher gesehen hat, sehr gut wird verkaufen können und fordert mehr vom Gleichen von RJ.

Maxine lernt derweil auf dem Rückweg vom See Pearl (Mia Goth in einer Doppelrolle) kennen, Howards angeblich bettlägerige Frau. Pearl scheint geradezu angetan von Maxine, in der sie sich selbst als junges Mädchen zu erkennen glaubt. Maxine ist wenig angetan von der Zuneigung der Alten, lässt sich von ihr aber ins Haus locken, wo die ihr eine Limonade anbietet, sie aber fast panisch auffordert, das Haus durch den Hinterausgang zu verlassen, als Howard heimkehrt.

Später beobachtet Pearl Maxine bei deren erster Szene für den Film. Das erregt sie ebenso, wie es sie abstößt. Zudem weiß sie um Howards Schuld- und Sühne-Obsession, die durch einen ununterbrochen im Fernsehen laufenden Prediger noch zusätzlich befeuert wird. Der redet von nichts anderem als den Sünden, die wir ununterbrochen begehen und daß dem nur mit nahezu alttestamentarischem Zorn begegnet werden könne. Dabei klingt er wie die Live-Schalte zu eben diesem alttestamentarischen Gott.

Am Abend gibt es eine Diskussion im Filmteam. Lorraine prangert den Film an und erklärt ihn zu Schund, sie kann nicht verstehen, weshalb sich Frauen wie Maxine und Bobby-Lynne dafür hergeben. Beide lachen sie aus und erklären, es sei Teil ihrer Emanzipation und ihrer sexuellen Befreiung, nicht nur mit so vielen Männern zu schlafen, wie sie wollten, sondern sich im Zweifelsfall auch dabei filmen zu lassen. Zudem verteidigt RJ den Film. Er wolle beweisen, daß man auch aus angeblichem Schund Kunst machen könne. Wayne gibt ihm recht, rechnet sich insgeheim aber vor allem aus, was ein so expliziter Film an den Kassen der XXX-Kinos einspielen wird.

Als Lorraine kurzerhand beschließt, daß sie dann auch einmal wissen wolle, wie das sei, vor einer Kamera mit einem fremden Mann zu schlafen, wird es ernst. Denn RJ findet diese Wendung der Ereignisse keineswegs erfreulich, soweit geht sein freiheitliches Kunstverständnis dann doch nicht. Zwischen ihm und Wayne kommt es zu einem Streit, da RJ sich abschätzig über Bobby-Lynne und vor allem Maxine äußert. Er tut sie als Nutten ab, wohingegen Lorraine ein anständiges Mädchen sei. Wayne, der zufällig auch mit Maxine liiert ist, erklärt RJ, was er von dessen Arroganz halte und macht ihm klar, daß er das alles nicht so eng sehen solle. So seien die Mädels halt.

RJ beschließt, das Team zu verlassen. Er nimmt die Schlüssel für den Pick-Up an sich und will gerade davonfahren, als Pearl auftaucht und sich ihm anbietet. Der junge Mann ist leicht irritiert, bis er begreift, daß die alte Frau offensichtlich wirklich Sex mit ihm haben will. Als er dies ablehnt, metzelt Pearl ihn mit einem Messer nieder.

Lorraine und Wayne, die erwacht sind, vermissen RJ und suchen ihn auf dem Grundstück. Dabei wird Wayne in der Scheune von Pearl gestellt, die ihn erst mit einer Mistgabel blendet, dann aber aufs Ganze geht und ihn mit dem Werkzeug durchlöchert. Währenddessen kommt Lorraine zum Haupthaus, wo sie auf Howard trifft, der sie bittet, ihm zu helfen, seine Frau zu suchen. Lorraine erklärt sich bereit. Howard bittet sie, im Keller eine Taschenlampe zu suchen, er schaffe die Treppe nicht mehr. Als sie hinabsteigt, sperrt er sie ein.

Als Lorraine den Keller untersucht und schließlich einen Lichtschalter findet, steht sie vor dem verwesenden Leichnam eines jungen Mannes, der von der Kellerdecke hängt.

