‚New Hollywood‘ und einer seiner wichtigsten Vertreter: Hal Ashby
Mit dem Zusammenbruch des Studio-Systems in den 1950er Jahren, das seine Monopolstellung hinsichtlich der Kinoketten verlor, und dem mit dem Aufkommen des Fernsehens als neues Massenmedium ein echter Konkurrent erwuchs, schlitterte Hollywood in eine ernste Krise. Die Zuschauerzahlen gingen zurück, die Gewinne wurden schmaler. Dagegen setzten die Studios auf Pomp und Glanz. Produktionen wurden immer größer, teurer und die entstehenden Filme immer länger. Man versuchte Effekte und Schauwerte zu bieten, die das Fernsehen nicht bieten konnte, die Größe der Leinwand sollte voll ausgenutzt werden. Die Filme mussten Starpower haben, was bedeutete, man packte gleich mehrere sehr beliebte Schauspieler in eine Großproduktion, nicht nur einen männlichen und einen weiblichen Star, der an der Kinokasse zog. Es entstanden Filme wie William Wylers BEN HUR (1959), Massenspektakel von vier Stunden Länge. Dennoch vertiefte sich die Krise in den 1960er Jahren. Sie weitete sich von einer ökonomischen zu einer künstlerischen aus. Die Antworten, die Hollywood bot, fanden immer weniger Abnehmer, ob dezidierte Jugendfilme mit angesagten Stars, auch aus der Musikbranche, oder eben Monumentalfilme – nichts schien wirklich zu fruchten. Der Instinkt für die Stoffe und die Art, wie ein modernes Publikum sie dargeboten bekommen wollte, schien die alten Moguln der Filmindustrie verlassen zu haben. Viele waren mittlerweile wirklich alt und hatten ihren Zenit in den 30er Jahren, als der Film ein Leitmedium war. Nun verloren sie den Anschluß an die Sehgewohnheiten eines jüngeren, auch moderneren Publikums, und waren zusehends ratlos.
Erst Mitte der 60er Jahre schloß das Kino wieder auf und konnte sich, angeführt von einer Riege junger, wilder Regisseure, die alle ihr Handwerk noch im alten System gelernt hatten, nach und nach erneuern. Künstlern wie Robert Aldrich (VERA CRUZ/1954; WHATEVER HAPPENED TO BABY JANE?/1962), Richard Brooks (BLACHBOARD JUNGLE/1955; THE PROFESSIONALS/1966) oder Robert Wise (I WANT TO LIVE/1958; THE HAUNTING/1963) gelang es vor allem, das Genrekino mit neuen Impulsen wieder spannend und aufregend zu gestalten. Zugleich machte sich zur Mitte der 60er Jahre auch an der Ostküste eine Filmszene bemerkbar, die Kino anders, härter, künstlerischer auffasste. Ein Regisseur und Schauspieler wie John Cassavetes zeigte schon mit Filmen wie SHADOWS (1959) oder FACES (1968), daß Kino auch konsequent anders als in Hollywood funktionieren konnte. Sie alle waren Wegebreiter für eine Riege von jungen Regisseuren, von denen viele ihr Handwerk erst theoretisch an Universitäten gelernt hatten und die sich Ende der 1960er Jahre daran machten, dem amerikanischen Kino einen neuen Look zu verpassen, es stilistisch, formal und inhaltlich wirklich zu erneuern und ihm eine Zukunft zu ermöglichen, die bis heute anhält. Denn aus dieser Generation kamen nicht nur anspruchsvolle, künstlerisch wertvolle Werke, sie eröffnete der Industrie mit dem sogenannten Blockbuster-Kino auch neue Vermarktungsmöglichkeiten und -strategien. Diese jungen Männer (es waren ausschließlich Männer) schufen ein Kino, das später unter dem Begriff ‚New Hollywood‘ firmieren sollte.
‚New Hollywood‘ – Aufbruch in eine neue Ära
Erinnert man sich heute an das „Neue amerikanische Kino“ der späten 1960er und der 70er Jahre, allgemein ‚New Hollywood‘ genannt[1], werden gern die Namen von Regisseuren wie Francis Ford Coppola, Arthur Penn, Mike Nichols, Roman Polanski oder Robert Altman assoziiert. Und das natürlich vollkommen zurecht. Gerade Altman, der seinen Idealen bis auf sehr wenige Ausnahmen seine gesamte Karriere hindurch treu blieb, steht sicher im Eigentlichen für dieses Kino, das sich aufmachte, dem kommerziellen Film neue Räume, stilistisch neue Elemente, eine andere, wildere Form von Kreativität und vor allem den Willen zur künstlerischen Kompetenz zu eröffnen. Doch wird dabei allzu oft vergessen, daß es auch eine Handvoll Regisseure gab, die – darin Altman verwandt, dessen Name allerdings der bekannteste sein dürfte – das Prinzip, das hinter dem „neuen“ Kino stand, weitaus konsequenter angewandt haben als bspw. Coppola, der, wie auch Nichols und Penn nach ihren ersten Erfolgen, spätestens mit seinem Meisterwerk THE GODFATHER (1972) zu den anerkannten Regisseuren Hollywoods gehörte und wie so manch anderer, der im Umfeld der jungen Garde seine ersten Schritte gemacht hatte – Steven Spielberg und George Lucas wären hier wohl als erste zu nennen – sich schnell dem kommerziellen Kino zuwendete und nur mit APOCALYPSE NOW (1976/79) ein letztes Mal das Wagnis eines wirklich in allen Belangen unabhängigen Films einging. Coppola schloß in seinem Sehnen, ein eigenes, künstlerisch wie wirtschaftlich unabhängiges Studio aufzubauen, wie es die American Zoetrope gewesen ist, die er gemeinsam mit Lucas Ende der 60er Jahre gründete, an die Träume an, die Mary Pickford, Douglas Fairbanks Sr., Charlie Chaplin und David Wark Griffith bereits 1919 mit der Gründung der United Artists zu verwirklichen suchten. Coppola wollte vor allem ein Studio, das in der Lage war, an jene Ära des Studio-Systems anzuknüpfen, welches die goldenen Jahre Hollywoods in den 1930er, den 40er und 50er Jahren geprägt hatte. Seine Wurzeln in einer nie als solcher manifestierten Bewegung, die das ‚New Hollywood Cinema‘ darstellte, waren Coppola sicherlich weniger wichtig, als die Verwirklichung dieses sehr spezifischen Kino-Traums.
Anders als bspw. der deutsche Film mit dem Oberhausener Manifest, das 1962 auf den Oberhausener Kurzfilmtagen verkündet wurde, hat das ‚New Hollywood Cinema‘ kein Programm; es ist viel mehr ein Sammelbegriff für diese Generation junger Regisseure, die sich, beeinflusst von den Neuerungen und Innovationen des europäischen Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg – dem italienischen Neorealismus, der französischen Nouvelle Vague, in geringerem Maße auch dem britischen Free Cinema – nicht mehr als Handlanger der zuvor allmächtigen Produzenten begriffen, sondern gemäß den Definitionen der französischen Filmzeitschrift Cahiers du Cinéma als ‚auteurs‘ verstanden. Sie wollten keine Handwerker[2] sein, die die erwarteten Routinen ausführten, sondern künstlerisch voll verantwortliche Filmschaffende, die ihre Stoffe selber suchten, schrieben und drehten, im Idealfall auch die Hoheit über Schnitt und Montage behielten. So sehr man dabei neue Wege zu beschreiten gewillt war – reines Experimentalkino wollte man nicht machen. Kommerzieller Erfolg war durchaus erwünscht. Der Anspruch war vielmehr, diesen Erfolg mit anspruchsvollen Stoffen, einer anspruchsvollen Bearbeitung und kritischen Perspektiven zu erringen. Dabei korrespondierte man auch mit dem klassischen Kino. Erzählt wurden Geschichten, mal mehr, mal weniger stringent, diese hatten Helden oder – ganz im Sinne des Film Noir der 40er und 50er Jahre – Anti-Helden, die aber anders als ihre Vorgänger nicht (melo)dramatisch scheiterten, sondern häufig einfach Opfer der Umstände wurden. Es waren Drogenabhängige, Kriegsheimkehrer, Außenseiter in einer zusehends kälter werdenden Gesellschaft. Es wurden realistisch zeitgenössische soziale Umstände geschildert oder aber sie wurden so auf die Spitze getrieben dargestellt, daß die Filme selbst oft wie Manifeste oder Anklagen gegen die herrschenden Konventionen aufgefasst werden konnten. Gerade frühe Vertreter des ‚New Hollywood‘ stehen dafür. Neben den sozialen Themen, gab es aber auch eine ganze Reihe von Genrefilmen, die sich der neuen Perspektiven und Stilmittel bedienten, oftmals nutzten die Regisseure dieser Filme das Vehikel eines Genres aber auch nur, um ihrerseits auf Mißstände und Fehlentwicklungen wie Korruption, zunehmende gesellschaftliche Gewalt oder einen sich immer gefährlicher gerierenden Staat hinzuweisen[3]. So wurden u.a. Neurosen, Schizophrenie und Paranoia zentrale Themen des ‚New Hollywood‘.
Die Künstler des ‚New Hollywood‘
Es waren aber nur wenige Regisseure, denen künstlerische Integrität definitiv über alles ging und die mit ihren Arbeiten nicht zuletzt auf das Kino, seine Wirkmacht, seine Kraft, aber auch seine Verführung und damit einhergehende propagandistische Wirkung rekurrierten und dabei immer in kritischer Distanz zum Medium blieben. Viele dieser Künstler gehörten in die oben genannte Riege, die konsequent ihren Weg ging und den Erfolg eher hintanstellten. Neben Altman muß man Regisseure wie Haskell Wexler, Bob Rafelson, Jerry Schatzberg oder Hal Ashby dringend dazu zählen. Viele von ihnen gaben dem ‚New Hollywood‘ auf subversive, hintergründige, manchmal eben durchaus experimentelle und oft provokante Art und Weise jene Mittel an die Hand, die andere, eher kommerziell orientierte Filmemacher, nutzten und in dem Mainstream zumutbare Formate übertrugen.
Haskell Wexler ist unbedingt schon deshalb zu nennen, da er sowohl als Regisseur, vor allem aber durch seine Arbeit als Kameramann an wesentlichen Werken des ‚New Hollywood‘ beteiligt gewesen ist. Sein Film MEDIUM COOL (1969), teils unter den Bedingungen eines Dokumentarfilms während des Parteitags der Demokraten 1968 in Chicago entstanden, muß als eines der unter den oben genannten Aspekten wesentlichen Werke des ‚New Hollywood‘ bezeichnet werden. Nicht nur gelang hier ein authentischer Film, der direkt auf die aktuellen Zeitläufte reflektierte, sondern zugleich auch eine Reflexion auf das filmische Medium selbst. Wexler blieb seiner künstlerischen Linie treu, legte sich dafür oft mit den Regisseuren an, für die er arbeitete, und wirkte zumeist an künstlerisch anspruchsvollen Filmen mit, die oftmals große Erfolge wurden. Neben MEDIUM COOL verwirklichte er allerdings nur zwei weitere Filme als Regisseur. Wexler wird uns in seiner Funktion als Kameramann später wieder begegnen.
Ein weiterer wichtiger Vertreter der neune Richtung im amerikanischen Kino war Jerry Schatzberg, dem mit THE PANIC IN NEEDLE PARK (1971) und SCARECROW (1973) gleich zwei bedeutende Beiträge dazu gelangen, wobei vor allem ersterer als einer der frühen authentischen und ehrlichen Filme zur Drogenproblematik herauszuheben ist. Paul Mazurskys Debut BOB & CAROLINE & TED & ALICE (1969) veranschaulicht die Themen, die diese neue Art, Filme zu drehen, oft verhandelte: zeitgenössische Geschichten aus der Wirklichkeit, die einen direkten Bezug auch zu den subkulturellen Entwicklungen aufwiesen, einer Subkultur, der einige dieser Künstler selbst entstammten. Einige Jahre später drehte er den wunderschönen, melancholischen Film HARRY AND TONTO (1974) mit dem großartigen Art Carney in der Hauptrolle. Desweiteren muß Bob Rafelson dringend zu den zentralen Regisseuren des ‚New Hollywood‘ gerechnet werden, einige seiner Werke, wie FIVE EASY PIECES (1970), gehören zu den wichtigsten, die die frühen 1970er Jahre hervorgebracht haben.
Wesentliche Impulse des ‚New Hollywood‘ kamen von außen, aus Europa. Wie Roman Polanski gehörte John Schlesinger zu jenen Europäern, die Hollywood frischen Wind und frisches Blut zuführten, nicht zuletzt, weil sie die neuen cinematographischen Bewegungen in ihren Heimatländern und Europa hautnah erlebt hatten, daran geschult waren und dieses Wissen in die Traumfabrik trugen. Während Polanski mit ROSEMARY`S BABY (1969) früh bewies, daß die Ansprüche des ‚New Hollywood‘ auch auf das Genrekino übertragbar waren – ein Kunststück, das ihm später mit CHINATOWN (1975) erneut gelingen sollte – bewies Schlesinger mit ASPHALT COWBOY (1969) einen wachen Blick für die Zeitläufte und ihre spezifischen Verheißungen und Brüche. Unbedingt zu nennen sind an dieser Stelle auch Michelangelo Antonioni, der mit ZABRISKIE POINT (1970) einen wichtigen Beitrag, geradezu einen Solitär, zum ‚New Hollywood‘ ablieferte, sowie Milos Forman. Während Antonioni nach seinem amerikanischen Abenteuer nach Europa zurückkehrte, verblieb Forman in Hollywood, schuf mit ONE FLEW OVER THE CUCKOO´S NEST (1975) einen der Höhepunkt des ‚New Hollywood‘, blieb seinem Stil auch später treu, gliederte sich aber vor allem in den 1980er Jahren in das finanzielle „System Hollywood“ ein, ohne bei seinen späten Werken allzu viele Konzessionen an kommerzielle Forderungen zu machen.
