John Carpenter und Walter Hill – zwei Meister des Genrekinos

Streifzüge durch mein DVD-Regal I

Ich streife an meinem Regal mit den Filmen entlang und stoße auf die von Walter Hill, die  neben denen von John Carpenter eingeräumt sind. Ich halte inne, ich stutze. Wieso stehen die da? Müsste der eine nicht eher in der Horrorfilmecke stehen, der andere bei den Actionfilmen? Naja, Carpenter hat aber schon auch Action…wieso hab ich das so eingeräumt? Ich weiß, manchmal ist die eigene Ordnung eben wirklich eine eigene, da trifft man Kriterien und Auswahl und räumt doch immer wieder Ausnahmen ein, die sich nur im eigenen Kopf begründen.

Ja, wenn ich darüber nachdenke, bringe ich beide im Kopf zusammen, eben nach meinen ureigenen Kriterien. In gewisser Weise ähneln sie sich in ihrem künstlerischen Anspruch und auch im Verlauf ihrer Karrieren. Beide haben Genrekino gedreht, eigentlich auschließlich. Beide hatten immer wieder eine hohe Affinität zu Gewalt, ja, in Carpenters Fall auch zu Splatter- und Goreeffekten. Beide hatten ähnliche Arbeitsmethoden und arbeiteten gern mit Leuten ihrer stock company zusammen – also mit einem Stamm an Mitarbeitern, vor allem Schauspielern, auf die die beiden in ihren Filmen immer wieder zurückgreifen. So treten in Hills Filmen immer wieder Darsteller wie Powers Boothe, James Remar, Sonny Landham oder Brion Jones auf; Carpenter arbeitete mehrfach mit Jamie Lee Curtis, Kurt Russell (dem er maßgeblich half, zu einem mittleren Star in Hollywood zu werden) oder Adrienne Barbeau zusammen.

Bei genauerem Hinschauen fällt mir auf, daß da ESCAPE FROM NEW YORK (1981), jenes dreckige Meisterwerk, das Carpenter neben HALLOWEEN (1978) in den Pantheon der Regiegötter zweiter Coleur befördern sollte, bei den Filmen Hills eingeordnet steht. Das, so geht mir ein Licht auf, das ist der springende Punkt in meiner Betrachtung: Zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Karrieren, der für mich in ihrem Oeuvre wichtig und wesentlich erscheint, ein früher Zeitpunkt, verwechsle ich ihre Filme gelegentlich miteinander. Als seien sie für eine kurze Zeitspanne nicht austauschbar im Sinne eines qualitativen Mißstandes gewesen, sondern weil beide in ihrem jeweiligen Metier an forderster Front standen, stilistisch, inhaltlich und formal neue Wege einschlugen und sich dabei gelegentlich annäherten oder gar ähnelten.

Allerdings sollte ich vielleicht die Unterschiede zuerst bedenken, um mir nicht selber in die Falle zu gehen? Ähneln die beiden einander wirklich?  Hill ist gebürtiger Kalifornier, der aber über den Umweg eines Geschichts- und Literaturstudiums im Mittelwesten ins Filmgeschäft wechselte, wo er allerdings schon früh als Regieassistent und Drehbuchautor reüssierte. Unter anderem war er an THE THOMAS CROWN AFFAIR (1968) beteiligt und schrieb das Drehbuch zu Sam Peckinpahs THE GETAWAY (1972). Kein schlechter Start, wollte man meinen. Und sicherlich kein schlechtes Portfolio, bedenkt man, daß die Arbeit mit „Bloody Sam“ auch nicht immer die einfachste gewesen sein mag. Hills erster eigener Film, HARD TIMES (1975), war zwar direkt ein Erfolg an der Kasse und auch bei den Kritikern, dennoch dauerte es weitere drei Jahre, bis  er die Möglichkeit hatte, ein weiteres eigenes Projekt verfolgen zu können. Dann aber, nach dem Erfolg des mittlerweile zu einem Klassiker aufgestiegenen THE DRIVER (1978), gelang es Hill bis in die späten 80er Jahre hinein, nahezu jährlich einen Film zu verwirklichen, und bei denen war er meist neben der Regie auch für das Script verantwortlich. Und John Carpenter? Sechs Jahre jünger als Walter Hill, gebürtiger New Yorker, war er ein Eigengewächs der Filmklasse der USC (University of Southern California), wo er während seines Studiums das Buch für den Oscar-prämierten Kurzfilm THE RESURRECTION OF BRONCHO BILLY (1970) schrieb und für deren Abschlußklasse er einen kleinen Film namens DARK STAR produzierte, der als Persiflage auf und Hommage an Kubricks 2001 – A SPACE ODYSSEY (1968) so gut ankam, daß Carpenter von einem unabhängigen Produzenten Geld erhielt, um ihn auf eine Kinolänge von etwas über 80 Minuten zu dehnen. Ebenfalls kein allzu schlechter Anfang. Aber doch anders. Weniger der klassische Weg durch das Studiosystem. Eher der typische Weg seiner Generation, der Leute wie Spielberg, Lucas, De Palma oder – an der Ostküste – Martin Scorsese angehörten.

Nach seinem Erfolg mit DARK STAR (1974), der im Midnite-Circuit und den Studentenkinos sehr gut ankam, gelang Carpenter dann 1976 mit ASSAULT ON PRECINCT 13 ein apokalyptisch anmutender Actionfilm, der schon deutlich größeres Mainstream-Potential hatte und ihm die Möglichkeit bot, eine weitere Idee zu verwirklichen, die ihn für kurze Zeit zum Superstar am Himmel des sich in jenen Jahren neu formierenden Hollywood-Genre-Kinos machte. Im gleichen Jahr nämlich, in dem Walter Hill THE DRIVER veröffentlichte – 1978 – erschien mit HALLOWEEN der vielleicht einflußreichste Horrorfilm seit Alfred Hitchcocks PSYCHO (1960). Na, ich sollte vorsichtig sein mit solchen Zuschreibungen. Das Genre hatte durchaus frisches Blut erhalten. Neben dem nach heutigen Maßstäben als Blockbuster zu betrachtenden THE EXORCIST (1973) haben vor allem Independent-Produktionen wie George A. Romeros NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968), Wes Cravens LAST HOUSE ON THE LEFT (1972) und natürlich Tobe Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) alle ihre Markierungen hinterlassen und vor allem letzterer war sicherlich ungeheuer einflußreich. Außerdem brachte Romero im gleichen Jahr, wie Carpenter HALLOWEEN, seine Zombie-Ferkelei DAWN OF THE DEAD (1978) in die Kinos, den sollte man vielleicht auch nicht unterschätzen. Aber dennoch: HALLOWEEN war schon ein Film, der in den Mainstream einbrach und Horrorfilme aus dem Studentenmilieu auf die großen Leinwände brachte, in die Provinzen brachte, nicht nur in die Autokinos. Carpenter hatte einem langsam an den eigenen Verzweigungen erstickenden Genre neues Leben eingehaucht und zugleich die Tür für viel weitreichendere Verästelungen aufgestoßen: Der sogenannte ‚Slasher‘- oder ‚Teenie-Slasher‘-Film war geboren und fand in den Serien um Jason Vorhees in FRIDAY THE 13TH (ab 1980) und den im Traum mordenden Serienkiller Freddy Krueger in den NIGHTMARE ON ELM STREET-Filmen (ab 1984) Nachfolger, die ihrerseits enorm erfolg- und einflußreich werden sollten für die Entwicklung des (post)modernen Horrorfilms.

 

Referenzen, Wurzeln und Quellen: ‚New Hollywood‘ und das Genrekino

Es kommt mir in den Sinn, daß sowohl Hills als auch Carpenters Karrieren ihren Ausgangspunkt in jenem Jahrzehnt nahmen, das gemeinhin mit dem New Hollywood assoziiert wird. Damit sind die Filme einer Generation junger Regisseure umschrieben, die den verkrusteten Strukturen in Hollywood neues Leben einhauchten, die europäische Autoren- und Filmemachertheorien in die Traumfabrik einführten und auch amerikanisches Kino erstmals als echte Kunstform begriffen – und denen es dennoch gelang, inhaltlich, formal und stilistisch neue Wege so zu nutzen, daß sie kommerziell erfolgreiches Kino produzierten. Mike Nichols, Arthur Penn, Milos Forman, Peter Bogdanovich, Roman Polanski oder auch Sidney Lumet sind Namen, die mir durch den Kopf schwirren. Aber auch die abseitigeren, wie Haskell Waxler (MEDIUM COOL/1969) oder Hal Ashby (HAROLD AND MAUDE/1971). Und die, die hier ein Sprungbrett fanden, um ganz neue Dimensionen kommerzieller Vermarktung zu erreichen, wie die bereits erwähnten George Lucas und Steven Spielberg. Aber Walter Hill? John Carpenter? Reine Genreregisseure? Bestenfalls kann man an ihnen verfolgen, wie das Wirken des New Hollywood auch in diesen Bereich des Hollywoodfilms vorgedrungen ist. Und doch – beide erfüllten eigentlich den klassischen Anspruch an den Begriff des auteur, wie er gerade bei den französischen Filmemachern genutzt wurde: Beide schrieben ihre Drehbücher selbst, beide hatten weitestgehend Freiheit beim Schnitt. John Carpenter ging darüber jedoch weit hinaus, er produzierte, er komponierte in den allermeisten Fällen die Musik zu seinen Filmen selbst und war meist auch am Schnitt beteiligt. Beide beschäftigten sich jedoch kaum mit den klassischen Themen des New Hollywood, sprich Gesellschaftskritik, Beobachtung und kritische Analyse der amerikanischen Gegenwartskultur, aber auch der Subkulturen, die allenthalben entstanden, oder der Wirklichkeit des Landes – Gründe, weshalb viele Regisseure des neuen, jungen amerikanischen Kinos den Weg raus aus den Studios, hinaus auf die Straßen wählten, wo sie die beste Kulisse für das fanden, was sie erzählen wollten. Filme wie EASY RIDER (1969) oder THE PANIC IN NEEDLE PARK (1971) künden auf ihre je eigene Art und Weise davon.