Nun taucht auch Howard am Gästehaus auf, wo Jackson mittlerweile erwacht ist. Als Howard ihn bittet, ihm bei der Suche nach Lorraine zu helfen, ist der Jüngere sofort bereit, schon aus soldatischer Verbundenheit. Gemeinsam gehen die beiden in die das Grundstück umgebenden Sümpfe. Hier erschießt Howard Jackson kurzerhand mit seiner Schrotflinte.

Pearl ist derweil ins Gästehaus eingedrungen und findet die schlafende Maxine in ihrem Bett. Pearl zieht sich aus und legt sich neben die junge Frau, die sie mehr und mehr für eine Inkarnation ihres eigenen jüngeren Selbst hält. Als Maxine erwacht und anfängt zu schreien, flieht Pearl nackt aus dem Gästehaus.

Bobby-Lynne sieht dies und folgt Pearl. Die lockt sie in den Sumpf bis auf den Steg des Sees, wo Maxine nachmittags gebadet hatte und nur knapp dem Alligator entkommen war. Bobby-Lynne, in der Annahme, die alte Frau brauche Hilfe, müht sich, Pearl vom Wasser wegzulocken, wird aber selbst von Pearl mit einem Stoß ins Wasser befördert gerade als der Alligator auf seiner Runde vorbeikommt. Für Bobby-Lynne das Ende ihrer Karriere.

Lorraine ist es gelungen, sich aus dem Keller zu befreien, doch als sie gerade die Kellertür öffnen und entkommen will, kommt Howard hinzu, bricht ihr den Finger und schließt sie erneut im Keller ein.

Pearl und Howard kehren ins Gästehaus zurück. In Maxines Zimmer setzen sie sich auf das Bett, unter dem die junge Frau Zuflucht gefunden hat. So wird sie Ohrenzeugin, wie Pearl Howard bittet, ihren Bedürfnissen gerecht zu werden und mit ihr zu schlafen. Sie brauche das, auch wenn sie alt und unansehnlich sei. Howard beteuert, für ihn sei sie immer schön gewesen. Er hat Angst, daß sein Herz einen Liebesakt nicht übersteht, gibt sich dann aber einen Ruck und schläft mit Pearl.

Maxine kann unter dem Bett hervor fliehen. Sie rennt zum Pick-Up, wo sie den toten RJ findet, jedoch keine Schlüssel für den Wagen. Sie betritt das Haupthaus, wo sie Lorraine befreien kann, die sie frontal angeht und behauptet, Maxine sei an allem schuld, was in dieser Nacht geschehen sei. Dann rennt sie gegen die Warnungen Maxines aus dem Haus und wird umgehend von Howard erschossen, der Maxine gefolgt ist.

Während Howard und Pearl die Leichen so arrangieren wollen, daß alles wie ein fehlgeschlagener Einbruch aussieht, erschreckt die plötzlich aufatmende Lorraine, bevor sie stirbt, Howard derart, daß er – noch geschwächt vom ungewohnten Liebesakt – einen Herzinfarkt erleidet. Maxine, bewaffnet mit Waynes Pistole, stellt Pearl und will sich den Weg aus dem Haus im Notfall freischießen. Doch ist die Waffe nicht geladen. Es kommt zu einer Rangelei und Pearl kann sich der Schrotflinte bemächtigen, drückt auch ab, wird aber von dem Rückstoß derart weit und hart auf die Straße geschleudert, daß sie sich die Hüfte bricht und dort hilflos liegen bleibt.

Die durch den Schuss nur leicht verwundete Maxine, die sich die Schlüssel des Wagens vom toten Howard geholt hat, tritt über Pearl hinweg, die sie um Hilfe anfleht. Pearl verweigert das und tötet die alte Frau, als Pearl mit ihren Flüchen und Beschimpfungen nicht aufhört, indem sie ihren Kopf mit den Rädern des Pick-Up zerquetscht. Dann fährt sie in die texanische Nacht davon, in ein großes, ein besseres Leben.

Am Morgen erreicht die Polizei das Grundstück und findet die Leichen. Im Fernseher läuft noch immer das Programm des evangelikalen Predigers, der davon berichtet, daß er selbst versagt habe, konnte er seine Tochter doch nicht vor den Niederungen der Sünde bewahren. Er hält ein Bild in die Kamera, welches Maxine zeigt.