Mindestens in einem Atemzug mit all diesen Künstlern, die meist ein oder zwei Beiträge zur Entwicklung des amerikanischen Kinos und seines Aufbruchs in künstlerisch neue Dimensionen leisteten, bevor sie sich entweder eben aus Hollywood verabschiedeten oder kommerzielleren Spielarten der Traumfabrik zuwandten, muß Hal Ashby genannt werden, will man sich darüber klar werden, wie das ‚New Hollywood‘ entstand, wie es sich entwickelte, welchen Regeln es folgte, bzw. welche Regeln es brach, welchen Inhalten es sich zuwandte und was seine spezifische Qualität ausmachte. Der Begriff des ‚auteur‘, wie in die Cahiers verstanden, trifft auf den Filmemacher Ashby insofern allerdings nur bedingt zu, da er seine Stoffe nicht selber schrieb, auch wenn er gelegentlich an den Scripts mitarbeitete, sie ausbesserte und eigene Ideen beitrug, im Großen und Ganzen aber nach Drehbüchern anderer arbeitete[4]. Doch waren diese anderen – bspw. Robert Towne – ebenfalls Kinder der Zeit und teilten die Ideen und Ideale. Ashbys Autorenschaft bezeugt sich eher darin, daß er gerade in jener Phase, in der seine wesentlichen Werke entstanden, Schnitt und Montage bestimmte und damit die Hoheit darüber hatte, wie seine Filme in fertigem Zustand erschienen. Seine ursprüngliche Profession – er hatte als Schnittassistent im Hollywood der 1950er Jahre seine Karriere begonnen – ließ ihn nie los. Ebenso berühmt wie berüchtigt wurde er für die Stunden und Tage, die er mit seinem Material im Schneideraum verschwand, ausgestattet mit unbändigem kreativen Willen und Unmengen an Marihuana, das ihm half, seine künstlerischen Entscheidungen zu treffen[5].
Hal Ashby – Mormone, Rebell, Hippie und Regie-Star der frühen 1970er Jahre
1929 in Ogden, Utah, als jüngstes Kind in eine Mormonenfamilie hineingeboren, rebellierte Hal Ashby früh gegen die Enge des Elternhauses und des ihm aufoktroyierten Glaubens. Geprägt wurde er durch die Scheidung der Eltern, mehr noch durch den Niedergang der Milchfarm des Vaters und dessen Selbstmord. Ashby fand im Alter von zwölf Jahren dessen Leiche. Ein ihn auch künstlerisch prägendes Erlebnis, bedenkt man, daß Selbsttötungen in seinen Werken immer wieder thematisiert wurden. Er brach die Schule ab, nahm Gelegenheitsjobs an, heiratete früh, ließ sich im Alter von 18 bereits wieder scheiden, ging nach Kalifornien und schaffte es dort, in der Filmindustrie unterzukommen. Bis dahin hatte er das Leben eines Tagelöhners und oftmals auch das eines Landstreichers geführt, nun hatte er erstmals feste Arbeit (wenn auch nur in minderwertigen Jobs) und stieg nach und nach im Studiosystem des alten, klassischen Hollywood auf.
Bei Filmen wie THE BIG COUNTRY (1958) und THE GREATEST STORY EVER TOLD (1965) arbeitete er als Schnittassistent, unter anderem für Robert Swink, womit er sein Handwerk bei einem der Meister des alten Systems lernte. Ab 1965 bekam er bessere Jobs, zunächst als Schnittmeister für Rohmaterialien, nach und nach jedoch erwarb er sich – nicht zuletzt aufgrund seines Arbeitspensums und der Fähigkeit, sich an nahezu jeden Filmmeter, den er je gesehen hatte, erinnern zu können – einen exzellenten Ruf als Cutter. In dieser Zeit lernte er den Regisseur Norman Jewison, ebenfalls eine zentrale Gestalt des neuen und frischen Kinos aus Hollywood, kennen, der ihm, obwohl nur drei Jahre älter, ein väterlicher Freund wurde. Ashby war bei einigen Filmen, die Jewison in der zweiten Hälfte der 60er Jahre drehte, hauptverantwortlich für den Schnitt, darunter THE CINCINNATI KID (1965) und IN THE HEAT OF THE NIGHT[6] (1967). Seine Arbeit trug wesentlich zum Erfolg dieser Werke bei. Haskell Wexler behauptete sogar, es sei Ashby gewesen, der Jewisons Talent erst wirklich zum Strahlen gebracht habe und attestierte dessen Filmen, die nach der Zusammenarbeit mit Ashby entstanden, mangelnde Qualität.
Mittlerweile bereits drei mal verheiratet und wieder geschieden, entwickelte Ashby den Lebensstil eines Hippies, was u.a. dazu führte, daß er seine Alkoholsuch ab den späten 60ern mit Marihuana bekämpfte, ein Kraut, dem er zeitlebens treu bleiben sollte. Er war schon in den späten 50er Jahren zur Bürgerrechtsbewegung gestoßen, hatte ein ausgeprägtes Gespür für soziale Ungerechtigkeit, engagierte sich bei Streiks, u.a. der Landarbeiter, und rebellierte innerlich gegen ein kapitalistisches System, das er als ausbeuterisch und zynisch wahrnahm, in dem er aber zugleich reüssieren und Erfolg haben wollte. Das Studiosystem Hollywoods bildete dieses gesellschaftliche System en miniature ab. In gewisser Weise wurde er zu einem Hippie, bevor es Hippies überhaupt gab. Als Rockmusikfan, besonders als Anhänger der Rolling Stones, konnte er an die neu entstehende Szene allerdings schnell andocken und identifizierte sich – obwohl eigentlich 20 Jahre zu alt – mit den Blumenkindern.
Doch beruflich strebte er weiterhin nach Höherem. Er freundete sich mit dem Produzenten Charles Mulvehill an, der wie Ashby von einer anderen, neuen Art Kino träumte, einem Kino, das die Gesellschaft und die Bedingungen abbildete, unter denen Menschen lebten und leben mussten. Diese Freundschaft hielt zumindest unter professionellen Bedingungen, produzierte Mulvehill doch – bis auf Ashbys Erstling THE LANDLORD (1970) – sämtliche Filme des Regisseurs, entweder als Assistant Producer oder aber als ausführender Produzent. Mulvehill kannte Ashby gut und attestierte ihm ein ausuferndes Ego und gab gelegentlich tiefe Einblicke in dessen Persönlichkeit. Daß Ashby bspw. Stars nicht mochte, schrieb er weniger dessen Wunsch nach Qualität des jeweiligen Films, der unter bekannten Schauspielern angeblich leide, als vielmehr dem Wunsch zu, der Regisseur möge der eigentliche Star eines Films sein. Das allerdings war ein Merkmal vieler Filmemacher des ‚New American Cinema‘.
THE LANDLORD – Beginn einer beispielhaften Regie-Karriere
Schon mit seinem Erstling, einer Komödie, die erstaunlich ernsthafte Untertöne aufwies, bewies Hal Ashby eine zutiefst liberale Einstellung und ein waches Gespür für die wesentlichen Fragen der Zeit. THE LANDLORD erzählt, zunächst recht launig, eine Geschichte der frühen Gentrifizierung urbaner Räume.
Berichtet wird von einem reichen Erben, der ein Haus in einer Gegend Brooklyns kauft, die hauptsächlich von Schwarzen bewohnt wird. Durch die Liebe zu einer der Mieterinnen und ein ungewolltes Kind wird er aber schließlich daran gehindert, sein Vorhaben umzusetzen, die Bewohner rauszuschmeißen, das Haus aufzupeppen und teuer weiter zu verkaufen, bzw. die Wohneinheiten teuer zu vermieten, und damit seinem Vater zu beweisen, daß er „es kann“. Stattdessen nimmt er seine Verantwortung an und zieht schließlich mit seiner schwarzen Freundin und seinem Kind in eine der Wohnungen im Haus.
Ashby bediente sich eines manchmal beißenden, manchmal einfach auch nur albern anmutenden Humors, zugleich zeigte er aber auch, daß es möglich war, ein solch diffiziles, 1970 bereits sehr sensibles Thema auf eine unkomplizierte und menschenfreundliche Art und Weise anzupacken. Und auch die für seine Filme so typische leise Melancholie ist hier bereits zu spüren. Diese Herangehensweise steht in einem fast diametralen Gegensatz zu Jewisons IN THE HEAT OF THE NIGHT, der, als Krimi getarnt, auf manchmal brutale, immer bedrückende Weise, vom latenten wie offenen Rassismus in den Südstaaten der USA berichtet und dabei so gut wie keinen Raum für Humor oder auch nur eine gewisse Leichtigkeit lässt. Jewison, der ein durchaus komisches Talent besaß, wie bspw. THE THOMAS CROWN AFFAIR (1968) bewies, bei dem ebenfalls Ashby für den Schnitt verantwortlich zeichnete, hatte seinem Schützling dessen erste Regiearbeit vermittelt und griff ihm unter die Arme. Er half ihm bei all den Widrigkeiten, die im Laufe eines solches Unterfangens – einer eigenen Produktion – auftreten konnten. Allerdings markierte THE LANDLORD sowohl einen professionellen wie privaten Bruch zwischen den beiden, da sie sich über das Ende des Films zerstritten und Ashby sich schließlich über die Anweisungen seines Freundes hinwegsetzte und den Film nach eigenem Gutdünken fertigstellte. So entstand ein im Unterton wehmütiger Film, dessen „Held“ schließlich zwischen allen Stühlen sitzt und lernen muß, daß man manchmal auch mit den besten Absichten nicht immer durchschlagenden Erfolg hat. In der Gemeinde der Schwarzen bleibt er als Sohn reicher, weißer Eltern ein Außenseiter. Ashby verzichtet also auf ein klassisches Happy-End und definiert damit eine Haltung, die typisch für das ‚New Hollywood‘, aber auch spezifisch seiner Filme werden sollte. Zudem bearbeitet schon dieser erste seiner Filme eines seiner bleibenden Themen – Außenseiter.
HAROLD AND MAUDE – Kultfilm, Klassiker, Provokation und Manifest der Gegenkultur
Nun auch in der Arbeit im Regiestuhl geschult, widmete Ashby sich seinem nächsten Werk, das nominell eine Komödie werden sollte. Es basierte auf dem Drehbuch von Peter Bart, der Ashbys ersten Film gesehen hatte und von dessen Arbeit überzeugt war. Da das Buch eine auch für seine Zeit durchaus abseitige Geschichte erzählte, brauchte es einen Regisseur, der in der Lage, willens und mutig genug war, sich auch Abseitigerem zuzuwenden.
Ashby gewann die Oscar-Preisträgerin und gefeierte Bühnen- und Drehbuchautorin Ruth Gordon für das gewagte Stück über eine ältere Dame namens Maude, die gern Beerdigungen besucht, dabei den jungen Harold – erneut ein Sohn aus gutem Hause mit allerdings morbiden Hobbies, u.a. der wiederholten Inszenierung des eigenen Todes – kennen- und schließlich lieben lernt und ihm ein wenig von ihrer durch und durch positiv geprägten, höchst individuell gestalteten Welt vermittelt, bevor sie freiwillig in den Tod geht.
HAROLD AND MAUDE (1971) gehört heute zu den Klassikern des modernen amerikanischen Films, lange war er ein Kultfilm der Studenten- und Kunstkinos. Er traf nahezu hundertprozentig den Nerv seiner Zeit, war aber erstaunlicherweise zunächst kein Erfolg. Für Ashby und Mulvehill ein Schock, hatten sie sich doch als sichere Sieger an den Kinokassen gesehen. Doch war die Zeit für einen solchen Film vielleicht doch noch nicht gekommen. Erst nach und nach erwarb er sich seine Reputation, sein nachhaltiger Erfolg war das typische Ergebnis von Mund-zu-Mund-Propaganda. Vielleicht macht das seinen anhaltenden Status als Kultfilm überhaupt nur möglich.
Daß der Film seinen Erfolg schließlich über die Underground- und Studentenkreise fand, verwundert nicht, führt HAROLD AND MAUDE mit seinem ungleichen Gespann doch zwei Protagonisten ein, die für Individualismus, Freiheit und Selbstbestimmung stehen, ja eintreten, ihre Ideale gegen eine Menge gesellschaftliche Einwände verteidigen und dabei einige Tabus brechen. Zudem führt Ashby dabei lustvoll jene vor, die damals noch guten Gewissens als „Stützen der Gesellschaft“ bezeichnet werden konnten, vor allem der amerikanischen: Eltern, Priester, Experten (hier: der Analytiker), das Militär. Sie alle treten hier als Vertreter des Establishments, als knöchern Konservative, wenn nicht Reaktionäre auf, die sich vermeintlich um die Seele eines Jungen bemühen, den sie für verloren halten. Der damals 23jährige Bud Cort vermittelt in der Rolle des reichen Erben Harold einerseits eine fast naive Unschuld, kann aber zugleich eine gewisse Durchtriebenheit, die der Figur anhaftet, ebenfalls glaubhaft durchscheinen lassen – nicht zuletzt, wenn er schelmisch direkt in die Kamera/ins Publikum lächelt und dabei eine direkte Verbindung zum Zuschauer herstellt, ihn gleichsam zu einem Verbündeten macht.
Harolds stille, autodestruktiv anmutende und dennoch durchaus kreative Revolte gegen sein Elternhaus, das in diesem Fall aus einer Mutter besteht, die unablässig nach einer geeigneten Partnerin für den Filius sucht, ist aber auch der Versuch, mit dieser kalten und abweisenden Umgebung in Kontakt zu treten. In gewisser Weise – und Ashby gelingt es, das auch zu spürbar zu machen – ist es sogar ein Flehen nach mütterlicher Liebe. Seine inszenierten Selbsttötungen sind ein Versuch, die Aufmerksamkeit der Mutter zu erlangen, sie sind aber auch der Wunsch, den Wert des eigenen Lebens in den Augen anderer zu ermitteln. Diese Suche, dieses Flehen kann er erst in der Liebe zu Maude überwinden. Daß Harold das auch heute noch gültige Tabu einer Liebe zwischen einem Jungen und einer sehr viel älteren Frau bricht, stellt in seiner gesellschaftlichen Schicht einen Skandal dar. Deshalb wird diese Liebe als im Freud´schen Sinne ödipaler Komplex dargestellt. Es macht den Charme des Films aus, daß er diese Deutung in dem, was er zeigt, wie er angelegt ist, nie wirklich zulässt.