Weder Walter Hill noch John Carpenter interessierten sich allzu sehr für diese Realität oder Realitätsbetrachtung; zumindest nicht, um sie als herkömmliches Drama zu erzählen. Während Hills HARD TIMES ein Sportlerfilm ist, angelegt in den Jahren der Großen Depression, interessiert sich Carpenter von allem Anfang an für das traditionelle Kino Hollywoods, das Genrekino. Darin ähnelt er Brian De Palma, der ebenfalls als eines der Wunderkinder des New Hollywood galt und seiner fast obsessiven Verehrung für den Suspense Alfred Hitchcocks schon in frühen Werken wie SISTERS (1973) oder OBSESSION (1976) fast epigonenhaft Ausdruck verlieh. Bei aller Suche nach realistischen Settings und ebenso realistischen Handlungen, brachte das Kino des New Hollywood immer auch Grenzgänger hervor, denen man ihre Verwurzelung im klassischen Kino ebenso anmerkte, wie die inszenatorische Freiheit, die nun herrschte. Penn hatte mit BONNIE AND CLYDE (1967) im Grunde einen fast klassisch anmutenden Gangsterfilm vorgelegt, Coppola mit seinen THE GODFATHER-Filmen (1972/74) ebenfalls, und William Friedkin drehte mit dem Polizei-Thriller THE FRENCH CONNECTION (1971) gar eines der Schlüsselwerke des neuen amerikanischen Films. Sidney Lumet, der seine Karriere bereits in den 50er Jahren beim Fernsehen und in Hollywood begonnen hatte und wahrscheinlich als Wegbereiter der neuen Welle im amerikanischen Kino betrachtet werden muß, drehte mit SERPICO (1973) und DOG DAY AFTERNOON (1975) ebenfalls im weitesten Sinne Polizei-Thriller, die aber eine urbane soziale Wirklichkeit aufgriffen und spürbar werden ließen. Das New Hollywood schien, wenn es den Ausgriff ins Genrefach wagte, vor allem im gegenwartsbezogenen Polizeifilm und im Thriller zu funktionieren.

 

Erste Schritte und Frühphase

DARK STAR war die bereits erwähnte Persiflage und Hommage auf Kubricks Science-Fiction-Meisterwerk gewesen, was Carpenters Präferenzen im weitesten Sinne schon vorwegnahm, zumal der Film mit Szenen aufwartet, die, so grotesk sie auch anmuten, durchaus das Potential für einen hysterischen Horrorfilm haben. Ich denke beispielsweise an die Fütterung der hüpfenden Tomate. ASSAULT ON PRECINCT 13 hingegen war in seiner ganzen brutalen Ernsthaftigkeit allerdings ein Polizei-Thriller, der jedoch kaum kaschieren konnte, eine in die Gegenwart versetzte Re-Inszenierung von Howard Hawks Western-Klassiker RIO BRAVO (1960) zu sein. Hawks gilt, wie auch Hitchcock, Carpenter als Vorbild. So war Hawks auch Produzent sowie an der Regie beteiligt an dem von Carpenter später neu inszenierten Science-Fiction-Horror-Cross-Over THE THING FROM ANOTHER WORLD (1951). Anders als in Hawks manchmal fast komödiantisch anmutendem Western, herrscht in Carpenters Inszenierung eine fast apokalyptische Atmosphäre. Es gelingt ihm, die Bedrohung sehr real, präsent und gegenwärtig wirken zu lassen. Vor Ort in einem ausgelassenen Lagerhaus gedreht, fängt Carpenter die Straßenatmosphäre eines Ghettoviertels ein und bezieht einen gut´ Teil seiner Spannung genau daraus. Es ist ein harter, oft wirklich brutaler Streifen, der aus einer Wirklichkeit erzählt, die zwar überspitzt dargestellt wird und dadurch abstrahiert wirkt, die aber zunächst in ihrem Setting und auch dem Plot um Jugendbanden mit der unmittelbaren Wirklichkeit des Publikums korrespondiert. Da unterscheidet der Film sich nicht von THE FRENCH CONNECTION oder einem Film wie SERPICO. Obwohl der Film immer noch überzeugt, kam er mir persönlich immer irgendwie spröde vor, als sei sein Macher noch nicht dort angelangt, wo er sich wirklich wohl fühlt. Und richtigerweise gewann John Carpenter die Reputation, die er heute genießt, erst zwei Jahre später. Mit HALLOWEEN kam er im Horrorgenre an und gab ihm die bereits erwähnten, wesentlichen Impulse. Und war dennoch kein reiner Vertreter des Genres, dem er fortan zugeordnet werden sollte.

Walter Hills zweite Regiearbeit, THE DRIVER, ist – wie auch die nachfolgenden drei Werke – deutlich als Produkt seiner Zeit zu erkennen. Es ist ein fast abstrakter Film, der eine explizit existenzialistische Haltung einnimmt und sich durch schockartige Ausbrüche extremer Gewalt in des Zuschauers cineastische Erinnerung einbrennt. Das Setting ist teils bewusst artifiziell, in einem Vorgriff auf die Ästhetik der 80er Jahre wird Los Angeles in neonerleuchteten Nächten inszeniert und die Stadt selbst wirkt entfremdet und lebensfeindlich, ein urbaner Raum, der um seiner selbst willen und besser ohne Menschen darin zu existieren scheint. Obwohl allgemein als Beitrag zum späten Film Noir interpretiert, könnte man Hills Film auch als eine Reaktion Hollywoods – auf seinem ureigenen Terrain des Genre-Kinos – auf die europäische Herausforderung durch ein modernes, theoretisch unterfüttertes Kino betrachten, wie man es bspw. von Jean-Luc Godard kannte. Der Film erregte Aufsehen, vor allem bei Kritikern kam er gut an. Hill legte nun in kurzer Folge mit THE WARRIORS (1979), dem Western LONG RIDERS (1980) und SOUTHERN COMFORT (1981) drei Filme vor, die alle ein für ihn wiederkehrend interessantes Thema variierten, welches sich auch bei Carpenter finden sollte (und in ASSAULT ON PRECINCT 13 ja auch schon gefunden hatte): Eine Gruppe unter äußerem Druck. Allerdings sind Hills Gruppen in Bewegung, Carpenters Gruppen sind oft in (scheinbar äußerer) Belagerung oder müssen sich in einem explizit definierten Raum bewegen.

 

Walter Hill:  Vier frühe Werke – ein Film Noir und drei Western

THE WARRIORS stellt in gewissem Sinne das Gegenstück zu THE DRIVER dar. Beide Filme beziehen ihr spezifisches Potential aus der Inszenierung der Stadt bei Nacht. War es im früheren Film L.A., ist es nun New York, bewegte man sich dort mit dem Wagen, ja, scheint die Stadt dort ihren Daseinsgrund nur als Projektionsfläche für die motorisierte Bewegung zu finden, bewegt man sich hier mit U-Bahnen, Bussen oder zu Fuß. Geschickt verbindet Hill seine urbane Studie mit dem Thema Jugendbanden und Jugendkriminalität, schlägt aber einen unterschwellig apokalyptischen Ton an, der das gesamte Szenario unwirklich und bei aller Realistik, die die Mise-en-Scène on location nutzt, den Film entrückt, fast allegorisch wirken läßt. Darin könnte man ihn durchaus mit Carpenters ASSAULT ON PRECINCT 13 vergleichen. Eine Bande muß sich quer durch die Stadt in ihren Kiez durchschlagen und wird unterwegs von den ihr aufgrund falscher Anschuldigungen feindlich gesonnenen Gangs gehetzt, deren Territorien sie durchqueren muß – die Stadt als Dschungel, als unüberschaubares, schier im Endlosen ausfransendes Labyrinth, aber auch als ein Spiegel seelischer Zustände und Abgründe.

THE LONG RIDERS, der erste von, wenn man so will, fünf Western, die Walter Hill für die Leinwand drehte, entwickelt das Thema der Gruppe anhand der James-, der Younger-, Miller- und der Ford-Brüder, jener Bande um Jesse James, die im Nachzug des amerikanischen Bürgerkriegs ihren privaten Rachefeldzug führte und von den Detektiven der Pinkerton-Agentur gejagt wurde. Alle Brüder im Film wurden von echten Brüdern gespielt. Obwohl im Kern ein Projekt der Keach-Brüder, die Jesse und Frank James spielten, konnte Hill dem Film vor allem in der Inszenierung der Actionszenen, die mit drastischer Gewalt und Realistik in der Darstellung von Schuß- und anderen Verletzungen aufwarteten, seinen Stempel aufdrücken. Hier ist es der Druck einer meist anonym erscheinenden Staatsmacht, die sich lediglich durch legalistische Mittel, nie aber empathisch legitimiert, die das Drehbuch für das Wirken der James-Bande verantwortlich macht und deren kalte Gewalt vor allem bei der an Sam Peckinpahs Todesballetten in THE WILD BUNCH (1969) oder PAT GARRETT AND BILLY THE KID (1973) geschulten Inszenierung des Überfalls auf die Bank in Northfield zum Ausdruck kommt. Wie bei einem Laborversuch lässt Hill Ric Waites Kamera distanzierte, fast kalt wirkende Bilder einfangen, die durch die genutzte Zeitlupe noch einmal entfremdet werden. Der Druck, dem die (familiären) Gruppen in THE LONG RIDERS ausgesetzt sind, muß tödlich enden, schon allein, weil es die Historie so will und Hill um historische Akkuratesse bemüht ist.