Was macht einen guten Horrorfilm aus? Ein unheimliches Monster? Ein hoher Blut- und Gewaltfaktor? Humor, gepaart mit Schock? Daß man alles sieht oder, wie die gegnerische Fraktion immer behaupten würde, daß man eben nichts sieht und die wirklichen Schrecken der Phantasie des Zuschauers überlassen bleiben? Der Streit währt nunmehr gute sechzig Jahre und scheint noch längst nicht entschieden. Den Beginn dieses Streits kann man in etwa auf das Jahr 1960 datieren, als Alfred Hitchcock mit PSYCHO (1960) eine völlig neue Art des Horrors etablierte und dabei für damalige Verhältnisse sehr weit ging bei dem, was er zeigte. Und wie er es zeigte. Nun, gibt es denn überhaupt einen gemeinsamen Nenner?

Atmosphäre, vielleicht. Ja, auf Atmosphäre können sich sicherlich alle Aficionados einigen. Ein Horrorfilm braucht eine gute, passende Atmosphäre, die den Zuschauer gefangen nimmt. Ihn in einen Sog hineinzieht, welcher so intensiv wird, daß sich der Betrachter über etwaige Logiklöcher keine Gedanken mehr macht. Das gilt ebenso für die Klassiker der alten Universal Studios (FRANKENSTEIN/1931; DRACULA/1931), wie für jene der RKO Studios (THE MOST DANGEROUS GAME/1932; CAT PEOPLE/1942, I WALKED WITH A ZOMBIE/1943), es gilt für die Crossover-Produktionen der 50er Jahre (CREATURE FROM THE BLACK LAGOON/ 1954; THEM!/1954; TARANTULA/1955) und Roger Cormans Poe-Adaptionen der 60er Jahre (PREMATURE BURIAL/1961; THE RAVEN/1962), und es gilt ebenso für die Produkte der britischen Hammer Studios (THE CURSE OF FRANKENSTEIN/1957; DRACULA/1958). Doch gilt es eben auch für die modernen Horrorfilme, die nach PSYCHO (für den erst recht gilt, daß er bei aller Explizität vor allem von der Atmosphäre lebt) entstanden. Gleich ob George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD (1978) oder Roman Polanskis ROSEMARY´S BABY (1968), ob eine Mainstreamproduktion wie THE EXORCIST (1973) oder ein nahezu ohne Budget gedrehter Kultfilm wie THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) und auch spätere Werke wie HALLOWEEN (1978), FRIDAY THE 13TH (1980) oder A NIGHTMARE ON ELM STREET (1984) – all diese Werke und ihre Macher stießen auch deshalb an die Spitze des Genres vor, weil sie immer darauf achteten, daß ihre Filme eine packende, eine unheimliche, eine verstörende Atmosphäre vermitteln.

Viele der Nachfolger schafften dies selten oder gar nicht, weshalb so viele, viele Horrorfilme gerade der 80er und frühen 90er Jahre oftmals billig und ungewollt komisch wirken. Und das obwohl Humor immer auch ein Bestandteil eines guten Horrorfilms ist, liegen Erschrecken und Lachen doch nah beieinander, ja bedingen einander gelegentlich sogar. Und auch das europäische Horrorkino jener Jahre ist immer da am besten, wo es trotz seines deutlicheren Willens zum reinen Schock – man denke nur an die Splatterfilme italienischer Couleur, Filme von Dario Argento (SUSPIRIA/1977), Lucio Fulci (ZOMBI 2/1979) oder Ruggero Deodato (CANNIBAL HOLOCAUST/1980) – sich auch immer darüber bewusst war, daß das Setting, die Mise en Scene, eben die Atmosphäre überzeugen müssen. Sonst nämlich wird es peinlich und lächerlich, wie ebenfalls etliche italienische Produktionen jener Jahre so eindringlich beweisen. Schlotzige Zombies, die jeder als schlecht geschminkte Amateurschauspieler erkennt, können schlicht nicht in Angst und Schrecken versetzen. Sie regen zum Lachen an, egal, wie hoch der Blutzoll, wie grimmig die Tötungen anschließend auch sein mögen. Nur ist es ein eher verächtliches Lachen, keines, das dem Schrecken entstammt.