Beide, Harold und Maude, sind in ihrem gesellschaftlichen Umfeld, in ihrer Alterskohorte und als Vertreter ihres jeweiligen Geschlechts, Außenseiter. Darin sind sie Edgar Winthrop Julius Enders aus THE LANDLORD durchaus verwandt, Harold mit seiner Herkunft sowieso. Ist dort der Vater die Überfigur, die den Jungen gegen dessen Willen vorantreibt, ist es hier die Mutter, ignorant und empathielos, die ihren Sohn unbedingt zu einem passenden Mitglied der Gesellschaft, ihrer Schicht, machen will. Da er einem mormonischen Haushalt entstammte, wusste Ashby, was es bedeutet, ein Außenseiter zu sein. Er konnte das Gefühl der Entfremdung, auch der Angst und Verlassenheit, die diese Rolle mit sich bringt, nur zu gut nachvollziehen Er wusste aber auch, wie man sie künstlerisch verarbeiten kann. Sein Biograph Nick Dawson[7] kommt zu dem Schluß, daß alle seine Filme schlußendlich Außenseitergeschichten sind. Ein Urteil, dem man sich durchaus anschließen kann, auch, wenn man beachten sollte, daß Ashby das Außenseitertum seiner Figuren aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und in einigen der späteren Filme diese Rolle eine selbstgewählte ist, die aus einer gesellschaftlichen, sozialen oder kulturellen Entwicklung der Protagonisten und den damit einhergehenden Erkenntnissen erwächst.
Hal Ashby gelang es in HAROLD AND MAUDE, gleich eine ganze Reihe gültiger Tabus zu zeigen und zu destruieren. Die schon erwähnte Liebe zwischen jung und alt, die Rebellion gegen das Elternhaus mit absoluten Mitteln, Selbsttötung als letzter freiheitlicher Akt eines selbstbestimmten Daseins – der Film musste in einem Umfeld, in dem gerade die bürgerliche Jugend wie nie zuvor gegen die Elterngeneration aufbegehrte, früher oder später ein Erfolg werden. Zudem stattet er Maude mit allerlei Merkmalen aus, die sie für die Hippies als eine der ihren kenntlich machte. Sie lebt in einem alleinstehenden bunten Eisenbahnwaggon, voll mit angesammelten Instrumenten, allerlei Nippes und selbstgeschaffener Kunst, sie ist durchweht vom Geist freiheitlichen Denkens und sieht in der Natur das Leben selbst. Allerdings trägt sie eine eintätowierte Nummer auf dem Arm, was sie als Überlebende der deutschen Konzentrationslager ausweist. Eine Tatsache, die der Film nie explizit thematisiert, jedoch beispielhaft für den subversiven Geist steht, der ihn umweht.
Ashby macht es uns nicht leicht und serviert uns hier nichts Leichtbekömmliches. Diese Menschen haben ihre Geschichte und ihre Haltung, ihre Neurosen[8], wenn man so will, erklären sich aus dieser Geschichte. Doch es ist, wie im Fall der Annahme eines ödipalen Motivs für Harolds Liebe zu einer älteren Frau, erneut eben Ashbys Inszenierungsstil zu verdanken, daß nicht Harold und Maude als neurotisch wahrgenommen werden, sondern vielmehr die Umwelt, die sie umgibt: Seine Mutter, die sich für eine Ehe zur Verfügung stellenden Damen, der Analytiker, der Priester und erst recht der Onkel vom Militär, der für eine komplett neurotische Organisation steht, aber auch jene, die den beiden begegnen – bspw. Polizisten, die, dem damals gängigen Klischee entsprechend, entweder dumm oder von einer machohaften Hypermännlichkeit beseelt sind. Daß Maude in einem Eisenbahnwaggon lebt, hat natürlich in Bezug auf die Tätowierung eine sehr eigene, fast schmerzhafte Bedeutung, steht aber auch stellvertretend für den ebenso feinsinnigen wie melancholischen Humor, der den Film prägt. Dieser feine, gelegentlich auch derbe Humor des Films ist wesentlich für das Gelingen gerade dieses Films.
Daß man schwierige Themen auf fast leichtfüßige und doch auch mit leiser Melancholie versehene Art präsentieren und abhandeln kann, hatte so noch niemand im kommerziellen Kino gezeigt und bewiesen. Mike Nichols THE GRADUATE (1967) zeigt vielleicht Ansätze davon, blieb aber im Kern ein (Melo)Drama. Was beide Filme neben dem tabuisierten Thema der Liebe zwischen jungen Männern und älteren Frauen verband, waren die von Pop-Musikern eingespielten Soundtracks – im älteren Film sind es die Songs von Simon & Garfunkel, im jüngeren die des Briten Cat Stevens – die wesentlichen Anteil daran hatten, den jeweiligen Grundton zu setzen und somit zu integralen Bestandteilen der Handlung wurden.
Vorgriff: SHAMPOO – die große Ausnahme im Schaffen eines Ausnahmekünstlers?
Man könnte sagen, daß mit HAROLD AND MAUDE Hal Ashbys Hauptwerk begann, das dann insgesamt sechs Filme umfasste, inklusive des genannten. Zwischen 1971 und 1979 – also ziemlich genau in jenen Jahren, die später als die Hauptphase des ‚New Hollywood‘ bezeichnet werden sollten, drehte er diese Filme, wobei SHAMPOO (1975) möglicherweise eine Sonderstellung einnimmt, da der Film zwar die stilistischen und künstlerischen Mittel nutzt, die die anderen Filme zu den Ausnahmewerken machten, die sie sind, dennoch aber im Grunde eine herkömmliche Gesellschaftskomödie darstellt, die sich sowohl in Handlung wie der humoristischen Umsetzung nicht wirklich von damals gängigen Werken absetzt. Vielleicht basiert die Beurteilung aber auch darauf, daß der Film ein immenser Erfolg wurde, obwohl er gegenüber Ashbys anderen Filmen vor allem in der scharfen Betrachtung der amerikanischen Wirklichkeit abfiel. Was in seinen Vorgängern liebenswert, bzw. bitter und melancholisch aufbereitet wurde, scheint hier oberflächlich, zu klischeehaft, ja zynisch. Produziert wurde der Film von einem der wichtigsten Darsteller des ‚New Hollywood Cinema‘, Warren Beatty, der nicht nur die Hauptrolle übernahm, sondern auch das Drehbuch verfasst hatte. Beattys Auseinandersetzungen mit seinen Regisseuren sind Legende und es ist davon auszugehen, daß es auch zwischen ihm und dem mit ihm befreundeten Hal Ashby zu Konflikten kam. So wirkt der ganze Film letztlich wie ein Vehikel für den Star, der selber viel zu sehr Teil jenes Establishments war, das hier angegriffen und bloßgestellt werden sollte, als daß das Ganze überzeugend wirken konnte. Ashby war sicherlich kein Freund von Typen wie George Roundy, einem Westentaschengigolo, der unbedingt in Hollywoods Jet-Set aufgenommen werden will. Was ihn mit seinen Vorläufern in den früheren Filmen verbindet, ist sein Außenseiterdasein. Zumindest in Bezug auf jene gesellschaftliche Schicht, der er sich anbiedert.
THE LAST DETAIL – die amerikanische Wirklichkeit unter dem Mikroskop
Weitaus interessanter ist der direkte Vorläufer. Nachdem er HAROLD AND MAUDE abgeschlossen hatte, wendete Ashby sich erstmals einem dramatischen Stoff zu. THE LAST DETAIL (1973) entstand zwei Jahre nach der erfrischenden Komödie und führte zur Zusammenarbeit mit einem weiteren Star des ‚New Hollywood‘, der als Schauspieler mehr noch als Warren Beatty mit dieser Bewegung, wenn man es denn so nennen will, verflochten ist. Jack Nicholson spielt einen Navy-Matrosen, der mit einem Kameraden einen jungen Delinquenten, der für ein leidliches Vergehen eine unverhältnismäßig hohe Strafe aufgebrummt bekommen hat, in ein Gefängnis überführen soll. Die fünf Tage, die dieses Trio auf den Highways, in Zügen und Greyhound-Bussen, in Diners, Restaurants, Bordellen und sogenannten „Juke Joints“ zwischen Virginia und New Hampshire verbringt, führen ein Amerika vor, wie es so im Kino bis dato kaum oder noch nie zu sehen gewesen war. Es ist ein Amerika der Hinterhöfe, der dreckigen Toiletten, der Industriebrachen, der Peripherie. Ein Amerika der „kleinen Leute“. Ashby gelang ein Road Movie, wie es dies so auch noch nicht gegeben hatte und das Maßstäbe gerade für einige der Filme des ‚New Hollywood‘ der kommenden Jahre setzen sollte. Um seinen Film zu realisieren, war er mit seinem vergleichsweise kleinen Stab auf die Straße gegangen, „on location“. Er filmte exakt dort, wo sein Film spielen sollte und fand eine Bildsprache, die nicht nur authentisch wirkt, sondern nahezu dokumentarischen Charakter besitzt. Dies wurde zu einem der ganz wesentlichen Merkmale des `New Hollywood‘: Authentizität, die Straßen und Hinterhöfe als Kulisse, der realistische Blick auf ein zeitgenössisches Amerika in all seiner Morbidität und moralischen Verkommenheit. THE LAST DETAIL zeigt ein zerrissenes, verunsichertes Land, das seiner selbst bereits verlustig gegangen zu sein scheint. Ein Amerika, das aber auch als opportunistisch und manchmal feige gezeichnet wird, was umso schwerer wiegt, da die, die diese Merkmale aufweisen, Vertreter der Institution sind, auf welche sich Amerika immer verlassen zu können glaubte – die Armee, hier: die Navy. Ashbys Kritik ist leise, mehr als wahre Kritik ist THE LAST DETAIL eine Zustandsbeschreibung. Doch daß seine Protagonisten beruflich Soldaten sind, Männer, die das Kriegshandwerk ausüben und doch wirken, wie der Fleißbandarbeiter von nebenan, Männer, die ihre Ruhe und ein Feierabendbier haben wollen, trägt zu der Verunsicherung, die der Film zugleich ausstellt und auslöst, maßgeblich bei. Kann man sich auf diese Institution verlassen? Kann man sich überhaupt noch auf ein Land verlassen, in dem jeder auf einem Rückzug in sich selbst zu sein scheint? Die Frage lässt der Film wohlweislich unbeantwortet.
Trotz all der fantastischen Darstellungen, die in Jack Nicholsons langer Karriere noch folgen sollten, kann man getrost sagen, daß er hier und in dem ein Jahr zuvor entstandenen THE KING OF MARVIN GARDENS (1972), sowie in dem noch früheren FIVE EASY PIECES (1970)[9], die vielleicht besten Leistungen seiner Laufbahn ablieferte. In THE LAST DETAIL gelingt ihm in einer eindringliche Performance die Darstellung eines Mannes, der auf den eigenen Vorteil bedacht ist, ihm eher unangenehme Gefühle für einen Jungen entwickelt, dessen Schicksal ihn rührt, und der dann geradezu erleichtert wirkt, daß dieser Junge ihm schließlich einen Vorwand liefert, sich abzuwenden und seinem institutionellen Auftrag gerecht zu werden. Die Zerrissenheit, der Zynismus und das Changieren zwischen Zuneigung und Kälte drückt Nicholson auf eine Art und Weise aus, wie es vielleicht kein zweiter seiner Generation gekonnt hätte. Bedenkt man all die Geschichten über den Schauspieler, die heute Legion sind, über sein herrisches Wesen, seine Art, mit Regisseuren und dem Team der Filme umzugehen, an denen er mitwirkt, mag es erstaunen, wie sehr der junge Jack Nicholson in der Lage gewesen ist, sein Können ganz in den Dienst eines Werkes zu stellen. Er konnte sich zurücknehmen, wenn es darauf ankam, er war ein brillanter Ensemble-Darsteller, der anderen Raum ließ und zugleich in der Lage, in entscheidenden Szenen sein ganzes Potential so einzubringen, das unvergessliche Kino-Momente entstanden. Heute fast vergessen, wartet THE LAST DETAIL auf seine Wiederentdeckung als das, was er ist: Ein vortrefflicher Livebericht aus der amerikanischen Wirklichkeit der frühen 1970er Jahre.
Exkurs: EASY RIDER – das Road Movie als genuine Erfindung des ‚New Hollywood‘
Für viele ist die eigentliche Initialzündung des ‚New Hollywood‘ Dennis Hoppers EASY RIDER (1969). Zwei Männer fahren auf ihren Motorrädern, die sie mit dem Verkauf von Drogen finanziert haben, durch Amerika. Unterwegs freunden sie sich mit einem dem bürgerlichen Leben entflohenen Anwalt an. Zum Schluß werden sie im Süden von Rednecks erschossen. Die Bewegung als Wert an sich, die es erlaubt, das Land und seine Bewohner zu betrachten, wurde hier explizit aus der Perspektive der Gegenkultur zelebriert. Rockmusik war wichtiger Bestandteil des Gesamtpakets und definierte das Lebensgefühl der Protagonisten, wie sie auch das Lebensgefühl des Publikums ansprach, an welches der Film sich richtete. Er wurde ein immenser Erfolg, ist es bis heute, und veranschaulichte den Produzenten in Hollywood, daß man Filme billig drehen und dabei ein Publikum erreichen konnte, das man eigentlich für Hollywood verloren geglaubt hatte. EASY RIDER bewies darüber hinaus, daß zeitgenössische Themen als Stoff funktionierten und dabei auf eine Art und Weise präsentiert werden konnten, die dem Lebensgefühl eines Publikums entsprach, das sich bewußt von herkömmlichen Elementen des Mainstreams abgewandt und seinen eigenen Stil und kulturellen Ausdruck entwickelt hatte. Es war die Geburt des Road Movies in seiner heute geläufigen Form. Als eigenständiges Genre hatte es so noch nicht existiert, allerdings war die Verwandtschaft zum Western augenfällig[10]. Was dort das Pferd, ist nun das Motorrad oder das Auto, in beiden Fällen liefert die äußere Bewegung selbst den den Film prägenden Rhythmus und analog zu ihr findet eine innere Bewegung/Entwicklung der Protagonisten statt.