So gesehen ist es ein extrem pessimistischer Film, der das Individuum als letztlich immer schwächer als die anonymen Mächte darstellt, die auf es einwirken. Eine Haltung, die auch in THE DRIVER anschlug, die allerdings nicht in THE WARRIORS greift, wo am Ende die wahren Täter entlarvt und die „Warriors“ rehabilitiert werden, wodurch Hill auch Respekt für die Ehre dessen bezeugt, was er der Subkultur der Jugendgangs zuschreibt.

Auch der Folgefilm SOUTHERN COMFORT nutzt eine ins Endlose ausufernde, unbekannte Umgebung, in der eine Gruppe – hier eine Einheit Nationalgardisten, die zu einer Wehrübung in den Sümpfen Louisianas einberufen wurden – sich gegen einen unsichtbaren Feind wehren muß, um zu untersuchen, wie sie reagiert und wie der äußere Druck den inneren Druck erhöht. Auch hier bleibt die Situation abstrakt, weil die Männer sowohl mit der Situation, die sich eher zufällig ergibt, als auch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Geräten und der Topographie, der sie sich ausgesetzt sehen, vollkommen überfordert sind. Die Sumpfwälder und deren Bewohner – Cajun-people, die ein dem Französischen entstammendes ureigenes Idiom sprechen – sind den Männern der Einheit, die im Zivilleben Autoverkäufer, Beamte oder Lehrer sind, maximal fremd, maximal entäußerlicht. Als es zu dem verheerenden Mißverständnis kommt, das einen der Sumpfbewohner das Leben kostet und eine Kette katastrophaler Folgen nach sich zieht, beruht dieses vor allem auf den mangelnden kommunikativen Möglichkeiten. Für die Großstädter bleiben die Cajuns Fremde, was umgekehrt ebenso gelten dürfte.

In THE WARRIORS läßt Hill mit den verschiedenen Banden auch Figuren auflaufen, die wie urbane Archetypen ihrer Zeit wirken – Punks, Discoschläger, Rollerboys oder auch Black Panthers. Manchmal erinnern diese Figuren an faschistische Truppen, manchmal an militante Hippies, manchmal an Alex´ Droogs in Kubricks A CLOCKWORK ORANGE (1971). In THE LONG RIDERS tritt die Staatsmacht zwar in Person der Pinkertondetektive in Erscheinung, Hill legt aber enormen Wert auf Genauigkeit bei Kleidung und auch bei Bartwuchs etc., so daß diese Männer kaum voneinander zu unterscheiden sind. Das gleiche Prinzip wendet er bei den Cajuns an, die zudem sprachlich nicht erreichbar sind. In allen drei Filmen bleibt die Bedrohung also abstrakt, obwohl Hill sie außer in THE LONG RIDERS nicht als zwingend bösartig oder feindlich schildert. Und auch da ist sie in ihrem Wesen bürokratisch und hat „das Gesetz“ auf ihrer Seite. In THE WARRIORS und in SOUTHERN COMFORT sind es gewollte oder wirkliche Mißverständnisse, fast schon tragische Verkettungen, die zu den Feindseligkeiten führen. In allen drei Fällen müssen sich die Gruppen auf ein entfernt liegendes Ziel hinbewegen, um eine vermeintliche Sicherheit zu erreichen. All diesen Filmen kann man, wenn man kein Bedürfnis hat, sie tiefer zu untersuchen, durchaus das Label „Actionfilm“, bzw. „Western“, anheften. Hill hatte mit seinen intelligenten und doch ebenso actionreichen wie  unterhaltsamen Gattungsbeiträgen bewiesen, daß er dem Genrekino neue Impulse zu geben vermochte. Doch ebenso kann man ihnen unterstellen, sehr bewusst Kommentare auf ihre Zeit abzugeben. In ihrem kritischen Bewusstsein – gerade SOUTHERN COMFORT rekurriert früh auf den Krieg in Vietnam und ist zweifellos als Metapher zu erkennen – entsprechen sie somit ebenfalls durchaus dem kritischen Geist des New Hollywood.

 

John Carpenter: Im Genre zuhause

Wie Hill, muß sich auch Carpenter seiner Sache schon früh sehr sicher gewesen sein. Schon DARK STAR überzeugt, doch wer Horror- oder auch einfach reine Spannungsfilme mag, wird sich dem Sog, den HALLOWEEN entfacht, auch heute nur schwer entziehen können. Über den Einfluß des Films, schon erwähnt, braucht nicht viel gesagt werden; ebenso über seinen kommerziellen Erfolg, was bei einem amerikanischen Film eben auch immer wichtig ist. So erfolgreich der Film war, so umstritten war er auch von allem Anfang an bei der Kritik. Wie William Friedkin in THE EXORCIST – ebenfalls ein Grenzgänger zwischen New Hollywood und dem Genrekino – kann man auch Carpenters Film durchaus als eine fast reaktionäre Antwort auf die libertäre Dekade sehen, die gerade hinter den U.S.A. lagen. Aufmüpfige, ungehorsame Teenager, die, anstatt ihrer Aufgabe (Babysitting)  nachzukommen, Drogen nehmen und  miteinander ins Bett gehen, erhalten ihre Strafe. Friedkin zeigte eine Frühpubertierende, die von einem Dämon besessen war, Carpenters unartige Jugendliche werden Opfer eines Serienkillers, der selbst von seinem Psychiater als „das Böse“ beschrieben wird. Und Carpenters Inszenierung bietet immer wieder die Möglichkeit, daß wir es mit einem Wesen übernatürlichen Charakters zu tun haben. Allein die Fähigkeit, an nahezu keiner Verletzung verenden zu müssen, ist für einen wenn auch gefährlichen, so doch profanen Serienkiller eine eher ungewöhnliche.

Carpenters Film hat Hoopers THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE – der in vielerlei Hinsicht Produkt wie Wegbereiter des New Hollywood Cinema gewesen ist was Budget, Inszenierung, Set und Design betrifft – einiges zu verdanken. Daß ein unkonventioneller, neue Wege beschreitender Horrorfilm durchaus härterer Gangart überhaupt von kommerziellem Interesse sein konnte, hatten Hooper und vor ihm George A. Romero mit NIGHT OF THE LIVING DEAD also schon bewiesen. Auch Carpenter drehte schließlich einen Low-Budget-Streifen, bei dem er weitestgehend künstlerische Freiheiten genoß, und der zunächst mit allerlei Konventionen zu brechen scheint, obwohl er sich bei genauerem Hinsehen durchaus bekannter Muster des Suspense-Thrillers bedient. Vor allem der Einsatz der subjektiven Kamera, die den Zuschauer den Blickwinkel des Killers einnehmen lässt und dadurch ausgesprochen unangenehme Assoziationen weckt, sowie die zeitlupenhaft-träumerische bildliche Darstellung der Vorortstraßen, in denen unvermittelt die Gestalt des Killers Michael Myers auftaucht, um ebenso plötzlich wieder zu verschwinden, erzeugen einen Grundton zwar distanzierter, doch bedrückter Beobachtung, der sich zunehmend zu einem schrillen Kreischen reinen Terrors steigert, wenn Jamie Lee Curtis als Laurie wieder und wieder in Myers Fallen tappt und die schönen, weitläufigen Suburbia-Villen zu tödlichen Labyrinthen werden. Laurie – und in ihr symbolisiert mindestens die Teenager der Stadt – befinden sich also in einer Situation, die der in ASSAULT ON PRECINCT 13 nicht unähnlich ist – sie werden belagert. Myers wirkt wie eine Ein-Mann-Belagerung (oder Besatzung) eines ganzen Orts. Gleichsam ein Todesengel, unbesiegbar, unbezwingbar, scheint er sich seinen tödlichen Weg zu seinen Opfern zu bahnen.

Der Film hinterlässt aber eben immer auch einen faden Nachgeschmack, gerade in seiner scheinbar reaktionären Oberflächlichkeit. Daß das Teenie-Slasher-Subgenre immer einen reaktionären Grundton hatte – schon THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE setzt dieses Topoi ein – und nach in seinen diversen Erscheinungsformen auch behalten sollte (außer in den NIGHTMARE-Filmen, die eher ein böses Spiel mit den Klischees jugendlicher Aufmüpfigkeit und juvenilem Unabhängigkeitsbestreben treiben), gilt gemeinhin als Regel. Da Carpenter gemeinhin jedoch als eher liberaler, wenn nicht gar linker Filmemacher gilt, darf man ihm getrost unterstellen, begriffen zu haben, wie subversiv es anmutet, wenn die „strafende“ Instanz seines Films als „absolut böse“ identifiziert wird. und zwar von seinem Psychiater. Also nichts gegen Ambivalenz, keineswegs. Hoopers Film spielt ununterbrochen mit der Ambivalenz zwischen der uns als Identifikationsfiguren dienenden Freunden und der monströsen Familie, deren Treiben wir aus der Sicherheit des Kinosessels als Groteske wahrnehmen und deshalb goutieren können. Obwohl die Familie um Schlachtermeister Leatherface in ihren Gepflogenheiten eher einem hinterwäldlerischen Redneck-Clan entspricht, bieten die Mitglieder durch ihr bizarres Aussehen und Benehmen und den comichaften Humor, der in Daddys Auftritten oder auch denen des Tramps gelegentlich hysterische Züge offenbart, genügend Kultpotential, um beim Publikum zu heimlichen Helden zu avancieren. Carpenters Werk ist auf seine Art ernsthafter und drohender. Myers Auftritte werden fast geisterhaft inszeniert und die Doppelbödigkeiten der Story, des Settings in einem idyllisch anmutenden Suburbia, und der Auftritt einer Figur wie die des Psychiaters Dr. Loomis (dessen namentliche phonetische Nähe zu loonies – Irren – nicht von ungefähr kommen dürfte), lassen immer die Interpretation zu, daß das, was uns vernünftig erscheint, als vertraut und sicher erst recht Abgründe und Falltüren offenbaren könnte. Einen großen Teil seiner atmosphärischen Dichte und der Spannung bezieht der Film gerade daraus. Daß Carpenter ein enorm ambivalentes – und wahrscheinlich deshalb so effektives – Werk geschaffen hat, steht außer Frage. HALLOWEEN steht gerade dafür exemplarisch.