Ähnlich wie der Western, wurde auch der Horrorfilm häufiger totgesagt und konnte sich doch immer wieder berappeln. Und so sah das neue Jahrtausend eine ganze Reihe qualitativ hochwertiger Werke aus Europa, vornehmlich aus Frankreich (HAUTE TENSION/2003; FRONTIÈRE(S)/2007; MARTYRS/2008), die das Genre nicht nur generell ausgesprochen ernst nehmen, sondern allesamt eine Stimmung erzeugen, die den Betrachter schon lange, bevor es zur Sache geht, ebenso einnimmt wie sie ihn bedrückt. Und auch für schwächere Beiträge, wie Eli Roths HOSTEL-Serie (ab 2005), gilt das Gebot, daß es ohne eine authentische und packende Mise en Scene nicht geht.

Ti West, der bereits einschlägige Erfahrung im Genre sammeln durfte, hat seine Hausaufgaben gemacht und mit X (2022) den Prototypen eines Slasher-Films vorgelegt, wie man ihn heute drehen muß, wenn man originell sein will, ohne die Wurzeln des Fachs zu ignorieren oder gar zu leugnen. Es gibt genügend Jung-Genies, die glauben, das Genre neu erfinden zu können. West gehört nicht dazu. Stattdessen hat er sich seine Vorbilder wahrscheinlich nicht nur sehr oft, sondern auch sehr genau angeschaut. Und hat sie studiert. Und gelernt. Denn bevor man zu den spezifischen Qualitäten des Films vordringt, fällt eines als allererstes auf: Mit wenigen stilistischen Mitteln gelingt es dem Regisseur (und seinem Team natürlich), eine Atmosphäre zu kreieren, die den Zuschauer sofort gefangen nimmt und ihn erst mit den Schluß-Credits wieder entlässt.

West – nicht nur Regisseur, sondern auch Drehbuchautor des Films und wesentlich am Schnitt beteiligt, also ein Auteur im besten Sinne des Wortes – verlegt seine Story ins Jahr 1979, womit er seinen Vorbildern – u.a. HALLOWEEN und FRIDAY THE 13TH, zwischen deren Erscheinungsjahren die Handlung spielt – eine erste Reverenz erweist. Das Setting könnte direkt Hoopers TEXAS CHAINSAW MASSACRE (kurz TCM) entnommen sein, was Kameramann Eliot Rockett durch einige Eröffnungseinstellungen unterstreicht: Während seine Kamera direkt auf Höhe des Asphalts filmt, wartet der Zuschauer geradezu auf ein totes Gürteltier, wie es einst TCM nach dem Prolog eröffnete. West ist klug genug, es nicht im Bild zu platzieren, lässt es sich aber nicht nehmen, ein, zwei Sequenzen später den Straßenrand mit dem Schädel eines Bisons o.ä. zu schmücken. Der Trupp – jeder echte Slasher braucht einen zusammengewürfelten Haufen junger Menschen – ist diesmal keine Teenagergruppe, sondern ein Filmteam, das einen Porno drehen will. So bezieht West gleich auch die im Vergleich zum Horrorfilm noch schmuddeligere Ecke filmischen Schaffens mit ein und erweist jener Zeit seine Reverenz, als der Pornofilm noch als Avantgarde, Ausweis einer freien Sexualität und eines damit auch befreiten Bewußtseins galt. Was damals natürlich genau so eine Beschönigung war, wie es heute eine glatte Lüge wäre. Das wiederum verdeutlicht sich in der Figur von Produzent Wayne, deutlich älter als der Rest der Truppe und sich immer als knallharter Manager gebend. Zwar lockt er die Damen mit dem Versprechen, sie machten Kunst – was der Regisseur RJ ebenso sieht – doch Wayne hat genau kapiert, was man zeigen muß, mehr noch wie man es zeigen muß, um damit kommerziellen Erfolg zu haben. Den er dann auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit beschwört.