EASY RIDER und THE LAST DETAIL – Zwei Versionen des Road Movies
Den sich von bürgerlichen Konventionen befreienden, immer betrunkenen Anwalt spielte auch in Hoppers Film Jack Nicholson. In Hal Ashbys Version eines Road Movies trat er also ebenfalls auf. Die Diskrepanz der Rollen ist ebenso frappant, wie die Gegensätzlichkeit der Sujets. Suchen die von Peter Fonda und Hopper selbst gespielten Freaks in EASY RIDER nach Freiheit und Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Normen, führt der Weg der drei Matrosen in THE LAST DETAIL direkt in den Knast. Einer wird dort bleiben, zwei werden in die enge Hierarchie der Navy zurückkehren. Haben wir es dort mit Vertretern eben jener Subkultur zu tun, für die der Film gemacht war, und der sich Regisseur Hopper sowie Produzent Fonda zugehörig fühlten, sind es hier exemplarische Vertreter einer der wesentlichen Institutionen der U.S.-amerikanischen Gesellschaft. Sind es für Wyatt und Billy – Outlawnamen für Outlaws des Highways – bewußtseinserweiternde Drogen, die Erkenntnis und noch mehr Freiheit versprechen, ist es für die drei Navy-Jungs vor allem der Alkohol, der Freiheit in Form von Unterhaltung, Spaß und vorübergehendem Vergessen bedeutet. Wollen die einen die neue Gesellschaft – oder zumindest den radikalen Bruch mit der herkömmlichen – suchen die andern lediglich eine vorübergehende Zerstreuung, ohne die gesellschaftlichen Bedingungen, trotz der leisen Zweifel, die sie anwehen, in Frage zu stellen. Im Gegenteil: Nicholson und seine Kumpane fürchten sich vor den tieferen Wahrheiten ihrer Zweifel und fliehen diese geradezu. Billy und Wyatt nutzen Motorräder, Symbole der Ungebundenheit, wie es das Pferd – zumindest im Kino – ein solches für die Cowboys und Outlaws war. Die Männer in THE LAST DETAIL müssen sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zufrieden geben. Ist das Amerika in Hoppers Film trotz des bitteren Endes zumindest noch Verheißung, ist jenes in Ashbys Film längst ein heruntergekommener Albtraum aus abgewrackten, verkommenen Wohnvierteln, dreckigen Kneipen und Bahnhofstoiletten. Zweifelsohne ist Ashbys Blick letztlich der härtere, der realistischere und wahrscheinlich auch von mehr Bitterkeit erfüllte. Mögen die Weiten in EASY RIDER die gleiche Freiheit bedeuten, wie einst im Western – in THE LAST DETAIL gibt es keine Weite mehr, und wenn, dann liegt sie in Stadtparks, unter dräuenden Wolken und bedeutet Kälte. Ashbys Film ist kalt, er spielt im tiefsten Winter und die drei Protagonisten halten sich oft im Freien auf, weshalb wir sie wieder und wieder frieren sehen. Vielleicht eines der passendsten Bilder für das Amerika von 1973, das sich finden ließe.
BOUND FOR GLORY – Hal Ashbys Flirt mit dem herkömmlichen Mythos des amerikanischen Films
Vielleicht muß man THE LAST DETAIL als Hal Ashbys Meisterstück ansehen, als seinen besten, weil treffendsten Film. Danach wurden seine Werke nicht weniger bitter, teils auch kontroverser, selten jedoch fingen sie die amerikanische Wirklichkeit genauer ein. Der direkte Nachfolger, SHAMPOO, wurde bereits weiter oben kurz behandelt. Es war Ashbys größter zeitgenössischer Erfolg und vielleicht zeigt schon dieser Erfolg, daß seine Analyse nicht mehr so trostlos stechend gewesen sein kann, wie die des Vorgängers. Vielleicht fiel es einem breiten Publikum auch schlichtweg leichter, die Enttäuschungen eines sich der High Society anbiedernden Möchtegerns, im Grunde eines Filous, zu verfolgen, weil man sich hier nicht unbedingt wiederfand. Roundy/Beatty ist ein Typ, den wir kennen, der wir selber aber nicht sind. Er unterhält verschiedene Liebesverhältnisse und vertraut auf sein gutes Aussehen, ist am Ende aber ein Verlierer, was ihn einerseits sympathisch macht, das Publikum andererseits aber auch insofern zufriedenstellt, weil dessen eigene Unzulänglichkeit in gewisser Weise weniger schwer wiegt. Roundy versucht, was viele wollen, und scheitert, womit das eigene Scheitern leichter zu ertragen ist. Das ist zynisch und spiegelt vielleicht eine zunehmende Verbitterung nicht nur des Regisseurs, sondern auch seines Publikums wider.
Nach dem Ausflug in die Gefilde der Reichen und Schönen, wendete sich Hal Ashby einem explizit historischen, wenn nicht gar mythischen Stoff zu. BOUND FOR GLORY (1976) erzählt in groben Zügen und nicht immer akkurat die Geschichte des jungen Woody Guthrie, der Klassiker des ‚American Songbook‘ wie THIS LAND IS YOUR LAND oder ROLL ON COLUMBIA schrieb, dabei unermüdlich Gewerkschaftsarbeit leistete und immer eine Stimme der Unterdrückten, der Armen und Hoffnungslosen, eine Stimme gegen die Ungerechtigkeit und die Mächtigen blieb. Ashby, immerhin selber ein Kind des Westens und in seiner Selbstwahrnehmung immer auch ein Rebell, der auf der Seite der Verlierer stand, konnte dem Stoff viel abgewinnen. Wahrscheinlich sah er Mitte der 70er Jahre aber auch die Ideale der 60er Jahre langsam schwinden, bemerkte, wie so viele, wie moralisch verkommen das Land war.
Der Vietnamkrieg hatte eine tiefe Schneise durch das kulturelle Amerika geschlagen, hatte die Bürgerrechtsbewegung in ihrem Kampf für die Gleichheit der Rassen bestärkt, hatte sie auch erweitert zu einer Friedensbewegung, die sich massiv gegen den Krieg in Südostasien wandte und der amerikanischen Führung explizit Kriegsverbrechen und Völkermord vorwarf. Der sogenannte Watergate-Skandal, der offensichtlich bis ins Weiße Haus und schließlich bis zu Präsident Nixon reichte, hatte für den weiteren Verfall moralischer Werte und Sicherheiten gesorgt, das ganze Konstrukt der amerikanischen Demokratie schien beschädigt, ja diskreditiert. Hinzu kamen die erste echten Dellen in der wirtschaftlichen Entwicklung, die Ölengpässe und eine erstmals in der Breite entstehende Sorge um die Umwelt. Amerika Mitte der 70er Jahre war, das hatte Ashby ja in THE LAST DETAIL exemplarisch gezeigt, ein zutiefst verunsichertes Land. Vielleicht sah Ashby eine Analogie zu den 1930er Jahren, die noch weitaus tiefgreifendere ökonomische Umwälzungen mit sich brachten. Die ‚Große Depression‘ hatte zu Massenarbeitslosigkeit geführt und der ‚New Deal‘, den Präsident Roosevelt initiierte, fing erst langsam an, zu greifen und die sozialen Bedingungen zu verbessern. Hinzu kam eine extreme Dürre, die die Prärien des Mittelwestens langsam verstauben ließ. Das Leben in Oklahoma, Kansas, in Ost-Texas wurde zusehends unmöglich. Es fehlte an Arbeit und die Menschen erstickten im Staub, der den Gebieten damals den sprechenden Namen „Dust Bowl“ eintrug.
Genau hier nimmt BOUND FOR GLORY seinen Ausgangspunkt und erzählt in einer weiten epischen Bewegung vom Weg nach Westen, den Hoffnungen, die auf Kalifornien gerichtet waren, von den Enttäuschungen und dem Versuch, Solidarität unter den Ärmsten der Armen zu stiften in einem Land, in dem Gewerkschaften nie wohl gelitten waren und immer schon im Ruf standen, durch und durch sozialistisch, ja kommunistisch, zu sein. Die Geschichte Woody Guthries, dieses Volkssängers, der sich ohne Wenn und Aber auf der Seite der Armen verortete, lässt sich wunderbar als eine große amerikanische Erzählung präsentieren. Selten suchte Hal Ashby derart direkt den Weg zum Mythos[11] und selten sah einer seiner Filme aus, wie eine klassische amerikanische Großproduktion im klassischen Studiosystem ausgesehen hätte. Einem System, das immer als Mythen-Maschine fungiert hatte.
BOUND FOR GLORY wirkt wie eine Analogie zu John Steinbecks Meisterwerk THE GRAPES OF WRATH (1939). Dessen Held Tom Joad ist einer jener „Okies“, die auf ihren abgewrackten Lastern, die über und über mit dem Hab und Gut der Familien bestückt waren, gen Westen aufbrachen, wo sie Arbeit und Wohlstand zu finden hofften. Doch der Westen hatte ebenfalls nichts für sie übrig und sie fanden sich in riesigen Camps vor den Feldern der Obstgesellschaften wieder, die 400 Stellen hatten, 1000 versprachen und so 2000 Menschen anzogen, wie es sowohl im Buch als auch in John Fords Verfilmung von 1940 einmal heißt. Das schürte Neid und Mißgunst unter den Pflückern, vor allem garantierte diese Politik einen Konkurrenzkampf, der die Löhne niedrig hielt. Gewerkschaftsarbeit war da ganz sicher nicht gefragt, aber unbedingt nötig
Nicht zuletzt der Verweis auf die Flugblätter, die viel zu viele Jobs versprechen, verdeutlicht die Analogie, die das Buch von Robert Getchell und Ahsbys Regie zu Fords Film und dessen Vorlage ziehen. Wie die Verfilmung von 1940, wird auch BOUND FOR GLORY zu einem Road Movie. Damit korrespondiert er auch mit THE LAST DETAIL. Das große amerikanische Abenteuer des Unterwegsseins wurde im früheren Film in gewisser Weise ad absurdum geführt, nun greift Ashby den Topos wieder auf und belebt ihn aufs Neue. Das weist ihn – wie so viele der Regisseure des ‚New Hollywood‘ – vor allem als einen zutiefst amerikanischen ‚auteur‘ aus. Anders als die Intellektuellen des europäischen Kinos, die das klassische Hollywood zwar verehrten, es aber auch dekonstruierten und in ihren eigenen Werken bewusst auf Kunst und Intellektualität setzten – genannt seien beispielhaft Jean-Luc Godard, Rainer Werner Fassbinder oder Pier Paolo Pasolini – sahen sich Künstler wie Ashby, Coppola oder auch die in New York arbeitenden Martin Scorsese und Paul Schrader, vollends in der Tradition des klassischen amerikanischen Kinos. Das bezeugt ihr Wille zum kommerziellen Erfolg ebenso, wie die genaue Kenntnis ihres Erbes. Scorsese bspw. gilt heute – und galt schon damals, in den 70er Jahren – als eine Art wandelnde Enzyklopädie des Kinowissens.
Wenn Hal Ashby BOUND FOR GLORY also als Road Movie, versteckt in einem Bio-Pic, anlegt und zudem noch als Beitrag zu einem nicht existenten Genre, das vom amerikanischen Showbiz selbst erzählt[12], korrespondiert er klar mit klassischem Hollywoodkino und nutzt sehr bewusst die Topoi, die dieses ihm zur Verfügung stellt. Er und seine Generationsgenossen waren zwar kritisch, aber sicher waren sie durch und durch Amerikaner und darin sogar Patrioten. Sie lehnten ihr Land und sein kulturelles Erbe nicht ab, wie dies bspw. für viele deutsche Künstler der 60er und 70er Jahre festgestellt werden kann, die sich aufgrund der jüngeren Vergangenheit an Deutschland als nationalem Konstrukt rieben. Ashby zeigt in seinen Filmen Fehlentwicklungen auf, er kritisiert und stellt durchaus in Frage, doch vermitteln seine Bilder auch immer eine tiefe Liebe zu diesem Land und seinen Möglichkeiten. Gerade die erste Stunde des Films schwelgt geradezu in den Schönheiten des Landes, was die Diskrepanz zur sozialen Wirklichkeit, die dargestellt wird, umso eindrücklicher macht. Haskell Wexler, der für BOUND FOR GLORY den Oscar für die Beste Kamera erhielt und uns hier als maßgeblicher Vertreter des ‚New Hollywood‘ wiederbegegnet, lieferte betörende Bilder der weiten Steppen und Prärien der Great Plains, durch die die Züge Guthrie und seine Leidensgenossen gen Westen transportieren. Man versteht augenblicklich, daß auch ein Mann wie er nie gegen dieses Land stand, sondern es zutiefst liebte und als ein allen zugängliches und allen gehöriges Territorium verstanden wissen wollte. „This Land is your Land/This Land is my Land“ heißt es in seinem wohl bekanntesten Song. Das war eine deutliche Aufforderung, es in Besitz zu nehmen, es den Krallen der Großgrundbesitzer und der Großindustrie zu entreißen und sich dieser Räume zu bemächtigen.
BOUND FOR GLORY ist ein ebenso elegischer wie wütender Film. Er ist traurig und zugleich nostalgisch, er trauert einer Zeit hinterher, in der die Kämpfe vielleicht übersichtlicher waren, weil Freund und Feind besser voneinander unterschieden werden konnten. Er ist aber auch subversiv, da er es sich erlaubt, explizit politisch zu sein. Seine Wut richtet sich – durch Woody Guthrie als ein Symbol jenes Amerikas, das sich ursprünglich immer für die Schwachen und Unterdrückten eingesetzt hat – gegen ein Establishment, welches meint, Gesetze, Regeln und Normen immer so auslegen zu können, wie es diese gerade braucht. Gerade der Watergate-Skandal hat dies überdeutlich auch einer breiten, der Subkultur, der Ashby sich zugehörig fühlte, nicht zuzurechnenden Öffentlichkeit ins Bewußtsein gebracht.