In THE FOG (1980) ist es das Örtchen Antonio Bay, malerisch an der Küste Kaliforniens gelegen, das Geisel seiner eigenen Geschichte wird, als einhundert Jahre nach Stadtgründung buchstäblich die Geister der Vergangenheit auftauchen und Tribut fordern, wurde der Ort doch auf einer fürchterlichen Bluttat gegründet. Es ist eine sich schnell über die Stadt schiebende Nebelbank, aus der es schier kein Entkommen mehr zu geben scheint, sobald sie einen erst einmal umhüllt, die die Bedrohung birgt. Hier ist es eine Gruppe von lose miteinander bekannten Bewohnern des Ortes, die sich zur Wehr setzen und dabei Demut für die Vergangenheit lernen müssen. Zwar befinden sie sich nicht alle an einem Ort, wie die Polizisten in ASSAULT ON PRECINCT 13, doch in gewisser Weise ist es hier der ganze Ort, der zur Falle wird. Über einen Radiosender, der hoch über der Stadt liegt, versucht eine der Hauptfiguren des Films, die anderen zu koordinieren und im Nebel, den sie beobachten kann, zu dirigieren.

So profan und unvermittelt der Angriff auf Laurie in HALLOWEEN wirkt, so zielgerichtet und direkt ist der in THE FOG. Obwohl man gerade HALLOWEEN heute für die bereits erwähnten Slasher-Serien verantwortlich macht, ist er selbst nicht allzu gewalttätig, was von der Produktion auch gewollt war. Keineswegs entspricht HALLOWEEN einem Splatterfilm, wie ihn Romero  mit DAWN OF THE DEAD (1978) vorlegte, und selbiges gilt erst Recht für THE FOG. Auch das ist Carpenter nämlich gelungen: Er hat dem Horrorfilm neue Wege aufgezeigt, ohne dabei unbedingt auf explizite Gewaltdarstellungen oder sogenannte Gore-Effekte, also schockartig den Zuschauer bedrängenden Ekel zu setzen. Obwohl natürlich beide Filme ihre Portion an Gewalt mitbringen, sind es eher ungewohnte Perspektiven, Schocks und Überraschungsmomente, die den Zuschauer in einen Zustand ständiger Verunsicherung und Überspanntheit versetzen sollen. Die explizite Gewalt, ja, die Hinwendung zum Splatterfilm (oder Filmen mit Splatteranteilen) vollführte Carpenter wenig später. Mit HALLOWEEN und THE FOG hatte er zunächst ein neues Subgenre begründet und dann einen klassisch zu nennenden Geisterfilm gedreht, nun wendete er sich eher der Science-Fiction und dem Cross-Over zu, zum reinen Horrorfilm kehrte er erst Ende der 80er Jahre zurück, mit PRINCE OF DARKNESS (1987).

 

Zwischenbilanz

Da stehe ich also grübelnd vor meinem DVD-Regal und sinniere über diese Fragen nach. Da stehen sie alle, die Filme von Walter Hill und John Carpenter. Doch, beiden muß man attestieren, Kinder des New Hollywood, im Sog der neuen Zeit unter neuen Bedingungen zu ersten Meriten gekommen zu sein und zumindest in Hills Fall im Umfeld bedeutender Regisseure und Drehbuchautoren wie Sam Peckinpah, John Milius oder Norman Jewison gearbeitet zu haben. Und Carpenter? Ganz romantisch könnte man sagen, daß er es ganz allein geschafft hat, mit Talent und Genie seine Vision durchzusetzen und damit unter den Genreregisseuren der jüngeren Geschichte der Traumfabrik eine Sonderstellung einnimmt, zumal er wirklich im Hollywood-Kontext gearbeitet hat, was weder für Romero, noch für andere Vertreter des harten Horrorfilms jener Jahre galt. Frank Henenlotter (BASKET CASE/1982) oder Stuart Gordon (RE-ANIMATOR/1985), zwei Vertreter des extremen amerikanischen Gore- und Splatterfilms, hatten ihre kreative Basis weit von der Westküste entfernt. Carpenter nahm die kalifornische Kultur, den Westcoast-Lifestyle, in vollen Zügen in sich auf und wusste ihn in seinen Filmen zu vermitteln. Darin ähnelt er Steven Spielberg, der ebenfalls im Kern seiner frühen Filme wie SUGARLAND EXPRESS (1974) oder E.T. THE EXTRA TERRESTRIAL (1982) die kalifornische/amerikanische Alltagskultur zu feiern verstand und damit reines Americana produzierte[1]. Und wie Spielberg – oder Stephen King im literarischen Horror – ist eben auch Carpenter ein Meister des Americana. Der Schrecken bricht bei Carpenter – auch darin King verwandt – also in eine scheinbar heile Alltagswelt ein, die der des Publikums ähnelt oder gleicht. Sucht Hill das Urbane, die Großstadtschlucht oder Straßenflächen und zeigt sie unter Neonlicht als artifizielle, denaturalisierte Räume und somit auch als Ausdruck erkalteter Seelen und Gesellschaften, findet Carpenter sein Szenario dort, wo das scheinbar intakte Amerika zuhause ist: In Suburbia, der grünen, friedvollen Vorstadt, oder aber im ländlichen Raum, breitet der Schrecken sich aus. Und sein Erscheinungsbild ist zunächst nicht unbedingt spektakulär. Myers kann sich auch deshalb so durch die Siedlung bewegen, weil er auf den ersten Blick ein Stadtangestellter oder ein Briefträger sein könnte. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, daß dieses Wesen äußerst fremd erscheint.

Hill hingegen, so sehr er beispielsweise in THE WARRIORS das reale Stadtbild New Yorks nutzt, sucht seine Plots eher im mythischen Fundus Amerikas und dessen Leitmedium des 20. Jahrhunderts – dem Film. THE LONG RIDERS ist ein Spätwestern par excellence, doch THE WARRIORS und SOUTHERN COMFORT, der wie schon erwähnt natürlich auch Assoziationen zum Vietnamkrieg und den damals gerade aufkommenden Vietnamkriegsfilmen weckte, folgen in ihrem Narrativ und auch der filmischen Umsetzung ebenfalls Westernkonventionen. Eine feindliche Umgebung, eine Gruppe zufällig Zusammengewürfelter, Angriffe von außen, die Bewegung im Raum auf ein Ziel zu – Handlungstopoi des Wildwestfilms. Immer wieder wird Hill an die mythischen Quellen amerikanischen Filmschaffens zurückkehren und sich vor allem beim Western bedienen, aber auch beim Gangsterfilm, beim Polizei-Thriller und selbst beim (Rock)Musical. Carpenter hingegen wird immer wieder in die amerikanische Wirklichkeit hinaustreten und sie mit dem Einbruch des Unerwarteten konfrontieren und dabei beobachten – da wieder ganz bei Hill – wie sich seine Protagonisten in zunehmend druckvolleren Situationen entwickeln und behaupten. Oder untergehen. Carpenter hatte auch deshalb Erfolg, weil er vergleichsweise unberechenbar blieb, bei ihm war alles möglich, jede Figur war gefährdet. Die Härten seiner Filme halten das Publikum auch im Ungewissen und angefangen mit DARK STAR ist den Helden seiner Filme oftmals kein Happy End vergönnt. Das korrespondiert mit seiner an sich kritischen Grundhaltung zu den Entwicklungen der amerikanischen Gesellschaft, die er immer wieder in seinen Filmen anklingen ließ.

Es sei mir noch gleich eine Anmerkung zu Carpenters gesellschaftskritischer Haltung gegönnt: Wenn man bei Hill spürt, daß seine frühen Filme durchaus auch Auseinandersetzungen mit der Gegenwart sind, in die mythisierende Form des Genre-Films gegossen, so kommt bei Carpenter eher eine grundlegende Haltung zum Ausdruck, die oft mit seiner Zeit korrespondiert, wie man leicht feststellen kann und später auch hier sehen wird. HALLOWEEN und THE FOG erfüllten eher die klassische Aufgabe und Funktion des Horrorfilms, nämlich unterschwellige Strömungen aufzugreifen, tiefsitzende Ängste und Sorgen zu vergegenwärtigen und so in einen funktionierenden Plot zu passen, womit sie thematisiert und gebändigt werden. Auch daran erkennt man, wie genau Carpenter verstanden hatte, womit er sich beschäftigte. Seine Filme weisen immer wieder Referenzen, Zitate und Querverweise zu früheren Horrorfilmen auf, namentlich Werken von Hitchcock und ganz sicher Romero. Auch Carpenter kennt sich also in seinem Metier genauestens aus, arbeitet sich daran allerdings – ein deutlicher Unterschied zu Hill – anders, härter, auch destruktiver (dekonstruktiv?) ab.