West tut erst gar nicht so, als schaffe er etwas Originelles. Vielmehr erschafft er aus den Versatzstücken des Sub-Genres und einem unbedingten Willen zum Stilbruch, indem er vor allem Klischees gegen den Strich bürstet, etwas Eigenes und durchaus auch Neues. Das reicht von der Blondine, die in diesem Reigen das einzige halbwegs intelligente Wesen zu sein scheint, über die Dialoge, in welchen aufs Herrlichste feministische Diskurse durchgehechelt werden, und es reicht hin bis zum Motiv der Killer. Die allerdings sind dann derart eigen, daß sie doch mal etwas Neues in einem Horrorfilm generell darstellen. War es in TCM die pervertierte Pionierfamilie, deren Oberhäupter – Oma und Opa – entweder schon dahingeschieden oder zumindest haarscharf davor waren, nur noch durch ein gelegentliches Blutopfer im Leben gehalten, ist die Familie in X auf genau diese beiden reduziert. Howard und Pearl, ein uraltes Ehepaar, ein Farmerspaar, wie Grant Woods berühmten Gemälde American Gothic entsprungen.

Wayne hat die Mini-Produktion irgendwo in der texanischen Einöde in einem Haus untergebracht, daß der alte Howard vermietet. Der hat so seine Altersproblemchen, was zu Frust bei seiner sich ebenfalls schon im Greisenalter befindlichen Gattin Pearl führt. Denn die hat trotz ihres fortgeschrittenen Alters immer noch „Bedürfnisse“, die ihr Unwohlsein bereiten, da sie nie erfüllt werden. Howard fürchtet um sein Herz, weshalb er sich nicht traut, Pearl gerecht zu werden. Angestachelt durch einen ununterbrochen aus dem heimischen TV-Gerät plärrenden evangelikalen Prediger, hat zumindest Howard sich mittlerweile in eine Obsession hinsichtlich der Sünde und wie sie zu ahnden sei gesteigert. Und Pearl wird Zeugin dessen, was sich vor RJs Kamera abspielt. Religiöse Obsession und sexuelle Obsession gehen hier also eine unheilige Allianz ein und führen zum Wahn. Nun sollte man grundlegend – und möglicherweise hat West dies bereits mit eingepreist – bei einem Slasher-Movie niemals auf die Motive des Mörders achten, die sind in 99% der Fälle einfach bescheuert. Meist unverarbeitete Kindheitstraumata. Selten eine wirklich ausgeklügelte Story hinter der Story; rühmliche Ausnahme ist Wes Cravens A NIGHTMARE ON ELM STREET. Aber Altersfrust, gepaart mit religiösem Wahn und eine unerwartete Geilheit ist mal ein überraschendes Motiv um die Contenance zu verlieren und ein Blutbad anzurichten.

Zwar deutet sich im Laufe des Films an, daß Howard und Pearl nicht zum ersten Mal zur Tat schreiten, dennoch werden sie weder als Psychopathen, noch als halb übermenschliche Wesen dargestellt, wie es zumindest Michael Myers und Jason Vorhees aus den HALLOWEEN– und den FRIDAY THE 13TH-Serien im Grunde sind (mindestens mal unsterblich, die beiden). Vielmehr sind die beiden Alten unbeholfen und tapsig, womit eine gewisse Chancengleichheit zwischen ihnen und dem Team um Wayne und RJ entsteht. Allerdings kennen die Alten das Gelände besser, was sie nutzen, um bspw. die intelligente Blondine Bobby-Lynne in eben jenem Moment in den See zu stoßen, da der Alligator durchs Wasser pflügt und sich dem Steg nähert. Maxine – eigentlicher Star von Waynes Film; nebenbei mit dem Produzenten liiert – kann sich schließlich auch gegen ihre Gegner durchsetzen und überlebt.