In seiner Trauer und der Wut, die ihn befeuern mögen, verliert der Film aber eines jener Kennzeichen, die Ashbys Arbeit bisher fast immer ausgezeichnet hatte: Den Humor. Es ist ein weitestgehend humorloser Film, der von einem Amerika erzählt, das sich und seine Seele zu verlieren droht. Der Rückgriff auf die jüngere Historie erlaubte es dem Regisseur, basierend auf Robert Getchells Buch, seinen Protest klar und deutlich und als politisches Statement zu formulieren. Und so wirkt der Film, obwohl es Ashby gelingt, ihn explizit nicht wie eine didaktische Anleitung mit dem Zeigefinger wirken zu lassen – dazu schwelgt er viel zu sehr in seinen Reminiszenzen an das alte Hollywood und Zeiten, die bei aller Bürde besser gewesen sein mögen, unschuldiger – wie ein wütender Protest gegen die aktuellen Zeitläufte. Eine Erinnerung daran, daß es in Amerika vor noch nicht allzu langer Zeit bereits schlimme gesellschaftliche Verwerfungen gab, gegen die aufzustehen und anzukämpfen sich gelohnt hatte. Woody Guthrie war beileibe kein Vergessener. Seine Songs sind teils zu Volksliedern geworden, sie wurden durch Vertreter der Bürgerrechtsbewegung und der Gegenkultur der 60er Jahre, wie Joan Baez oder Bob Dylan, in wacher Erinnerung gehalten und sein Sohn Arlo Guthrie war selbst ein äußerst lebendiger Teil der Hippie-Kultur. Auf seinem Lied-Gedicht ALICE`S RESTAURANT beruhte der gleichnamige Film von Arthur Penn aus dem Jahr 1969, der ein großer Erfolg gewesen war und zum Selbstverständnis wie dem Selbstbewußtsein dieser Generation maßgeblich beigetragen hatte.
Ashby mythisiert Guthrie und schreibt ihn so neben anderen fiktionalen (Tom Joad) und historischen Figuren der amerikanischen Geschichte ein, aber eben auch dem Selbstverständnis, das gerade Hollywood immer von einem (weißen) Amerika entwickelt hatte, in dem im Notfall die Legende der Wahrheit vorzuziehen sei, wie es in John Fords THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE (1962) an entscheidender Stelle heißt. Unter dieser Prämisse ist kein Film des Regisseurs so sehr dem klassischen Kanon amerikanischen Kinos zuzurechnen, wie BOUND FOR GLORY,
Exkurs: Die 1970er Jahre – ein Jahrzehnt analysiert sich selbst unter den Vorzeichen des Krieges
In seiner Humorlosigkeit, wie seinem politischen Protest und der Haltung, die er einnahm, korrespondiert BOUND FOR GLORY auch mit Ashbys Nachfolgeprojekt COMING HOME (1978), einem der ersten Filme, die sich klar und kritisch mit dem Krieg in Vietnam auseinandersetzten. Der Krieg, der offiziell 1975 endete, hatte im amerikanischen Kino erstaunlich wenig Niederschlag gefunden. John Waynes Regiearbeit THE GREEN BERETS (1968), ein Western, den man in den asiatischen Dschungel verlegt hatte, und ein Film, der allenthalben vor allem Belustigung hervorrief aufgrund seiner eklatanten Schwächen und Fehler, war zu Kriegszeiten eine Ausnahme. Zumal es ein reaktionärer und zynischer Aufruf für den Krieg war, was man so von dem Kryptofaschisten Wayne auch nicht anders hätte erwarten können.
Robert Altman hatte 1970 mit M*A*S*H (1970) eine ebenso listige wie auch zynische Kritik am Krieg vorgelegt, die aber behauptete, in Korea zu spielen, obwohl die Bilder und die Ausstattung des Films keinen Zweifel aufkommen ließen, welcher Konflikt hier gemeint war. Basierend auf Richard Hookers Roman, legte Altman allerdings – eher unbewußt, dürfte man meinen – einige Standards für die kommende Dekade und der Filme zum Thema fest. Der Gegner – also die Asiaten im Allgemeinen – kommen hier nicht vor, es ist eine Nabelschau amerikanischen Befindens, wenn auch eine äußerst böse, und der den Film begleitende Song Suicide is painless von Johnny Mandel und Altmans Sohn Mike Altman bringt diese Haltung auf den Punkt. Buch und Film reflektieren eine Gesellschaft, die ihre Jugend verschwendet und in sinnlose Kriege schickt. Danach hatte es kaum oder keine Filme gegeben, die den Krieg thematisierten. Sicherlich auch, weil es schwer war, eine entsprechende Finanzierung für derart heikle Projekte in aufgewühlten Zeiten zu stemmen.
Das Jahr 1978 sah dann gleich zwei Filme, beide deutlich dem ‚New Hollywood‘ zuzurechnen und beide immens erfolgreich an der Kinokasse, die sich des Konfliktes, mehr noch seiner Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft, annahmen. Die Zeit war reif für das Thema. Der eine war Ashbys COMING HOME, der andere THE DEER HUNTER (1978) von Michael Cimino. Interessant an beiden ist, daß sie einen indirekten Zugang zum Thema Krieg wählen, wobei Ashby diese Position konsequenter durchhält als sein Kollege. Erst mit Francis Ford Coppolas Geniestreich APOCALYPSE NOW (1976/79), der im darauffolgenden Jahr für große Aufmerksamkeit und ebensolche Konflikte sorgte, gingen Filmemacher in den Dschungel und zeigten Kampfhandlungen und den Krieg in all seiner prachtvollen Grausamkeit – oder grausigen Pracht. Obwohl auch Cimino eine kurze, fünfzehnminütige Sequenz aus dem Dschungel in sein fast drei Stunden währendes Epos einbaut, liegt sein Augenmerk jedoch auf den Auswirkungen auf die Männer, die fortgingen und als gebrochene oder zumindest stark veränderte Menschen zurückkehrten. Es wurde viel über diese Sequenz gestritten, da sie die Vietnamesen als bösartige, sadistische Unmenschen zeigt, vielleicht glaubte der Regisseur, diese Bilder zu brauchen, um dem Zuschauer zu verdeutlichen, daß der Krieg so oder so die Hölle ist. Vielleicht war er auch der Meinung, die Entwicklung seiner Figuren nicht glaubhaft machen zu können, ohne ihr Leiden deutlich zu zeigen. Fakt ist, daß die ganze Sequenz derart surreal anmutet in einem ansonsten extrem realistischen Film, daß man den Eindruck bekommt, sie sei bewußt als rein subjektive, stark verzerrte Wahrnehmung des von Robert De Niro gespielten Hauptprotagonisten Michael Vronsky angelegt. Allerdings lässt sich trefflich darüber streiten, ob Cimino sich und seinem Film nicht einen Bärendienst erwiesen hat, denn Gesprächsstoff nach der Uraufführung und vor allem während der Präsentation auf der Berlinale im Februar 1979 war der vermeintliche Rassismus, den Cimino angeblich verbreitete.
COMING HOME – der Krieg kehrt heim und erfasst die zivile Gesellschaft
Hal Ashby geht seinen Weg konsequenter als CImino und zeigt nur und ausschließlich die Auswirkungen des Krieges in der Heimat. Jane Fonda, die der spiritus rector hinter dem gesamten Projekt war und einen dezidiert weiblichen Blick auf das Thema Krieg bieten wollte, hatte das Drehbuch verfassen lassen, sie produzierte den Film und spielte schließlich auch die Hauptrolle der Sally Hyde. Deren Gatte Bob geht voller Begeisterung nach Vietnam, wodurch sie plötzlich viel Freizeit und wenig zu tun hat. Sie engagiert sich in einem Veteranenhospital, wo sie Luke Martin kennen- und lieben lernt. Jon Voight[13] spielt diesen Veteranen, der von seinem Einsatz in Vietnam querschnittsgelähmt zurückgekehrt ist. Gemeinsam nehmen sie den Kampf in der Antikriegsbewegung auf und versuchen, die Öffentlichkeit auf die Leiden der Veteranen und auf die Unsinnigkeit des Krieges generell aufmerksam zu machen. Als Sallys Mann heimkehrt, offensichtlich psychisch verstört und zu Gewalt neigend, kommt es zu einer heftigen Konfrontation zwischen den dreien und schließlich zur Katastrophe.
Buch und Regie gelingt es nahezu perfekt, verschiedene politische Themen zusammenzuführen und damit herauszustreichen, wie ganz unterschiedliche Anliegen und Entwicklungen der frühen 1970er Jahre sich bedingten und schließlich zusammenkamen, um eine gemeinsame Bewegung zu formen. Da ist einerseits die Bürgerrechtsbewegung, die fast nahtlos in den Protest gegen den Vietnamkrieg überging, da ist andererseits die Emanzipationsbewegung der Frauen, die gegen ein Schicksal als Supplement von Männern aufbegehrten, die sich nach wie vor als die Herren der Schöpfung betrachteten. Dabei nutzt das Buch in der Figur der Sally eben keine ausgewiesene Feministin, sondern eine Frau, die erst durch die Umstände und ihre Beobachtungen ihrer Situation entwächst, sich befreit und nach und nach sozial und politisch emanzipiert und engagiert. Fonda selbst war da sehr viel weiter, sie hatte mit aufsehenerregenden Aktionen, wie ihrer Reise nach Hanoi im Jahre 1972, früh gegen den Krieg protestiert und sich auch in der Frauenbewegung umgetan. Dennoch war es sicher ein kluger Zug, im Film eine Frau zu zeigen, die nicht von Anfang an politisch wach ist, sondern ihren Weg dorthin zu beschreiben.
Zunächst war John Schlesinger für die Regie vorgesehen, doch konnte der sich mit dem Stoff nicht wirklich anfreunden. So kam Ashby erst spät in das Projekt, eignete es sich dann allerdings an, was ihm bei seiner Vorgeschichte nicht schwer gefallen sein dürfte. War BOUND FOR GLORY ein politischer Film, der sich in historischem Gewand und als Bio-Pic an sein Publikum wandte, dazu ein seine Geschichte durchaus auch romantisierendes Road Movie, entstand mit COMING HOME ein explizit politischer Film, der unmittelbar auf seine Zeit und die Gesellschaft reagierte, von der er erzählt. Trotz seines Erfolgs und auch der durchaus wohlwollenden Kritikerstimmen, die dem Film neun Oscar-Nominierungen, darunter auch die für Beste Regie (Ashbys einzige Nominierung), und schließlich drei Oscars einbrachte, kam durchaus auch Kritik auf. Zu spät käme der Film, wohlfeil sei seine Haltung zu einem Zeitpunkt, da die großen Schlachten der Antikriegsbewegung längst geschlagen, der Krieg beendet war. Er agiere, als sei er Teil dieser Bewegung und als gäbe es noch etwas zu gewinnen. Wahr ist, daß Ron Kovic, an dessen Geschichte die von Luke Martin stark erinnert, sein aufsehenerregendes Buch BORN ON THE 4TH OF JULY[14] bereits 1976 veröffentlicht hatte und die Thematik sicherlich so neu nicht war. Dennoch ist COMING HOME ein aufwühlender Film, in gewissem Sinne sogar ein Resümee, denn Ashby setzte bewußt Songs der späten 60er Jahre als Soundtrack ein, die dem Film einerseits ein authentisches Feeling seiner Zeit geben, andererseits aber auch eine Erinnerung daran sind, daß Musik, gerade Rockmusik, eine wesentliche Rolle in der Revolte gespielt hatte. Auf dieser Ebene kann man den Film also durchaus als Hommage, Reminiszenz und Bilanz jener Zeit sehen, die den Regisseur, die Hauptdarstellerin und viele am Projekt Beteiligte so stark geprägt hatte.
Es ist ein ernster, oft trauriger Film, doch ließ Ashby es sich nicht nehmen, wie in den Vorgängerfilmen BOUND FOR GLORY und auch HAROLD AND MAUDE, einem im Grunde positiven Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen. Es gibt sehr offenherzige Liebes- und Sexszenen, die den Spaß am Körperlichen betonen und zugleich zeigen, daß auch versehrte Menschen in Liebesdingen nicht abseits stehen müssen. Martins Lebensbejahung, die er auch als Waffe gegen seine Gegner einsetzt, stehen den schließlich im Suizid mündenden Erfahrungen von Sallys Mann, den Bruce Dern zwischen sinister und erbarmungswürdig spielt und damit eine der großen Leistungen seiner Karriere abliefert, diametral gegenüber. Martin trägt seine Verletzungen und Versehrungen sichtlich am Körper, Bob Hyde sind sie in die Psyche und Seele eingebrannt, wo sie sich wie ein Krebsgeschwür ausbreiten. Mit seinem und dem Schicksal des jungen Billy Munson, gelingt es dem Film, früh auf das Trauma hinzuweisen, daß viele Vietnamveteranen mit sich trugen, die daheim mit dem Stigma leben mussten, die ersten amerikanischen Soldaten gewesen zu sein, die einen Krieg verloren hatten. Das Post-Traumatische-Stress-Syndrom (PTBS) wurde erst Jahre später als eigenständige psychische Erkrankung wahrgenommen und anerkannt. COMING HOME zeigt es in all seiner Bitterkeit und all der Verwüstung der menschlichen Seele, die es anrichtet.
Man kann Hal Ashby nur schwer einem gewissen Genre zurechnen, doch lässt sich durchaus sagen, daß sich das Gros seiner wesentlichen Filme durch einen warmen, menschlichen, vielleicht sogar humanistischen, immer auch melancholischen Humor auszeichnet. Von THE LANDLORD, über HAROLD AND MAUDE bis SHAMPOO sind seine Filme Komödien in dem Sinne, daß sie das Publikum unterhalten und mindestens auf nachdenkliche Weise zum Schmunzeln bringen. THE LAST DETAIL, BOUND FOR GLORY und COMING HOME stehen diesen als dezidiert dramatische Stoffe gegenüber. Sie sind keine eindeutigen Genrebeiträge – COMING HOME wird generell dem Subgenre des Vietnamkriegsfilms zugerechnet, ist im Grunde aber ein reines Drama. Wie viele seiner Generationsgenossen, bewegt sich Hal Ashby meist zwischen den Genres, greift bestimmte Topoi auf, nutzt sie und erweitert sie und schafft so etwas sehr eigenes. Dabei fällt auf, daß gewisse Themen – Suizid in verschiedenen Facetten, der Kontrast von reich und arm, Außenseitertum – immer wieder auftauchen und aus unterschiedlichen Perspektiven behandelt werden. Sicher hat dies mit seinen persönlichen Erfahrungen zu tun, ebenso aber auch mit seiner Beobachtungsgabe und seinem kritischen Zugriff auf die amerikanische Realität. Mit seinen ernsthaften Dramen bewies er, daß er nicht nur sein Handwerk verstand, sondern daß ihm das reine Drama und eine große Produktion mit entsprechender Ausstattung ebenfalls gelangen. Als nächstes wandte er sich jedoch erneut einem nominell komödiantischen Stoff zu, der im Rückblick geradezu prophetisch anmutet.