Astreines Genrekino ist es, das beide bieten. Aber sie sind damit doch nicht allein? Nein, eigentlich müsste in diesen Vergleich auch der schon erwähnte Brian De Palma aufgenommen werden, schießt es mir jetzt in den Sinn. Der entstammt demselben Umfeld wie Carpenter, und wie Hill und Carpenter machte er ebenfalls von Beginn seiner Karriere an keinen Hehl aus seiner Vorliebe für das klassische Genrekino. Vor allem Thriller und Gangsterfilme, später auch Science-Fiction und Kriegsfilme, waren sein Metier, doch mit der frühen (und gelungenen) King-Verfilmung CARRIE (1976) ziert schließlich ebenfalls ein waschechter Horrorfilm sein Oeuvre. Warum also stecke ich De Palma nicht genauso automatisch, ja assoziativ in die gleiche Ecke? Vielleicht weil er eine Weile in einer anderen Liga gespielt hat, als es Hill und Carpenter vergönnt gewesen ist? Zumindest bis 1993, als er mit CARLITO`S WAY (1993) einen fulminanten Gangsterfilm mit Al Pacino und Sean Penn in den Hauptrollen veröffentlichte, hatte De Palma Kassenerfolge, die über den reinen Kreis der Genrefreunde hinausreichten. DRESSED TO KILL (1980), SCARFACE (1983) oder THE UNTOUCHABLES (1987) sind immense Hits gewesen und haben De Palma immer wieder in die A-Riege der Hollywood-Regisseure gehoben. Dort war Carpenter vielleicht für ein, zwei Jahre, wendete sich dann aber freiwillig ab, um seiner Produktionsweise und seinen Themen treu bleiben zu können. Und Hill? Der ging eh einen weitaus konventionelleren Weg in den 80er Jahren, obwohl ihn – wie Carpenter – nach und nach das Glück verließ und er sich oft eher als Produzent verdingte und nur noch gelegentliche Erfolge als Regisseur vorweisen konnte, bis er in den 90er Jahren wieder Tritt fasste. Vielleicht liegt De Palmas Abwesenheit im Vergleich aber auch daran, daß – von SCARFACE einmal abgesehen – seine frühe Filme kaum als Actionfilme behandelt werden können, was jedoch sowohl für Hill als auch Carpenter gilt, wenn man in dessen Filmographie weitergeht und die Nachfolger von THE FOG betrachtet.

 

Auf der Spitze – die frühen 1980er Jahre

Carpenter schloß, nachdem er 1980 für das Fernsehen ein recht erfolgreiches Elvis-Biopic gedreht hatte, 1981 nahtlos an seine Erfolge an und konnte sie kommerziell sogar noch toppen, als er mit ESCAPE FROM NEW YORK, der für damalige Verhältnisse – und für Carpenters erst recht – das vergleichsweise hohe Budget von 6 Mio. Dollar aufwies, nicht nur einen der kommerziell erfolgreichsten Filme der frühen 80er Jahre herausbrachte, sondern auch einen maßgeblichen Kommentar auf die Zeitläufte. In die in der prae-1984-Ära unendlich weit erscheinende Zukunft von 1997 verlegt, bleibt Carpenter dem Thema der Gruppe treu, die sich im Belagerungszustand befindet und sich bei innerer Spannung gegen einen äußeren Feind in einem feindlichen, unbekannten Terrain bewegen, allerdings – da nun wieder Hill ähnlich – in Bewegung  bleiben, sich auf ein Ziel zubewegen muß. Doch die Idee, eine Gegenwart, die sich nach einer hedonistisch-lebensfreudigen Dekade zunehmend globaler Krisen bewusst wurde und die atomare Vernichtung so stark wie seit den Tagen der Kubakrise nicht mehr vergegenwärtigte, die kulturell von ökonomischer wie moralischer Verunsicherung, politischer Müdigkeit und Entmutigung und der Zersplitterung der Jugend- und Subkulturen geprägt war, als Blaupause für eine Zukunftsgesellschaft zu nutzen, in der nur noch der blanke Zynismus herrscht und die ganz offensichtlich faschistoide Züge aufweist, korrespondiert bewusst mit der pessimistischen Stimmung der ausgehenden 1970er Jahre. Dystopien, Apokalypsen und Weltuntergänge bildeten in den aufkommenden 1980er Jahren ein lukratives Subgenre der Science-Fiction und des Katastrophenfilms und Carpenter antizipierte diese Entwicklung exakt. Heute gern als Vertreter des sogenannten „Cyber-Punk“ betitelt, passt ESCAPE FROM NEW YORK perfekt in seine Zeit, in der der Punk als jugendliche Leitkultur die Hippies und Freaks abgelöst und statt einer friedvollen Love-and-Peace-, eine zynische und durchaus gewalttätige No-Future-Ideologie in den Diskurs eingespeist hatte.

Hills THE WARRIORS ist, neben STREETS OF FIRE (1984) vielleicht, in dessen Werk am ehesten mit ESCAPE FROM NEW YORK vergleichbar; nicht zuletzt, weil beide Filme New York City als Kulisse nutzen, mehr noch – in beiden Filmen wird die Stadt auf ihre jeweilige Art zum Protagonisten eigenen Rechts. Bei Carpenter ist Manhattan ein gigantisches Gefängnis, aus dem der Schwerverbrecher Snake Plissken den Präsidenten retten soll, dessen Maschine auf dem Rückweg von einem Friedensgipfel auf der Insel im Hudson River abgestürzt ist; bei Hill ist sie das schon erwähnte Labyrinth aus U-Bahn-Verbindungen und nächtlichen Straßen, eine terra incognita für die, die sich hindurch schlagen müssen und dabei mit einem Panoptikum an Figuren konfrontiert werden, die denen in ESCAPE FROM NEW YORK nicht unähnlich sind. Hill bedient sich ähnlicher Topoi und verbreitet eine ähnliche Atmosphäre einer kaputten Stadt, die zum Feindesland wird. Allerdings traf ESCAPE FROM NEW YORK noch weitaus eher den Nerv seiner Zeit und ist in seinem Look schon deutlich ein Film der 80er Jahre, die er in bestimmten filmischen Bereichen eben auch definierte, während THE WARRIORS sowohl in seinem Look, als auch in der Motivation, die die Banden zusammenkommen lässt – eine politische, wenn nicht ideologische Vision – noch deutlich ein Produkt der 70er Jahre und ihrer Diskurse ist. Der eigentliche Mörder in diesem Film mutet letztlich am modernsten an, obwohl er ikonographisch eher wie ein Hippie aussieht, denn er tötet scheinbar aus reiner Lust und greift damit vor auf all die verrückten Killer in Thrillern der 80er und 90er Jahre.

Doch beweisen die beiden Filme, daß ihre Macher ein deutliches Gespür für die Zeitläufte hatten und darauf zu reagieren wussten. Beide bedienten das Genrekino, indem sie vordergründig reinen Action-, bzw. Horror/Science-Fiction-Kintopp boten: Hart, damit auf der Höhe der Zeit, relativ humorlos, was sich ändern sollte, und ideologisch doppeldeutig, was mit der beginnenden Reagan-Ära und ihrem  auch in Hollywood spürbaren reaktionären Wirken korrespondierte. Beide sind aber auch subversiv. Carpenter, indem er mit mythischen Versatzstücken, wie „dem Bösen“ und „dem Geist“, spielt und dadurch Spuren legt, die auf scheinbar determinierte Motive hinweisen, dabei aber gerade die Reaktion in ihrer ideologischen Verblendung entlarven; Hill, indem er in allen seinen frühen Filmen Rebellen zeigt, die die herrschende Ordnung angreifen, oder aber – wie in SOUTHERN COMFORT – die herrschende Ordnung verkennen, indem sie glauben, sie zu repräsentieren, aber eben nicht begreifen, daß sie längst in den Wirkungsbereich einer ganz anderen, archaischen Ordnung eingetreten sind. Mißverständnisse mit bitteren Folgen – auch dies ein Kommentar auf den 1981 durchaus noch gegenwärtigen Vietnamkrieg.