Wenn sie, das Final Girl, welches Mia Goth mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit gibt, während sie in einer Doppelrolle auch die manchmal erstaunlich verletzlich wirkende Pearl spielt, die sich in Maxine wiederzuerkennen glaubt, wenn sie also schließlich in die Wüste davonfährt, ahnen wir, daß sie ihrer Selbstbeschwörung gerecht werden wird: Sie wird ein Star werden, sie wird es schaffen, sie wird dem Stripclub entkommen, in dem sie arbeitet, sie wird die Stangen und die billigen Garderoben und das schlechte Koks hinter sich lassen und sie wird dort zu Ruhm aufsteigen, wo sie sich immer schon sah: In Hollywood. Denn dort ist der letzte Ort, an dem Mythen scheinbar ungebrochen produziert werden können, wo ihnen ununterbrochen gehuldigt wird, auch heute noch, und wo ein Wesen wie sie – schön, unnahbar und im richtigen Moment skrupellos, wie wir gesehen haben – , das diese Nacht in der Wüste überlebt hat, existieren kann. Als Mythos. Das weiß West und begibt sich auf gar nicht einmal ungeschickte Art und Weise auf eine Metaebene, wo er über das Wesen dieser spezifischen Genres – des Horrorfilms und des Pornofilms – sinnieren kann und ihnen zugleich huldigt. Und sehr exakt die maximale Distanz markiert, die die Schmuddel-Genres zum Prunk, Protz und dem jederzeit ausgestellten Glamour Hollywoods einnehmen.

Daß wir uns hier aber in einer postmodernen Variante eines Horrorfilms befinden, weiß West dem Zuschauer ebenfalls zu verdeutlichen. Denn mehrfach beobachten wir Maxine bei ihren Selbstbeschwörungen. Und dabei wird klar, daß die junge Frau zwar gern am Himmel über Hollywood glänzen würde, aber letztlich auch damit vorliebnähme, ein Star in besseren Pornoproduktionen zu werden. Sie weiß also schon, daß die Träumereien eines Provinzmädchens nur in den seltensten Fällen auf den roten Teppich, sehr viel häufiger aber in die Hölle der Vorstadt – das San Fernando Valley vor den Toren von Los Angeles gilt bis heute als eine der größten Pornoproduktionsstätten der Welt – führen. Sie hat ihre Wünsche also schon entsprechend angeglichen, was wiederum der Kaltschnäuzigkeit entspricht, die sie an den Tag – oder besser: in die Nacht – legt, als es darauf ankommt, aus dem Schlammassel zu entkommen und nebenbei ihre Widersacher zu erledigen.

Wie nebenbei IST da ein wirklich spannender, manchmal komischer, atmosphärisch eben sehr dichter, bewußt klein gehaltener Autoren-Slasherfilm entstanden, der es wahrlich in sich hat. West kennt natürlich auch die Werke der jüngeren Vergangenheit und weiß, was er einem modernen Publikum schuldig ist. So sind die wenigen Gore- und die spärlichen Splatter-Szenen dann umso überzeugender. Sie kommen schnell, krass und extrem. So wird hier schließlich jeder bedient und wen es reizt, wer in der Jugend genügend Zeit damit verbracht hat, sich einen Video-Nasty nach dem anderen reinzuziehen, kann viel Zeit damit verbringen, all die Zitate, Referenzen, Anspielungen und Verweise zu entschlüsseln, von denen der Film nur so strotzt. Bis hin zu einzelnen Einstellungen, die West und Rockett direkt kopieren.

Im Laufe der Jahre und Jahrzehnte wurden etliche Theorien darüber aufgestellt, weshalb Ende der 70er Jahre nicht nur der Horrorfilm generell, sondern gerade das Sub-Genre des Slasher-Movies, immer brutalere und explizitere Filme dieser Machart hervorbrachte, die dann so erfolgreich wurden. War es ein reaktionärer Backlash gegen die Liberalisierungen der vergangenen Dekaden? Waren es dezidiert frauenfeindliche und grundlegend sadistische Werke, die die niedrigsten Triebstrukturen ansprachen? Oder waren es schlicht Symptome einer Zeit, die an sich immer härter wurde? Erste Öl- und Energiekrisen, die zunehmende Zerstörung der Umwelt, vor allem aber der ständig drohende und dauernd beschworene Tod durch einen großen globalen Atomkrieg sowie die zusehende moralische Verkommenheit des eigenen Systems und der Regierungen, die man selbst gewählt hatte, wurden gern zur Erklärung herangezogen. Und all das mag so auch nicht ganz falsch gewesen sein. Und würde vielleicht sogar erklären, weshalb Horrorfilme mittlerweile ihren fünften, sechsten oder gar siebten Frühling erleben. Denn wieder sind die Zeiten hart, wieder haben wir Energie- und Umweltkrisen zu gegenwärtigen, wieder werden Kriege in unserer unmittelbaren Nachbarschaft geführt – und möglicherweise sind die Bedrohungen mittlerweile nicht nur greifbarer, sondern auch realistischer. Und die Horrorfilme werden erneut härter. Und ebenfalls immer realistischer, sogar dort, wo sie ganz unwahrscheinliche Geschichten erzählen.