BEING THERE – Medienkritik, Metakritik, Prophesie und eine wunderbare Komödie
Es war Peter Sellers, der Ashby in das Projekt BEING THERE (1979) holte. Sellers selbst hielt die Rechte am Buch seit dessen Erscheinen 1971, konnte aber zunächst die Finanzierung nicht auf die Beine stellen. Jerzy Kosiński, der die Vorlage geschrieben hatte, zeichnete auch für das Drehbuch verantwortlich, Ashby übernahm die Regie und hatte auch erhebliches Mitspracherecht in der Pre-Production. Für Ashby sollte es der letzte große Leinwanderfolg werden, bevor er mit dem Aufkommen der 80er Jahre und den damit einhergehenden Veränderungen der Produktionsbedingungen einen Flop nach dem andern drehte, was einerseits mit den Stoffen zu tun hatte, die ihm angeboten wurden, andererseits aber auch mit den Stoffen, die er zu sich nahm, da er schwer mit seiner zunehmenden Drogensucht zu kämpfen hatte. Für Peter Sellers sollte die Rolle des Mr. Chance die vorletzte seines Lebens werden, sicherlich war es seine beste Leistung seit den 60er Jahren. Die 70er hatten ihn vor allem in etlichen eher minderwertigen Filmen und in immer neuen Aufgüssen seiner Paraderolle in den PINK PANTHER-Filmen (1963/1975/1976/1978) gesehen. Die einzige wirklich bemerkenswerte Arbeit neben diesen dürfte MURDER BY DEATH (1976) gewesen sein.
Doch der Part des ebenso höflichen wie naiv-weltfremden Mr. Chance, der unversehens und ohne eigenes Zutun in höchste Washingtoner Kreise, zum Berater eines Industriemagnaten und schließlich des Präsidenten aufsteigt, war Sellers wie auf den Leib geschneidert. Man kann leicht nachvollziehen, warum er sich die Rechte am Buch schnell gesichert hatte. Dieser Mr. Chance reüssiert mit einfachsten Kalenderweisheiten, die er seiner Profession als Gärtner sowie den unendlich vielen TV-Sendungen, die er in seinem Leben gesehen hat, entnimmt – er hat das Haus, in dem er zu Beginn des Films arbeitet, nie verlassen, er nimmt die Welt ausschließlich durch das Medium wahr – und heimst so Ruhm als naiver Philosoph, quasi als ein „Mann vom Berge“, ein. Frauen liegen ihm zu Füßen, gestandene Kerle, die sich Imperien in der Wirtschaft aufgebaut haben, hängen an seinen Lippen und vertrauen auf sein Wort. Doch Mr. Chance „likes to watch“, wie er im Original immer wieder beteuert. Lieber als mit der von Shirley McLaine gespielten Millionärsgattin Eve Rand zu schlafen, schaut er das aktuelle Fernsehprogramm. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, neigen der Geheimdienst und die Präsidentenberater dazu, ihn für den Agenten eines ultrageheimen Secret-Service-Programms zu halten, da sie keine Akten über ihn finden, nichts über seine Herkunft in Erfahrung bringen können. Sie wollen keinem Stutzer oder Blender oder gar einem Wesen aufgesessen sein, das scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht ist. Deshalb stilisieren sie ihn zu etwas, das in ihr Weltbild passt.
Simulation siegt über das Augenscheinliche, die Wirklichkeit wird Verfügungsmasse. Und wir – hier stellvertretend Rand, seine Frau, die Angestellten, der Präsident, dessen Berater und Zuarbeiter – lassen uns nur allzu gern verfügen. Wir sind Opfer der Massenmedien geworden, die unsere Konzentrationsfähigkeit, unsere Aufmerksamkeitsspanne und vor allem unseren Glauben an das, was wirklich IST, längst derart manipuliert und umgeformt haben, daß wir eher an die 30-Sekunden-Weisheiten aus der Glotze glauben, als an das, was wir sehen und hören, wenn wir auf die Straße gehen. BEING THERE erzählt von einem Kommunikationszusammenbruch, weil der, der die Welt nicht kennt, immer genau das sagt, was er meint, die, die Welt zu kennen glauben, die aber Worte nur noch allegorisch verstehen, nicht zuletzt, weil sie selten zuhören und immer schon zu wissen glauben, was das Gegenüber seinerseits meint. Selten war die Volte eines Films ironischer, auch böser in der Reflektion auf ökonomische und politische Macht, die sich, daran lässt BEING THERE kaum Zweifel, gegenseitig bedingen.
Mr. Chance ist ein Nachkomme all der Tore und Schelme der Literaturgeschichte. Er kommt scheinbar aus dem Nichts, er fällt in die Welt, die ihm fremd ist und bleibt und reagiert im Grunde unmittelbar auf sie, allerdings ist diese Unmittelbarkeit schon ein Produkt der Medien. In gewisser Weise ist Mr. Chance selbst ein Produkt der Medien, das perfekte postmoderne Faktotum. Er tut nichts für seinen Aufstieg und einem Bartleby gleich, würde er es eigentlich bevorzugen, auch nicht zu sehr involviert zu sein. Ihn interessieren Fernsehsendungen, er schaut alles weg und erkennt darin die „eigentliche“ Welt. BEING THERE wirkt wie eine verklausulierte, humorvolle Abhandlung über das Eigentliche und das Un-Eigentliche, wie es die postmoderne Theorie in etlichen Texten zu erfassen versucht hat. Die Welt wird, wenn sie medial dargestellt ist. Marshall McLuhans „The media ist the message“ könnte der Leitsatz des Films sein. Tatsächlich ist es der Satz „Life is a State of Mind“.
Kritisch hatten sich schon seit den 60er und 70er Jahren bildende Künstler und Filmemacher mit den Medien, vornehmlich den Massenmedien auseinander gesetzt. Sidney Lumets NETWORK (1976) war eine beißende Satire über Wirkung und Wirkmacht des Fernsehens, doch Ashbys Film hat rückblickend aus Zeiten, in denen ein TV-Süchtiger im Weißen Haus sitzt und die Geschicke Amerikas bestimmt, eine ganz andere, weitreichendere Bedeutungsebene. Wirklich prophetisch kann man den Film mit all seinen Implikationen nennen. Teils nimmt er die kurz darauf veröffentlichten Theorien Jean Baudrillards zum Simulakrum und der Simulation vorweg, die bis dato in Ansätzen in verschiedenen Aufsätzen erarbeitet worden waren. Es wäre interessant, zu wissen, ob Ashby diese gekannt hat. Da allerdings das Buch, auf dem der Film beruht, bereits 1971 erschienen ist, sollte man nicht zwingend davon ausgehen, daß diese theoretischen Ansätze hier wirklich und bewusst eingeflossen sind.
Neben all diesen theoretischen Überlegungen sollte man aber auch nicht vergessen, daß BEING THERE einfach eine wirklich liebenswerte, charmante und einmal mehr auch einen warmen Humor verbreitende Komödie mit einem zutiefst melancholischen Grundton ist. Sicher, der Film ist eine Satire und in vielen seiner Beobachtungen genauer als Lumets älterer Film, einiges ist geradezu sarkastisch, anderes bitterböse. Doch die Figur des Mr. Chance, dem Ashby nicht zuletzt mit dem Ende des Films, in dessen Abgang, sogar eine mystische Note verleiht und damit den Interpretationsspielraum für den Film enorm erweitert, ist in ihrer Naivität eine der prägenden und bleibenden Figuren des (postmodernen) Kinos geworden. Heute, in Zeiten der totalen Psychologissierung, würde man diesen Mann wahrscheinlich als Autisten betrachten, doch zeichnet es Ashbys Film eben auch aus, daß er diese Möglichkeit vielleicht zulässt, ihr aber kontextuell keine Bedeutung beimisst. Chance ist da, und sein Da-Sein stellt für alle und jeden ein Rätsel dar. Erst aus dieser Position eines medialen Kaspar Hauser heraus kann er die Stellung einnehmen, die er im Laufe des Films innehat. Die er aber nie anstrebt. Er ist, was sein Name sagt: Mr. Chance. Sich bietende Chancen auf ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und einen Freund ergreift er. Instinktiv. Nie stellt der Film in Frage, daß Chance seinem Förderer Rand äußerst zugewandt ist. Dessen Tod berührt ihn zutiefst. Für ihn ist ein Freund – vielleicht der einzige, den er je hatte – von ihm gegangen. Die politischen und familiären Implikationen begreift er nicht.
BEING THERE korrespondiert auf vielerlei Art und Weise direkt mit HAROLD AND MAUDE. Ist Maude Chardin in ihrem Umfeld vielleicht die „schrullige Alte“, die wir aber schlagartig besser verstehen (und einordnen) können, wenn wir der Nummer auf ihrem Arm gewahr werden, ist Mr. Chance der Außenseiter par excellence, der nicht mehr erklärt wird, dessen Anwesenheit in der Welt wirklich ein Mysterium darstellt, hat er doch eben keine Geschichte. Er hat aber ein ähnliches Verhältnis zu den Dingen und der Natur. Maude liebt die Natur und sie bringt Harold allerhand bei, vor allem aber erklärt sie ihm die Einzigartigkeit allen Seins. Sie und Harold retten in einer wahnwitzigen Aktion einen darbenden Baum, der in einem Bottich vor einem Hotel zu verdorren droht. Chance weist bei seinem ersten Eintritt in die Welt einen Polizisten darauf hin, daß ein Baum, der an der Avenue vor dem Weißen Haus steht, dringender Pflege bedürfe, es gehe ihm nicht gut[15]. Bevor Chance dann seinen letzten Weg des Films, hinaus auf einen See, antritt, sehen wir ihn, wie er ein eingeschneites Bäumchen aufrichtet. Sicher ist Maude die reellere Figur und vor allem die liebenswürdigere, da sie in einer sozialen Wirklichkeit verankert ist. Doch Chance, dieses Produkt eines Massenmediums, erweist sich gerade in seiner Naturverbundenheit ebenfalls als ein im Grunde dem Natürlichen durch und durch ergebenes Wesen. Nur kann er Natürliches und Unnatürliches nicht differenzieren. Chance ist eine Kunstfigur, wie es sie nur selten auf der Leinwand zu bestaunen gab. Doch in seiner Künstlichkeit konfrontiert er seine Umwelt und damit auch uns, als Zuschauer, mit unserer eigenen Entfremdung, wie es auch Maude Chardin acht Jahre zuvor getan hatte.
Die Rückkehr zur Komödie stellt in gewisser Weise auch die Rückkehr zu den Idealen und Hoffnungen dar, die der Regisseur einst gehegt hatte. Allerdings werden diese in BEING THERE abstrakt und auf einer Metaebene verhandelt. Die Umwelt der Figur hat sich zwar gewandelt, doch scheint sie aus den Ereignissen des früheren Films nicht gelernt zu haben. Sie ist ihrerseits noch verstörender und weltfremder, als es Harolds kriegsgeiler Onkel, der verkniffene Analytiker oder die ignorante Mutter waren. Vor allem hat die Entfremdung hier weitere Auswirkungen: Es sind die Menschen an den Hebeln der Macht, die nicht erkennen können, was ist. In HAROLD AND MAUDE konnte eine direkte Umwelt die Liebe nicht erkennen, die Menschen in BEING THERE können die Wirklichkeit nicht mehr erkennen und sind nicht mehr in der Lage, zu kommunizieren. So ist die Analyse in BEING THERE weitreichender – und in ihrer Conclusio auch sehr viel bedrohlicher. Diese Entwicklung ist sicher auch Ashbys zwischenzeitlichen Ausflügen ins ernste Fach, speziell der Auseinandersetzung mit dem jüngsten Krieg, geschuldet. Die kommunikative Fehlbarkeit der Mächtigen wurde anhand des Vietnamkriegs ja überdeutlich.
Hal Ashbys späte Filme, die 80er Jahre und der Niedergang des ‚New American Cinema‘
Es erstaunt vielleicht, daß solch ein kraftvoller Regisseur wie Hal Ashby mit BEING THERE seinen letzten großen Erfolg feiern konnte. Alle Filme, die folgten, bis auf zwei Musikdokumentationen, floppten an den Kinokassen und konnten auch keine positiven Kritikerstimmen hinter sich vereinen. Man kann die Gründe dafür sowohl in den sich wandelnden Bedingungen des Filmemachens, als auch in den persönlichen Entwicklungen des Künstlers suchen. Nach dem Erfolg von COMING HOME hatte er seine eigene Produktionsfirma, die Northstar, gegründet, ein Unterfangen, an dem nicht zuletzt Francis Ford Coppola mit seiner Zoetrope bereits mehr oder weniger gescheitert war. Ein sich zunehmend in den Wirrnissen privater Verwicklungen wie auch den immer schwieriger werdenden Anforderungen im Business verheddernder Regisseur mag damit schlicht überfordert gewesen sein. Ashby war das Kind einer bestimmten Zeit, die ihre ganz eigenen Ideale und Hoffnungen hervorgebracht hatte. Die 70er Jahre hatten diesen Geist noch geatmet, doch waren sowohl die gesellschaftlichen wie kulturellen Risse und Konflikte härter geworden, unübersichtlicher.
In den 60er Jahren konnte man den Gegner sicherlich einfacher identifizieren und die eigene Position auch klarer bestimmen und vertreten. Die 70er waren indifferenter. Politische Eindeutigkeiten waren bspw. unter dem Eindruck massiven linken Terrorismus moralisch weniger klar, zu oft war im Namen des „Guten“ Schlimmes geschehen und mussten zunächst als Verbündete Wahrgenommene, deren Anliegen sich z.B. in einem internationalen Kampf um Gerechtigkeit „richtig“ anfühlte, auf Distanz gehalten werden. So erging es vielen linken oder sich links gebenden Intellektuellen und Friedensbewegten nach dem Olympiaattentat 1972 in München mit den Palästinensern, so erging es vielen Linken in der westlichen Hemisphäre mit den heimischen Terrorgruppen – der „Roten Armee Fraktion (RAF)“ in Westdeutschland, den „Brigato Rosso“ in Italien, dem „Weather Underground“ in den U.S.A. Kulturell erwies sich die zunächst als natürliche Verbündete wahrgenommene Rockmusikszene als anfällig für das große Geld und die dekadenten Verführungen eines nahezu aristokratischen Lebensstils. Einstige Hippiebands, wie die Fleetwood Mac, oder auch die Ende der 70er Jahre bereits zu Superstars avancierten Rolling Stones, aber auch die härteren Rockbands wie Led Zeppelin, pflegten einen Lebensstil, der nicht mehr viel mit den Ideen von Kommunen oder alternativen Lebensentwürfen zu tun hatte (wenn sie es denn je wirklich hatten). Zudem hatten Kokain und Heroin Einzug in die Szene gehalten und der Drogenkonsum wurde allgemein immer heftiger und bestimmender.