 

Karrierekreuzungen 1982: 48 HRS. und THE THING

Die Karrieren der beiden kreuzen sich in gewisser Weise 1982. Ich erinnere mich, 48 HRS. (1982) an einem warmen Frühlingsabend in einem kleinen Düsseldorfer Kino, einem der frühen Schachtelkinos, wie sie so typisch für die 80er werden sollten, gesehen zu haben. Der Film kam zwar zunächst wie ein herkömmlicher Buddy-Film daher – zwei ungleiche Partner, die sich nicht leiden können, die durch irgendeinen Umstand aneinander gekettet sind und sich im Laufe der Handlung zusammenraufen, bis sie merken, daß sie sich irgendwie doch mögen. Neu war der krude Mix aus teils extremer Gewalt und einen Sprüchefeuerwerk, für das vor allem ein junger Schwarzer verantwortlich war, der mit diesem Film eine Karriere startete, die ihn zumindest in den 80er Jahren zum Superstar aufsteigen ließ: Eddie Murphy. Mit seiner Befähigung, in sehr kurzer Zeit sehr viele Worte aus sich herauszuschleudern (ein Talent, welches er erst in BEVERLY HILLS COP [1984] zu voller Geltung brachte), war Murphy an sich schon eine Erscheinung, im Doppelpack mit dem damals in einem Karrieretief steckenden Nick Nolte als rassistischer, sexistischer oder einfach nur misanthropischer Bulle Jack Cates, wurde er zum Shooting-Star des Jahres. 48 HRS. war an den Kinokassen unglaublich erfolgreich und begründete, bzw. führte das Buddy-Movie in neue Bereiche und koppelte zugleich Härte, Action und Humor aneinander. Ein Rezept, das in den 80er und 90er Jahren weidlich ausgenutzt werden sollte; vor allem das Duo Mel Gibson/Danny Glover in der LETHAL WEAPON-Serie (ab 1987) spielte nicht nur das Rassenschranken ignorierende  Pärchen zweier Supercops, sondern sie griffen auch das Spielchen um Alter und Verrücktheit auf, kehrten es aber um: Der jüngere weiße Polizist (Gibson) gilt als verrückt, der ältere schwarze Polizist (Glover) als Stimme der Vernunft. Auch Martin Brests MIDNIGHT RUN (1988) griff auf das Muster zurück, koppelte einen immer schlechter gelaunten Robert De Niro als Kopfgeldjäger an einen ihm intellektuell weit überlegenen Gefangenen, den Charles Grodin mit zurückhaltender Lust an der Demütigung anderer spielte.

Doch sind beide Beispiele bereits Modifikationen. Das Duo Murphy/Nolte besticht durch dauernde Wortduelle, die Cates vor allem als dauernd andere beleidigenden Macho und Proll ausweisen, dessen politisch vollkommen inkorrekten Sprüche voller rassistischer Beschimpfungen vor allem der Figur Murphys stecken. Heute undenkbar, nennt Nolte ihn durchgehend „N**ger“, aber ebenso reagiert er auf jedes weibliche Wesen in seiner Umgebung umgehend mit übelsten Sexismen und nicht mehr sehr doppeldeutigen Anspielungen. Hill generiert daraus Humor, vor allem, je besser der Zuschauer versteht, daß Reggie Hammond – also Murphys Figur – seinem Zwangskompagnon intellektuell gnadenlos überlegen ist. Murphys Konter sind die eigentliche Sensation des Films, denn hier emanzipiert sich ein Schwarzer, der über Rassismus redet, ihn auch bloßstellt und dadurch anprangert, selber aber wirkt, als habe er damit schon längst nichts mehr zu tun. 48 HRS., dem oftmals vorgeworfen wurde, rassistisch zu sein, handelt das Thema Rassismus ab, kann seine Sympathien für das Raubein Cates auch nicht verbergen, will ihn aber letztlich als harten Kerl mit weichem Kern verstanden wissen. Hill setzt damit einen gewissen Ton, der in den 80er Jahren viele vermeintliche Actionfilme und -komödien beherrschte: Hart und rau, dabei immer ironisch bis an die Grenze des Sarkasmus und dadurch immer doppeldeutig. So erfüllt diese Art von Humor auch eine doppelte Funktion: Sie entblößt, birgt in sich aber immer auch die Möglichkeit, Dinge zu sagen, die eigentlich längst nicht mehr sagbar sind. So entstehen Zwitter: Als Zuschauer bin ich mir  manchmal nicht sicher, ob hier ein gewisses Sprechen entlarvt werden soll, oder ob man den Deckmantel der Entlarvung nutzt, um einfach mal ordentlich Dampf abzulassen. Diese Fragen könnte man sich ebenso bei einer Reihe von Filmen des Regisseurs Clint Eastwood stellen, aber auch an Filme von Michael Cimino, James Cameron oder John McTiernan richten – alles als intellektuell oder gar liberal geltende Filmemacher, in deren Werken gern, viel und ausführlich rassistisch geflucht wird.

Die 80er Jahre waren auch im Kino eine bestenfalls ambivalente, an sich jedoch reaktionäre Dekade, Hill hat seinen Anteil daran. Doch er schafft eben auch eine Drastik durch realistische Darstellung, die durchaus Bewußtsein für soziale Realitäten und Zusammenhänge offenbart. So sehr man an der Figur Cates rumkritteln mag, ihr Jargon, der Auftritt, das Aussehen, verleihen ihr Authentizität. Und auch die Härte, die der Film vermittelt und nutzt, um nicht als reine Komödie durchzugehen, zeugt von Hills Willen, bei aller gebotenen Unterhaltung, ernsthaftes Kino zu machen. Und daß es sich bei allem Actionspektakel im Kern um eine Rache- und Freundschaftsgeschichte handelt, zeugt erneut von Hills tiefer Liebe zum Western, dem nicht nur die Motivik, sondern auch etliche bildliche Elemente entnommen sind. Doch inhaltlich entfernt der Filmemacher sich erstmals vom Kern seiner bisherigen Geschichten, seine Thematik nimmt andere Züge an, der Plot tritt zugunsten des ungleichen Duos in den Hintergrund, die Dialoge und die reine Action sind zweifelsohne Sinn und Zweck des ganzen Unterfangens.

48 HRS. war Walter Hills erster Flirt mit den großen Budgets, mit Stars und natürlich mit kommerziellem Druck. Daß es ihm gelang, einen wirklichen Hit zu landen, der Maßstäbe setzen sollte, ist vielleicht auch seinem Gespür für seine jeweilige Gegenwart zu verdanken. Alle seine Filme bis dato waren auf der Höhe ihrer Zeit, nimmt man THE LONG RIDERS einmal aus, der interessanterweise auch die schwächsten Kritiken bekommen hatte. Nun hatte Hill die Möglichkeit eigene Herzensprojekte anzugehen, konnte zugleich aber auch auf größere Etats zurückgreifen.

Im Herbst 1982 – der heiße Sommer der guten Laune war vorbei – kam John Carpenters THE THING (1982) auf die Leinwände der bundesdeutschen Kinos. Es erstaunt, bedenkt man, welch einen Status der Film heute genießt – im Grunde ein Referenzwerk sowohl für Horror-, wie für Science-Fiction-Liebhaber, als auch für die Aficionados des Gore- und Splatterfilms – , daß er zunächst kein allzu großer Erfolg war. Wie so vielen Genrefilmen der 80er Jahre, gelang auch ihm eine Zweitkarriere auf dem Video-Markt, wodurch er seine Reputation und das Label als Kultfilm erhielt. Anders als Hill, der sich mit seinem Cop-Thriller einem für ihn vermeintlich ungewohnten, neuen Genre zugewandt hatte, blieb Carpenter sich in der Wahl des Genres treu und kehrte in gewissem Sinne zu der Versuchsanordnung von ASSAULT ON PRECINCT 13 zurück. Eingeschlossen im ewigen Eis der Antarktis, findet sich die Besatzung einer Forschungsstation im Belagerungszustand durch ein Alien, das im Eis verborgen lag und nun nach und nach die Männer infiziert und damit dezimiert. So entsteht eine doppelte Belagerungssituation: Durch das Eis vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, hockt der Feind aber nicht in der Dunkelheit, sondern greift gleichsam von innen an. Da niemand weiß, wer von den Männern bereits infiziert ist, entsteht eine hochgradig paranoide Situation, in der jeder jedem und sich selbst mißtraut. Das Prinzip kann man auch in THE FOG und ESCAPE FROM NEW YORK bereits erkennen: Obwohl de facto nach außen hin abgeschlossen (der Nebel; die Gefängnismauern) und so unter Belagerung, bzw. um die Gefahr drinnen zu halten, befindet sich die Gruppe aber immer auch innerhalb der Gefahr. Im Nebel ist man den Geistern der Toten, innerhalb der Gefängnismauern einem lauernden Feind ausgeliefert. In THE THING wird die Spirale noch einmal weitergedreht: Unter Belagerung, weil man die Station nicht verlassen kann, ist man nicht einfach im Wirkungskreis des Feindes (das sowieso), sondern der Feind ist IN den Männern. Wenn Carpenter sein ohne Eigengestalt auskommendes Wesen in grotesken Mutationen sich erheben lässt und nebenbei ein Meisterwerk an Gore-Effekten bietet, wird die Unterscheidung der äußeren und der inneren Belagerung aufgehoben. Und die Identität dessen, der Opfer des Wesens wird, wird ebenfalls aufgehoben, ja, sie bricht förmlich auseinander, bricht doch dieses Wesen aus seinem Wirtskörper hervor, absorbiert ihn zugleich, nur um dann projektive Figurinen seiner Opfer aus seinem pulsierendem Fleisch hervorsprießen zu lassen. In zwei atemberaubenden Szenen wird der Zuschauer Zeuge dieser Prozesse, für damalige Trickverhältnisse bieten Carpenter und sein Team für die Spezialeffekte unglaubliche Bilder eines sich organisch ausbreitenden Wesens, das ununterbrochen seine Gestalt wandelt. zunächst eben kein Erfolg, wurde der Film mittel- wie langfristig jedoch einer der einflußreichsten Filme der Dekade und wurde zu dem schon erwähnten Referenzwerk.