Vielleicht kann man eine solche Frage anhand eines einzigen Films nicht beantworten. Was man anhand eines Films wie X allerdings sehen kann, ist, daß man ein Sub-Genre aufgreifen und es – durch die Zeiten gerastert und gebrochen, teils auch dekonstruiert – gegen den Strich bürsten kann. So bleibt nicht viel vom (scheinbar) reaktionären Anstrich des Slasher-Films. Der (voreheliche) Sex, für den all die Teenies in all den vergangenen Filmen symbolisch bestraft wurden, ist hier nicht heimlicher Grund eines verhuschten Stelldicheins am See, sondern im Kern Grund, weshalb diese Truppe überhaupt in die Einöde aufbricht. In einem abgelegenen Haus einen Porno zu drehen erscheint nicht nur billiger, sondern auch unkomplizierter als in einer Großstadt unter den wachsamen Augen der Sittenpolizei. Sex ist also der Movens des ganzen Settings. Daß man dann in der Provinz, im Hinterland, in den Backwoods, wie es im Horrorfilm-Jargon heißt, auf Spinner, religiös Verbrämte, aber auch jede Menge ungestillte Gelüste treffen kann, ist im Kontext eines solchen Films schlicht zwangsläufig, ja geradezu notwendig.

West gönnt sich und dem Zuschauer dann aber sogar ein wenig Psychologie – und macht sein Senioren-Killerpärchen gleich auch um ein paar Nuancen menschlicher – und zeigt uns eine fast anrührende Szene, in der der alte Howard und die alte Pearl sich mitten in ihrer Schlachtorgie treffen, auf einem Bett sitzen und sie ihn erneut auffordert, sie zu begatten, es werde schon nichts geschehen. Und Howard gibt sich einen Ruck und gibt ihr, was sie will. Wie es ja auch in der Wirklichkeit oft vorkommt, tritt der Infarkt aber erst danach auf, also in der vermeintlichen Ruhephase. Und so wird Howard durch die Spätfolgen seines letzten Akts dahingerafft und behält damit recht. R.I.P. Daß Pearl ob dessen erst recht die Beherrschung verliert, versteht sich da schon von selbst, hatte sie Howard doch zuvor wahrlich zärtliche Liebesbekundungen zugeflüstert. Allerdings bleibt West dann eben auch realistisch, was ihre Chancen gegen eine sehr viel jüngere Frau wie Maxine und was die Handhabung einer Schrotflinte mit einem starken Rückstoß betrifft. Denn als Pearl ihre Widersacherin dahinmetzeln will, befördert eben dieser Rückstoß sie meterweit in die Botanik. Den Rest erledigt Maxine dann mit den Reifen ihres Pick-Ups.

So hat der Zuschauer in den letzten Momenten des Films eher Furcht vor als Angst um Maxine und wir können uns nicht so ganz sicher sein, ob da nicht gerade das nächste Monster geboren wurde, während mit Howard und Pearl einfach nur zwei Rednecks mit allzu typischen Redneck-Ansichten dahingerafft wurden. Doch wie dem auch sei, der Sheriff, der sich den Tatort auf Howards Farm betrachtet und dabei seinen Blick auf all die geschundenen Leichen wirft, bringt es wahrscheinlich am besten auf den Punkt: Was sich ihm hier böte, sei die Szenerie eines billigen Horrorfilms. Stimmt!

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