Viele derer, die sich zu Beginn der 70er mit viel Kreativität, Verve und Enthusiasmus aufgemacht hatten, den Film, die Musik, die bildende Kunst zu erneuern und mit Ideen zu füttern, waren satt geworden, sonnten sich in ihren Erfolgen oder verloren langsam ihre künstlerische Kraft. Speziell in der Film- und Musikbranche machte sich zudem der Geist des Big Business breit. Nach einem Jahrzehnt des Probierens, hatten die Großkonzerne begriffen, wie man vor allem mit Rock- und Popmusik sehr viel Geld verdienen konnte. In der Filmszene übernahmen zu Beginn der 80er Jahre immer mehr Multikonzerne das Kommando und setzten an die Spitze der Studios nicht mehr Filmverrückte, wie es die Tycoons des klassischen Hollywood der „goldenen Ära“ gewesen waren, sondern eiskalt kalkulierende Betriebswirte, Managertypen, die einmal erfolgreiche Konzepte bis zum letzten Tropfen aussaugten.
Es waren ja mit Steven Spielberg und George Lucas, aber auch Francis Ford Coppola, dezidiert Vertreter des ‚New Hollywood‘ gewesen, die Hollywood den Weg aus der Falle des Fernsehens wiesen, das dem Kino in den 1960er Jahren so zugesetzt hatte. Spielberg hatte mit JAWS (1975) praktisch den ersten Blockbusterfilm der Kinogeschichte abgeliefert – ein Film, der immensen finanziellen Erfolg generierte und über Wochen die großen Kinosäle blockierte. George Lucas hatte das Prinzip verfeinert und erweitert. STAR WARS (1977) war ein Riesenerfolg, doch wirklich in neue Dimensionen stieß er durch die Komplettvermarktung des Films als Produkt mit Merchandising im Bereich Spielzeug, Memorabilia und Alltagsgegenständen und etlichen Ablegern im TV, in der Comic- und Buchbranche vor. Hier sahen die Manager die wirkliche Zukunft des Kinos. Es sollte nicht mehr eine Kunstform, es sollte eine Industrie sein, die genauso nach Gewinn- und Verlustrechnungen funktionierte, wie bspw. die Autoindustrie. Das Ergebnis dieser Entwicklung kann man heute mehr denn je beobachten. Zum Glück haben Produktionsbedingungen, die sich vor allem durch die Digitalisierung verbilligt haben, es möglich gemacht, daß neben den Filmen aus Hollywood, die inklusive ihrer Werbebudgets gelegentlich bis zu 300 Mio. Dollar teuer werden können, eine ganze Reihe Filmemacher versuchen, dem Kino immer wieder neue Ideen zukommen zu lassen und künstlerischen Input zu verleihen.
Doch davon war man 1979/80 noch weit entfernt. Zunächst wurden die Weichen in Richtung der gerade beschriebenen Entwicklungen gestellt. Zudem wandelte sich der Zeitgeist. Experimente, kritische Stoffe, innovative Ideen waren nicht mehr gefragt, Filme sollten stringent erzählen und das Publikum vor allem unterhalten. Ronald Reagan wurde 1981 zum 40. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Zuvor war er lange Zeit Gouverneur von Kalifornien gewesen und gerade den Linken, den Hippies und den Yippies zu einem Feindbild geworden. Er versprach einen Ausweg aus der moralischen Krise und auch, Amerika wieder „groß“ zu machen, was damals vielleicht sogar ein in konservativen Kreisen durchaus angebrachter Slogan gewesen sein mag. Die Schmach des als verloren wahrgenommenen Vietnamkriegs sollte endlich getilgt werden. Man wollte wieder offen patriotisch, man wollte stolz auf sein Land sein. Die Stimmung, die Reagan schließlich in das Weiße Haus trug, machte sich durchaus schon früher bemerkbar. Filme wie COMING HOME oder BOUND FOR GLORY stehen auch deshalb stellvertretend für den Geist des ‚New Hollywood‘, weil sie in ihrer kritischen Haltung zur amerikanischen Realität beispielhaft sind. Doch das Selbstkritische, auch Zweiflerische, das bspw. ein Film wie Bob Rafelsons FIVE EASY PIECES anhaftete, war nicht mehr gefragt. Kino sollte für 2 Stunden oder länger für Ablenkung sorgen. Man wollte keine Berichte aus der Wirklichkeit mehr sehen, nicht den Spiegel vorgehalten bekommen und mit den eigenen Unzulänglichkeiten konfrontiert werden. Es sollten Superhelden sein, die die Leinwände bevölkerten, Menschen, meist Männer, die möglichst schnelle und einfache Lösungen hatten, keine Figuren, die man tagtäglich in seiner Nachbarschaft antreffen konnte. Es kommt nicht von ungefähr, daß eine Figur wie John Rambo, den Sylvester Stallone erstmals 1982 in FIRST BLOOD (1982) auf die Leinwand brachte, quasi stellvertretend für das extrem männliche Mainstream-Kino der 80er Jahre stehen kann.
Doch war kaum jemand weniger geeignet für diese Art Kino, als Hal Ashby. Mochte er auch seinen Hippie-Lebensstil, der zunehmend in den dekadenten kalifornischen überging, beibehalten haben, war er doch auch ein Kino-Nerd. Er wollte weiterhin Filme machen, koste es, was es wolle. So war er durchaus bereit, seinen Stil zu Beginn der 80er Jahre den Gepflogenheiten anzupassen, um arbeiten zu können. Den Komödien, die zwischen 1979 und 1985 entstanden – SECOND-HAND HEARTS (1979, veröffentlicht 1981), LOOKIN´ TO GET OUT (1982) und THE SLUGGER`S WIFE (1985) – sieht man dieses Bemühen ebenso an, wie man den langsamen künstlerischen Niedergang des Regisseurs bemerken kann. Sein zunehmender Drogenkonsum wurde ein wirkliches Problem am Set, immer wieder gab es Schwierigkeiten mit den produzierenden Studios oder dem Vertrieb. Jene Filme, die Ashby für seine eigene Company drehte, waren zudem durchweg Flops, sieht man einmal von BEING THERE ab, der aber noch unter der Obhut der Lorimar Company entstanden war. Wirklich zu sich selbst kam er noch bei den Musikfilmen LET`S SPEND THE NIGHT TOGETHER (1983), der die Nordamerikatournee der Rolling Stones im Jahr 1981 dokumentiert, und SOLO TRANS (1984), ein Konzertfilm für Neil Young, die zumindest einige seiner musikalischen Helden portraitierten. Bedenkt man, daß der erste Film dieser Art WOODSTOCK (1970) gewesen ist, der ebenfalls als eine Initialzündung des ‚New Hollywood‘ gilt, kann man natürlich in gewisser Weise von einer Rückkehr zu den Anfängen seines Schaffens sprechen.
Den Abschluß seiner Karriere als Kinoregisseur fand Ashby in 8 MILLION WAYS TO DIE (1986). Viel lässt sich über diesen Thriller nicht sagen, vor allem nicht viel Gutes. Es ist ein Genrefilm, der als Drama beginnt – ein latent alkoholsüchtiger Detective wird endgültig zum Alkoholiker, weil er im Einsatz einen Menschen tötet – und sich dann zu einem Thriller wandelt – derselbe Detective wird von einer Prostituierten um Hilfe gebeten und gerät dadurch in die Kreise eines Drogendealers – , der dem Genre wenig bis nichts hinzuzufügen hat und am ehesten als Beispiel für die manchmal etwas redundanten Thriller der 1980er Jahre gelten kann. Wenig ist geblieben von der Genauigkeit des Blicks, die Ashby einmal auszeichnete, wenig von seiner Herangehensweise und obwohl der Film von Oliver Stone geschrieben wurde, erstarren die Figuren in Klischees, gerinnen zu Stereotypen. Ashby versucht, seiner Linie, die sozialen Bedingungen dieser Figuren herauszuarbeiten, treu zu bleiben, dennoch verflacht das alles und erstarrt dann in leidlich spannenden Actionsequenzen und Verfolgungsjagden. Von den sozialen Bedingungen her steht der Film mit dem Umfeld, in dem der Hauptteil der Handlung spielt, auch am ehesten SHAMPOO nahe. Die Reichen und die Schönen in Los Angeles sind es, die er portraitiert. Allerdings lässt er sie ähnlich unsympathisch wirken, wie der frühere Film.
Leider stand Ashby, sieht man von Jeff Bridges einmal ab, ein schauspielerisch eher begrenzt talentiertes Ensemble an Schauspielern zur Verfügung. Man merkt, daß der Regisseur sich offenbar mit dem Sujet unwohl fühlte, es gibt teils recht unappetitliche Geschichten darüber, wie er sich am Set benommen haben soll, obwohl er, um wieder arbeiten zu können, schon zuvor versucht hatte, seinen Drogenkonsum einzuschränken. Schließlich geriet er mit den ausführenden Produzenten in Streit, die ihn am letzten Drehtag rausschmissen und vom Set verbannten. Schlimmer dürfte für ihn der Verlust der Schnittrechte gewesen sein. Die veröffentlichte Fassung war ohne sein Zutun geschnitten und montiert worden und man merkt dem Film eine gewisse Inkohärenz, ja Unentschiedenheit an. Es tauchte später eine Schnittfassung auf, die der Regisseur wohl selbst hergestellt hat, allerdings hat auch diese nicht für Furore gesorgt.
Ashby war sicher kein Mann fürs reine Genre, aber wenn, dann war er mit seinem Humor und dem wachen Blick für soziale Bedingungen ganz sicher erst recht der Falsche für das im Laufe der 80er Jahre immer zynischer und reaktionärer gewordene Thriller-Genre. So bleibt sein Vermächtnis ein unentschiedener und letztlich eher dröger Film, voller Klischees und überflüssiger Szenen und Dialoge. Danach folgten zwei TV-Produktionen, doch schon während der Arbeit an 8 MILLION WAYS TO DIE hatte er die Diagnose einer schweren Krebserkrankung erhalten, die ihn schließlich am 27. Dezember 1988 das Leben kostete.
Was bleibt?
Hal Ashbys Filme sind heute, Jahrzehnte nach ihrer Erstveröffentlichung, vielen immer noch ein Begriff. In Experten- und Kollegenkreisen genießen sie sowieso enormen Stellenwert, für Filmemacher sind sie Mark- und Meilensteine des ‚New American Cinema‘ der 70er Jahre und sie bilden als solche auch eine Referenzgröße. Doch auch beim Publikum erfreuen sich einige von ihnen weiterhin einer gewissen Beliebtheit. Eine Komödie wie HAROLD AND MAUDE hat ihren Status als Kultfilm – resultierend aus einer Zeit, da dies noch ein wirkliches Qualitätsmerkmal war, weil durch Mund-zu-Mund-Propaganda ehrlich erworben – generationsübergreifend behaupten können; bis lange in die 90er Jahre hinein lief er regelmäßig in Studenten- und Programmkinos überall auf der Welt. SHAMPOO gilt nicht einmal als Produkt des ‚New Hollywood‘, vielmehr steht er in einer Reihe mit den großen Erfolgsfilmen der 70er Jahre, wie THE STING (1973), JAWS oder STAR WARS. BEING THERE wird ebenfalls noch als Klassiker des komischen Kinos wahrgenommen. BOUND FOR GLORY wird den besseren Bio-Pics zugerechnet; COMING HOME als einer jener frühen, das Metier definierenden, Vietnamkriegsfilme genannt, wenn Klassiker des Subgenres wie APOCALYPSE NOW oder PLATOON (1986) besprochen werden. Und auch ein mißlungener Thriller wie 8 MILLION WAYS TO DIE behält einen gewissen Nimbus als typischer Stellvertreter des Kinos der 80er Jahre.
Allerdings ist den meisten, die diese Filme heute zumeist im Fernsehen betrachten, der Name des Regisseurs kaum bekannt. HAROLD AND MAUDE bspw. bleibt wegen seiner warmherzigen Verteidigung des Individualismus auch der Außenseiter in Erinnerung – und natürlich wegen Ruth Gordon als altersweise Maude. BEING THERE erinnert immer wieder an den großen Peter Sellers, als dessen Film er wahrgenommen wird. BOUND FOR GLORY, der sicherlich am ehesten in Vergessenheit geratene der genannten Filme, interessiert vor allem wegen seines Gegenstands, Woody Guthrie, der vielen auch heute noch ein Begriff ist, in den U.S.A. allemal. Zudem zeichnet er ein authentisches Bild der Vereinigten Staaten während der ‚Großen Depression‘ der 1930er Jahre. 8 MILLION WAYS TO DIE dürfte heute vor allem wegen des immer noch sehr beliebten Jeff Bridges interessieren, den auch jüngere Generationen durch Filme wie THE BIG LEBOWSKI (1998) oder TRUE GRIT (2010) kennen.