Kann man sagen, daß beide – Walter Hill und John Carpenter – in diesem Jahr entscheidende Schritte für ihre Karrieren getan haben? Betrachtet man ihr Werk aus der Rückschau, drängt sich jedenfalls der Eindruck auf. Die Werke, für die beide Eingang in die Filmgeschichte gefunden haben, waren bereits erschienen und hatten in Carpenters Fall auch schon sein Image als reiner Vertreter des Horrorfachs begründet und verfestigt. Dazu trug THE THING mit seinen expliziten Gewaltdarstellungen natürlich bei. Auf jeden Fall begann für beide der eher durchwachsene Eintritt in den Mainstream. Beide begannen, für große Studios fremde Stoffe zu verfilmen – wobei THE THING ebenfalls bereits eine reine Regiearbeit war, seinen Beitrag zur Musik ließ Carpenter im Vorspann unerwähnt – und beide hatten damit nur bedingten Erfolg. Hill zumindest gelang es, sich im Actionfach zu behaupten, er arbeitete schließlich in den 90er Jahren auch erfolgreich als Produzent – so war er für alle Teile der ALIEN-Reihe (ab 1979) verantwortlich. Carpenter produzierte erfolgreich den zweiten und den dritten Teil der auf seinem Film beruhenden HALLOWEEN-Serie und war auch als ausführender Produzent für THE PHILADELPHIA EXPERIMENT (1984) und BLACK MOON (1986) verantwortlich. Als Regisseur trat er schon 1983 wieder in Erscheinung und übernahm den Stuhl bei der Stephen-King-Verfilmung CHRISTINE (1983).

 

Carpenter und King: Eine natürliche Ergänzung?

Die ersten Anzeichen in THE FOG, daß etwas Unnatürliches vor sich geht, geschehen mit Alltagsgegenständen: Die Schläuche der Zapfsäulen einer Tankstelle springen aus ihren Halterungen, die Hupen etlicher Wagen in den nächtlichen Straßen werden wie von Geisterhand (sic!) betätigt und in einem Supermarkt beginnen die Kühlschränke mit den Getränke- und Milchflaschen derart zu rappeln und zu beben, daß ein gut´ Teil davon auf dem Boden landet und zerbirst. Nebel – für Küstenbewohner die natürlichste Sache der Welt – wird zu einer tödlichen Bedrohung, das gutnachbarschaftliche Gefühl, das Gefühl von Sicherheit, das eine ländliche Gemeinde wie San Antonio bietet, wo jeder jeden zu kennen scheint und Stadtpolitik auf Parkplätzen wie nebenher über die Motorhaube hinweg erledigt wird, wird zu einer Falle, der Ort, der beim Licht des Tages so hübsch und hell, so freundlich und einladend wirkt, wird im Laufe einer Nacht zu einem fremden Terrain, das plötzlich von fremden, feindlich gesonnenen Kräften beherrscht wird. In den Alltag bricht das Grauen ein. Das Muster liegt auch HALLOWEEN zugrunde, der allerdings mit stärkeren filmischen Verfremdungseffekten spielt als der konventionellere THE FOG und dadurch eine bedrückende Atmosphäre schafft.

In der Literatur fand diese Art des Grauens ihre Entsprechung in den Romanen und Kurzgeschichten von Stephen King. Seit der Romancier 1974 mit dem durchaus experimentell gehaltenen Roman CARRIE auf der Bildfläche erschienen war, zeichnete auch sein Werk das Merkmal aus, das Grauen in oft sehr genau beobachtete und beschriebene Alltagssituationen einbrechen zu lassen. Er stattete seine Figuren mit widersprüchlichen Charakterzügen aus und versetzte sie oft in komplizierte, krisenhafte Alltagssituationen: Ehebruch, Kindestod, Alkoholismus. So funktionierte der Horror bei King immer auf doppelter Ebene: Ganz konkret konnte er gerade in seinen frühen Werken seiner oft blutrünstigen Phantasie Ausdruck verleihen, gleichzeitig funktionieren seine Geschichten oft als Metapher. Da ist beispielsweise der alkoholkranke Familienvater in SHINING, der eigentlich ein Schriftsteller sein möchte und seine Familie in eine komplett isolierte Lage in den verschneiten Bergen bringt, wo er ein Hotel über den Winter beaufsichtigen soll. In seinem vielleicht besten Buch gelingt es King, die Ebenen geschickt ineinander greifen zu lassen, so daß der ganze Roman auch wie die Beschreibung eines delirierenden Zustands funktionieren könnte – ein Zustand, den der damalige Alkoholiker King gut kannte. Doch vor allem sind es hier wie auch schon in CARRIE und den Romanen CUJO und schließlich CHRISTINE Alltagsgegenstände, die bedrohlichen Charakter annehmen. In CHRISTINE erhält ein 58er Plymouth Fury für den jungen Arnie, Typ klassischer Loser, Fetischcharakter. Mit dem Besitz des Wagens, den er auf den titelgebenden Namen tauft, wachsen Arnie geradezu charismatische Kräfte zu, er wird zu einem coolen Kerl, der aber zusehends bösartige Züge entwickelt – analog zu den Eifersuchtsattacken, die seine first love Christine in immer kürzeren Intervallen befällt und immer mehr seiner Schulkameraden und Freunde das Leben kostet.

Was zuvor über John Carpenter gesagt wurde, gilt für King erst recht: Er ist ein Hohepriester des Americana. Sein Blick für die amerikanische Alltagskultur und deren Ikonographie zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk. So wurde er zu einem postmodernen Chronisten der amerikanischen Gegenwart in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dem Genre fügte er, dessen Bücher so verführerisch leicht verfilmbar wirken und doch so selten gut verfilmt wurden, durchaus eigene Facetten hinzu; vor allem aber gelang es ihm, die klassischen Mythen des Gruselfachs – Gespenster, Vampire, Werwölfe, Wiedergänger und der Leibhaftige persönlich – in einen modernen, popkulturellen Kontext zu überführen; zugleich nahm er aber auch modernes Grauen auf und transformierte es in meist funktionierende Konstruktionen grauenerregenden Schreckens einer dem Leser bestens bekannten Alltagskultur und -gesellschaft. Serienkiller, Telepathie, Außerirdische und die Dämonen unserer Vergangenheit – auch diese Figuren und Thematiken griff King auf und verband sie oft mit einem sehr genauen Bewusstsein für die Nöte gerade Heranwachsender, wodurch seine Bücher natürlich auch und gerade Jugendliche als Zielpublikum ansprachen.

1983 war King persönlich in desolatem Zustand, aber auf der Höhe seines Ruhms. Seit Brian De Palmas Verfilmung von CARRIE war nahezu jedes Werk des Regisseurs adaptiert worden, seine Bücher waren Bestseller. Für das laufende Jahr waren vier Filme[2] und ein neuer Roman angekündigt. John Carpenter übernahm die Regie für CHRISTINE und begann mit den Dreharbeiten, bevor der Roman überhaupt veröffentlicht, ja auch nur fertiggestellt war. Bei den erwähnten Voraussetzungen sollte man meinen, daß das daraus resultierende Produkt eine große Sache sein könnte, scheinen mit King und Carpenter doch zwei Gleichgesinnte einen Stoff gefunden zu haben, der ihren spezifischen Interessen und Thematiken entspricht. Doch der fertige Film kann zwar in einzelnen Momenten durchaus überzeugen, in denen er das Leben an einer amerikanischen Highschool beobachtet, bleibt aber in den Action- und Spannungsmomenten erstaunlich bieder und konventionell. So entstand ein Hybrid aus den damals beliebten Teeniekomödien und Brat-Pack-Filmen und einem dauernd Gefahr und Grusel behauptenden Horrorfilm, dem – um im Bild zu bleiben – auf halber Strecke der Sprit ausgeht. Ich erinnere mich, wie wir den Film als Clique sahen und natürlich sehr angetan waren, fühlten wir uns doch voll gesehen, ohne zu begreifen, daß unsere bundesdeutsche Wirklichkeit nichts mit der auf der Leinwand zu tun hat.

 

Die 80er und der Niedergang

Für Carpenter war es der Beginn einer Reihe von Flops oder Beinahe-Flops. Bei STARMAN (1984) führte er Regie; obwohl der Film gewisse Qualitäten aufwies, in Jeff Bridges einen guten Hauptdarsteller hatte und vor allem eine pazifistische Botschaft in chauvinistischen Zeiten transportierte (oder gerade deshalb?), konnte er sich an der Kinokasse nur so gerade behaupten. Vielleicht war mit dem zwei Jahre älteren E.T. der Bedarf an freundlichen Außerirdischen auch gedeckt. Für mich – und ich denke, ich stehe mit meinem Urteil nicht gänzlich alleine da – kam der absolute Tiefpunkt in Carpenters Karriere 1986 mit BIG TROUBLE IN LITTLE CHINA (1986). Selten hatte man sich auf einen neuen Film eines favorisierten Filmemachers so gefreut und wurde derart enttäuscht. Zugegeben – ich bin kein Martial Arts-Fan. Aber gut gemacht, kann ich es goutieren. Carpenter jedoch bietet ein seltsames Potpourri aus eben jenen fernöstlichen Nahkampftechniken, einem Plot, der den Comic-Strip-Serials der 1930er Jahre wie THE SPIRIT von Will Eisner entnommen scheint und einem wirren Sammelsurium aller möglichen Versatzstücke aus Fantasy- und Märchenerzählungen, die in einer derart artifiziellen Studiowelt präsentiert werden, daß diese Art der Darbietung bewusst gewählt sein muß. Keinen Moment wirkt das ernsthaft, bestenfalls ungewollt komisch. In den 90er Jahren bekam der Film auf diesem Wege eine seltsame Reputation als Vertreter der „so-schlecht-daß-es-schon-wieder-gut-ist“-Welle, ausgelöst u.a. durch Tim Burtons ED WOOD (1994), der den gleichnamigen Regisseur solcher Wunderwerke wie BRIDE OF THE MONSTER (1955) oder PLAN 9 FROM OUTER SPACE (1959) verherrlichte. Nein, es war eine Qual das anzusehen und als ich vor Jahren des Nächtens den Film erneut in Teilen sah, konnte er nicht dazu gewinnen.