Es sind also die Themen, die Schauspieler, der Ton und die Atmosphäre der Filme, die sie geprägt, die sie einer kollektiven Erinnerung eingeprägt haben. Weniger scheint es der Stil zu sein. Vielleicht liegt das daran, daß Ashby nicht, wie bspw. Steven Spielberg oder George Lucas, als Regisseur vornehmlich eines Genres wie der Science-Fiction wahrgenommen wird. Als reinen Komödien-Macher kann man ihn ebenfalls nicht bezeichnen, obwohl gerade seine Filme der frühen 80er Jahre alle in dieses Metier fallen. Jene Filme, die sein Image und seine Reputation bestimmen, sind eben nicht durchweg Komödien, es sind Sozialdramen mit einem gewissen, eben oft melancholisch-humoristischen Touch. Wie weit er zu gehen bereit war, um die Conditio humana zu ergründen, zeigt sich gerade in HAROLD AND MAUDE und ihrem angedeuteten Schicksal als Überlebende des Holocaust. Ashbys Figuren sind durch ihre Geschichte determiniert, sie sind aber nicht schicksalsergeben. Sie sind willens, sich aufzulehnen und ihren eigenen Weg zu gehen. Zumindest, ihn zu suchen. Oft sind sie, da hat Hans Günther Pflaum in seinem Essay zu Ashby durchaus recht, Neurotiker, die diesen nicht entkommen oder entkommen können[16]. Ursprung dieser Neurosen sind meist Ehe und Familie, auch die soziale Schicht, der sie entstammen. Allerdings, auch das sei angemerkt, schrieb Pflaum seinen Text, bevor BOUND FOR GLORY erschien. Denn sowohl hier als auch in COMING HOME kann man durchaus davon sprechen, daß die Figuren ihre Neurosen zumindest überwinden. Sally findet eine positive Wendung, um ihrer Ehehölle mit Bob zu entgehen. Der allerdings bleibt auf der Strecke, muß man doch davon ausgehen, daß das Schlußbild des Films seinen Selbstmord insinuiert. Und auch, wenn BEING THERE sicher eine ganze Reihe von Bedeutungsebenen hat, darunter eine durchaus mythische, mindestens mystische, kann auch in Mr. Chance´ Fall davon gesprochen werden, daß er seine Neurose überwindet (wenn es denn eine ist). Vielleicht fand mit BOUND FOR GLORY ein wirklicher Paradigmenwechsel in Ashbys Schaffen statt?
Ashby hat auch keinen im engeren Sinne auffälligen, sich aufdrängenden Stil geprägt, vielmehr passt er sein Wirken. Seinen Stil, stilistisch dem jeweiligen Thema des Films an. Dennoch gibt es einen Stil, der Hal Ashby ausmacht. Es ist natürlich vor allem sein Wirken als definierender Akteur des ‚New Hollywood‘. THE LANDLORD und THE LAST DETAIL stehen dafür. Auch HAROLD AND MAUDE und COMING HOME, der gern als letzter wahrer Beitrag zu diesem Zweig des Kinos der 70er Jahre betrachtet wird, weisen deutlich die dem Begriff zugeschriebenen Merkmale auf. Doch schon bei SHAMPOO wird das schwierig, zu sehr schmeckt der Film nach damaligem Mainstream. BOUND FOR GLORY kann man in vielerlei Hinsicht als Hollywood-Film nach klassischem Muster betrachten, auch wenn Wexlers Kamera gelegentlich – erstmals kam hier die Steadicam in einem Spielfilm zum Einsatz – noch deutliche Anzeichen des dokumentarischen Charakters des ‚New Hollywood‘ aufweist.
Noch einmal mit Hans Günther Pflaum betrachtet, führen Ashbys Filme wirklich fast immer von geschlossenen Räumen ins Freie[17]. Fast wird dies noch offensichtlicher, als es Pflaum 1976 anhand der bis dato erschienenen Filme thematisieren konnte, in den späteren Werken. Guthrie sitz am Ende des Films wieder auf den Zügen und durchquert das Land, nachdem er dem engen und fast stickigen Haus an einer Eisenbahnlinie in Los Angeles entflohen ist; Mr. Chance wandelt – einem Jesus gleich, der zu sein seine Rolle als unmöglicher Guru durchaus impliziert – auf dem Wasser eines Sees; lediglich in COMING HOME wird dieses Bild umgedreht, denn Bob Hydes Weg ins Offene ist das Meer. Der Tod. Vielleicht eine Korrespondenz mit HAROLD AND MAUDE – die Apotheose des Todes als vollkommenem Freiheitsgedanken. Dies sind Beispiele für Stilelemente, die Ashbys Filme durchgängig prägen.
Die Zeit, das Kino, die ganze Art und Weise, wie Filme gedreht werden, wie sie entstehen, haben sich seit den 70er Jahren grundlegend geändert. Konnte man damals gut und gern zwischen Mainstream- und Arthouse-Kino (das es in dieser Form und dieser Begrifflichkeit nicht gab, man sprach vom „Autorenkino“) unterscheiden, sind die Grenzen heutzutage längst verwischt. Das mag nicht zuletzt an Filmemachern wie Quentin Tarantino liegen, die sich beim Look ihrer Filme durchaus an großen, klassischen Produktionen orientieren, die aber zugleich all die Kunstkinofilme von Godard bis Antonioni, von Pasolini bis Tarkowskij kennen und selbstverständlich auch diese Einflüsse in ihre Arbeiten und damit ins heutige Mainstreamkino einfließen lassen. Das ‚New Hollywood‘ mag heute zwar nicht vergessen sein, sein Einfluß ist jedoch eher strukturell zu spüren, weniger in Einzelwerken. Dennoch merkt man immer wieder, daß vor allem amerikanische Filmemacher auch und gerade von Werken dieser Epoche geprägt wurden. Vielleicht, doch das ist reine Spekulation, hat das „New American Cinema‘ letzten Endes seine stärksten Einflüsse doch im Genrekino hinterlassen. Ob THE FRENCH CONNECTION (1971) im Fach Kriminalfilm, THE GODFATHER (1972) im Genre des Gangsterfilms, ob THE EXORCIST (1973) im Horrorfilm oder THE DEER HUNTER als Kriegsfilm, ja, selbst ein spätes und lange verkanntes Meisterwerk wie HEAVEN`S GATE (1980) im Westerngenre – diese Filme und ihr maßgeblicher EInfluß sind heute alle noch relevant. Sicher haben die verantwortlichen Regisseure – namentlich Coppola, Friedkin und Cimino – im Vergleich zu Hal Ashby eindrücklichere Spuren im amerikanischen Film hinterlassen, da sie einen ausgeprägteren Stil einbrachten, eigenwilligere, manchmal wirklich prätentiöse, kreative Ideen umsetzten und vor allem aufsehenerregendere Stoffe suchten und bearbeiteten. Doch sollte Ashbys Vermächtnis dennoch nicht untergehen oder in Vergessenheit geraten. Zu wesentlich war sein Wille, andere, manchmal sicher unscheinbare Inhalte auf eigene, eher unaufgeregte Art und Weise zu erzählen. Ashby sollte man zu einem jener Regisseure zählen, die sich in den Dienst ihres jeweiligen Sujets stellten und damit zu Wegbereitern wurden. In unmittelbarer Referenz auf ihre Zeit, gelang es Künstlern wie den genannten Hal Ashby, Robert Altman, Haskell Wexler, Jerry Schatzberg oder Bob Rafelson, dem amerikanischen Kino völlig neue Impulse zu verleihen, es auf eine neue kreative Ebene zu heben und ihm nicht nur inhaltlich, sondern auch formal, neue Räume, ja Dimensionen, zu erschließen.
Von Ashby wird mindestens ein Werk wie HAROLD AND MAUDE bleiben und wahrscheinlich noch auf lange Zeit Zuschauer überall in Retrospektiven oder Mitternachtsvorstellungen oder auch im Fernsehen bezaubern. Und vielleicht wird der eine oder andere sich fragen, was dieser Regisseur noch gedreht hat und sich dann einen kleinen Kosmos feiner, teils wundervoller, teils bitterböser Filme über das Amerika einer anderen, lange vergangenen Zeit erschließen. Filme, die ihm eine Menge darüber verraten werden, wie dieses Land zu dem wurde, was es heute ist. Aber auch Filme, die ihm verraten können, wie das Hollywood-Kino hätte werden können, wenn nicht einige aus dieser Generation von Filmemachern den Verlockungen des Erfolges – und damit des ganz großen Geldes – erlegen wären und dieses Kino dann in eine Richtung geführt haben, die es heute zwar zu einer Gelddruckmaschine gemacht, künstlerisch jedoch weitestgehend marginalisiert hat.
[1] Man sollte die Begriffe vielleicht nicht synonym benutzen, obwohl dies im folgenden Text so sein wird. Der Begriff des „New American Cinema“ ist im Kern treffender, da er eben nicht nur Hollywood – das wiederum als Synonym für das gesamte amerikanische Kino dient – umfasst, sondern auch die Entwicklungen bspw. in New York oder gar in der Provinz mit einfasst. Die Entstehung dieses neuen amerikanischen Kinos ist ohne Künstler wie Martin Scorsese oder George A. Romero kaum denkbar, Künstler, die dezidiert nicht oder nur selten in Hollywood arbeiteten.
[2] Dazu sei angemerkt, daß sich Regisseure auch im klassischen Hollywood selbstredend als Künstler begriffen und etliche von ihnen – Alfred Hitchcock, Howard Hawks, John Huston, John Ford, Charlie Chaplin u.v.a. – eine eigene Handschrift entwickelten und ihre Stoffe eigenständig ausarbeiteten. Doch das Gros der Hollywood-Regisseure arbeitete oft wie am Fließband, bekam Projekte zugewiesen und arbeitete sie routiniert ab. Daß auch diese Filmschaffenden durchaus eigene Stile und Signaturen haben konnten, nahm die Filmwissenschaft und -theorie erst sehr viel später – und nicht zuletzt durch die in Folge des ‚New Hollywood‘ erst sich entfaltenden Studien – wahr.
[3] Es gab und gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob der Genrefilm dem ‚New Hollywood‘ entsprach oder dessen Mittel und stilistischen Neuerungen lediglich Niederschlag auch im Genrekino fanden. Doch sollte man – siehe Polanski, siehe Penn – akzeptieren, daß zu viele seiner Hauptwerke im Genrekino verortet sind, als daß man es dem ‚New Hollywood‘ verweigern wollte, auch dort reüssiert zu haben. Das bedeutet allerdings nicht, daß jeder Genrefilm, der stilistisch auf Merkmale des ‚New Hollywood‘ zurückgreift, diesem zuzurechnen wäre. Beispielhaft könnte man diese Diskussion an einem Film wie DIRTY HARRY (1971) führen.
[4] Hans Günther Pflaum spricht in seinem Beitrag zum Band über das ‚New Hollywood‘ der ‚Blauen Reihe Hanser‘ sogar von Ashbys Abhängigkeit von Drehbuch, Kamera und den Darstellern und bescheinigt ihm, keiner jener Regisseure zu sein, die schlechtes Material dennoch zu einem außergewöhnlichen Film machen könnten. Vgl. Pflaum, Hans Günther: HAL ASHBY. In: NEW HOLLYWOOD. München, Wien; 1976; S. 84.
[5] Viele der anekdotischen Berichte aus Hal Ashbys künstlerischem wie privaten Leben sind entnommen: Biskind, Peter: EASY RIDERS, RAGING BULLS. HOW THE SEX-DRUGS-AND-ROCK-`N`-ROLL GENERATION SAVED HOLLYWOOD. New York, 1998. Es sei an dieser Stelle angemerkt, daß Biskinds Buch herrlich zu lesen ist, viele seiner Beschreibungen von den Betroffenen der entsprechenden Generation allerdings als übertrieben, teils als unwahr diskreditiert wurden. Ashbys Drogenkonsum allerdings ist durch viele Quellen belegt.
[6] IN THE HEAT OF THE NIGHT stellt, wie Arthur Penns BONNIE AND CLYDE (1967), einen frühen Höhepunkt des ‚New Hollywood‘ dar und erfüllt zugleich schon einen der ersten Brüche mit den ungeschriebenen Regeln, ist er doch, wie Penns Film, ein klar als Genrefilm – in diesem Fall als Kriminalfilm – gekennzeichnetes Werk.
[7] Dawson, Nick: BEING HAL ASHBY. LIFE OF A HOLLYWOOD REBEL. University Press of Kentucky; 2011.
[8] Pflaum spricht dezidiert von den Neurosen der Figuren im Kosmos von Ashbys Filmen.
[9] Beide Filme wurden von Bob Rafelson verwirklicht.
[10] Nicht umsonst sollte man darauf verweisen, daß eines der ersten wahren Road-Movies – THE GRAPES OF WRATH (1940) – von einem der Großmeister des Westerns gedreht wurde – John Ford.
[11] James Monaco, der dem ‚New Hollywood‘ eher kritisch gegenübersteht, es als „prätentiös“ bezeichnet und Ashby meist als Egomanen abtut, bescheinigt dessen Filmen, immer vom Mythos auszugehen und dann die entsprechenden Stoffe und Figuren zu suchen. Darüber ließe sich streiten, im Fall von BOUND FOR GLORY allerdings hat er recht. Der Film nutzt klassische Mittel und Methoden des amerikanischen Kinos, um seine Figur überlebensgroß erscheinen zu lassen. Er mythisiert sie praktisch von Anfang an, wenn sie zunächst verschwommen vor Wexlers Kamera auftaucht und erst nach und nach Konturen gewinnt. Genau so geht Ashby mit seiner Figur im gesamten Film um: Er lässt sie nach und nach zu einem Mythos werden. Vgl.: Monaco, James: AMERICAN FILM NOW. München, Wien, 1985; S. 235.
[12] Klassisch waren es Filme wie GOLD DIGGERS OF 1933 (1933) oder A STAR IS BORN (1937/1954/1976/2018), zeitgenössisch zu Ahsbys Werk John Schlesingers THE DAY OF THE LOCUST (1975) oder Michael Apteds COAL MINER´S DAUGHTER (1980).
[13] Eine interessante Anmerkung an dieser Stelle: Der heute weit nach rechts abgedriftete Voight war ein echtes Kind des meist eher liberalen ‚New Hollywood‘. Mit ASPHALT COWBOY (1969) und DELIVERANCE (1972) war er in zwei der wesentlichen Produktionen zu sehen, die für das ‚New American Cinema‘ stehen.
[14] Das Buch wurde seinerseits 1989 von Oliver Stone verfilmt. Stone wiederum – auch er ein Kind des ‚New Hollywood‘, wenn auch eher am Rande – schrieb das Buch zu Ashbys letztem Kinofilm 8 MILLION WAYS TO DIE (1986).
[15] Die Reaktion des Polizisten, der Mr. Chance ungläubig nachschaut und dann in sein Mikrofon spricht, steht in einer Reihe von Auftritten der Staatsmacht in Ashbys Filmen, die immer wieder als verständnislos und dabei bedrohlich gezeigt wird. Zugleich gibt Ashby sie gern der Lächerlichkeit preis.
[16] a.a.O. Pflaum; S.84ff.
[17] ebenda.; S.87.