Soweit bekannt, waren es die Erlebnisse mit dem Studio und die Produktionsbedingungen während des Drehs, die Carpenter sich vom Mainstream-Hollywood wieder abwenden und auf eigene Independent-Produktionen setzen ließen. Und prompt gewannen sie wieder an Qualität, Wucht und vor allem Spannung. PRINCE OF DARKNESS, der zwar auch kein wirklicher Erfolg wurde, in Kreisen von Horror-Fans dennoch einen guten Ruf genießt, schloß in gewisser Weise da an, wo Carpenter mit ESCAPE FROM NEW YORK und THE THING aufgehört hatte. Von beträchtlicher Härte, ja, durchaus mit Ausflügen ins Splatterfach, nutzt Carpenter im Grunde das gleiche Gebäude, die gleiche Situation wie in ASSAULT ON PRECINCT 13, erzeugt erneut eine extreme Belagerungssituation und kombiniert dies mit einer kruden Story über den Leibhaftigen selbst, der in eben jenem Gebäude – einer Kirche in L.A. – sich in der unsrigen Realität zu materialisieren gedenkt, in dem eine Gruppe von Wissenschaftlern – Neurologen, Parapsychologen, Linguisten usw. – , die einen grausigen Fund im Kellergewölbe untersuchen wollen, von Horden scheinbar zombiefizierter Obdachloser und Landstreicher angegriffen wird. Inklusive etlicher ekliger Effekte und einiger Härten, kehrt Carpenter mit diesem Stoff deutlich zum reinen Horrorgenre à la HALLOWEEN und THE FOG zurück. Doch griff er inhärent die katholische Kirche an, treibt sein Plot doch ein böses Spiel mit unserem Erlöser, dessen Herkunft und Werden. Vielleicht hatte Carpenter sich überlegt, daß die in Amerika eher marginalisierte katholische Kirche anzugreifen weniger Aufsehen erregen würde, daß hinter seiner Attacke ein genereller Angriff auf Glaubenssysteme aller Art – letztlich auch scheinbar wisssenschaftlich fundierte – verhehlt der Film, der ein aufreizend zynisches Potential an Humor offenbart, keinen Moment.

Die Gemeinde dankte es ihm mit einem Achtungserfolg, den Carpenter dazu nutzte, um mit JOHN CARPENTER`S THEY LIVE (1988) nur ein Jahr später nachzulegen – fast wollte man von einem Double-Bill der beiden Filme sprechen – einen fulminanten, zutiefst ironischen, ja, satirischen Science-Fiction-Film vorzulegen, der sich stark an experimentelle Filme anlehnte und dabei dennoch Action, zumindest rudimentäre Spannung und auch einen gewissen Witz bot. Angelehnt an Superhelden-Comicstrips – die Besetzung des Wrestlers Roddy Piper in der Hauptrolle erinnerte mich immer an die übertrieben Männlichkeit betonenden Zeichnungen eines Jack Kirby – bietet Carpenter eine Story um eine Invasion Außerirdischer, die die Menschheit per Reklame derart manipuliert haben, daß sie nun nahezu willenlos den Konsumverheißungen nachrennen, mit denen die Aliens sie blenden. Mit einer speziellen Brille gelingt es, die Aliens zu enttarnen und ihnen schließlich das Handwerk zu legen. Seinen Plot treibt Carpenter mit der Dynamik eines Sci-Fi-Films der 50er Jahre voran, Logiklöcher umschifft er nicht, er ignoriert sie einfach und gleitet mehr oder weniger elegant über sie hinweg. Neben der dann doch allzu platten Anprangerung von Konsumterror und Warenfetischismus, bis hin zur popkulturellen Ausnutzung der Pasolini´schen These vom Waren-Faschismus, bietet Carpenter allerdings allerlei Seitenhiebe auf die Wirklichkeit der Reagan-Ära. Der Umgang mit Minderheiten, Polizeigewalt, Hatz auf Andersdenkende (Carpenter scheut sich nicht, sie alle unisono von der Staatsmacht als „Kommunisten“ anprangern zu lassen, was ebenfalls auf die 50er Jahre und Reagans unrühmliche Rolle in der damaligen Kommunistenhatz in Hollywood rekurriert) und vor allem soziale Kälte und sozialer Ausschluß in einer Dekade, die nur Gewinnern huldigte und vermeintliche Verlierer schlichtweg ignorierte oder vergaß – all das stellt Carpenter in seinem Film aus und desavouiert es. Der ganze Film, der als Actionfilm zwar seinen Ruf genießt, aber dennoch in einer Aneinanderreihung letztlich konventionell gefilmter Verfolgungsjagden, einer allerdings wirklich beeindruckenden Schlägerei und ansonsten tricktechnisch eher durchschnittlicher Effekte mündet, findet nicht zusammen. Als Gesellschaftssatire zu platt, als Actionreißer zu gewöhnlich, als Science-Fiction-Film vielleicht noch am ehesten gelungen, wirkte Carpenter hier wieder so, als habe ihn die Kraft, das Gespür und auch die rechte Lust verlassen.

Ich erinnere mich, wie ich einst ein langes Gespräch mit einem Freund über John Carpenter führte. Wir fragten uns, wieso er so in Vergessenheit geraten sei und stellten die These auf, daß THEY LIVE ihm endgültig das Genick gebrochen habe. Einen derart frontalen Angriff auf seine Werte, ja, die Idee, daß diese Werte – gute alte marxistische Tradition – in unmittelbarem Zusammenhang mit faschistoiden Tendenzen stehen könnten, ließ sich das ausgehende Reagan-Amerika nur ungern bieten. Und da nach etlichen Stallone- und Schwarzenegger- und Van Damme- und Chuck-Norris-Vehikeln zumindest die amerikanische Nation derart auf patriotische, ja chauvinistische Werte geeicht war, war dem Film auch kein besonderer Erfolg vergönnt. Erst der Angriff auf das gläubige Amerika, nun der Angriff auf die WA(H)RE Religion Amerikas – Carpenter hatte es sich verdorben, nahmen wir an. Er drehte weiter, aber ich muß gestehen, daß ich seinen Karriere danach nur noch sporadisch verfolgt habe. IN THE MOUTH OF MADNESS (1994) erregte noch einmal allgemeine und auch die meinige Aufmerksamkeit, aber mehr als eine Variation auf das damals wieder neu belebten Okkult-Thema wusste auch dieser Film trotz einer durchaus interessanten und hintergründigen Story nicht zu bieten; interessant war bestenfalls, daß die Hauptfigur ein Schriftsteller war, der Film neben Romeros THE DARK HALF (1993) als eine Fiktionalisierung eines Erfolgsautoren wie Stephen King gesehen werden kann, zugleich bietet er aber jede Menge Anspielungen auf H.P. Lovecrafts Werk und Wirken und einige Legenden, die sich um dessen Werk spinnen. So ist IN THE MOUTH OF MADNESS zumindest eine schöne Hommage an das Gruselfach als solches. Mit JOHN CARPENTER´S VAMPIRES (1998) und GHOSTS OF MARS (2001) gelangen dem Meister noch einmal Cross-Over-Beiträge, die zumindest in ersterem Fall zu einem wahnwitzigen Mix aus Horrorfilm und Western führte. Beides sind Actionspektakel, die sich offensichtlich nicht mehr an ein breites Publikum richten, sondern ausschließlich an die Liebhaber und Aficionados. So fügt Carpenter den jeweiligen Genres auch nicht wirklich Originelles mehr hinzu, sondern ergeht sich in einem gewissen Eskapismus, erzeugt aber dennoch Spannung und unterhält. 2010 veröffentlichte er THE WARD, der nach langer , langer Zeit überhaupt erstmals wieder gute Kritiken für den Regisseur einbrachte. Erfolgreich im Sinne dessen, was das Talent John Carpenter der Traumfabrik einmal versprochen hatte, waren all diese Filme nicht mehr, einige waren sogar veritable Flops. Dennoch erhielten viele von ihnen im Laufe der Zeit und durch die gerade in Zeiten der Digitalisierung doch immer weitreichendere Zweit- und Drittverwertung und -verbreitung eine vergleichsweise gute Reputation. Da Horrorfilmliebhaber eh eine eigene Spezies sind und ihre ganz eigenen Kriterien haben, was ein Werk zu einem würdigen Beitrag macht, sie zudem durchaus treue Anhänger einmal gefundener Lieben sind, wurden auch Carpenters schwächere Werke immer und gern differenziert betrachtet und selten in Bausch und Bogen verdammt.

Und Walter Hill? Was bei meinen Überlegungen zu kurz gekommen ist – die beiden stilistisch miteinander zu vergleichen. Aber man muß Hill schon zugute halten, daß seine Filme oft professioneller aussehen, man könnte auch sagen: Dem Mainstream entsprechender. Carpenter fand eine eigene Filmsprache, die es ihm ermöglichte, seine Themen entsprechend aufzubereiten, oft wirken seine Sets aber geschlossen, nicht steril, aber artifiziell, gerade in den späteren Filmen fällt dies auf, gilt aber auch schon für ESCAPE FROM NEW YORK (erst recht für dessen wohl satirisch gemeinten Nachfolger ESCAPE FROM L.A./1996) und erst recht für THE THING. Hills Filme in den 80er Jahren, von STREETS OF FIRE einmal abgesehen, waren zwar durchaus erfolgreich – vor allem das Schwarzenegger-Vehikel RED HEAT (1988) muß da wohl genannt werden – aber daß Hill diesen Filmen noch unbedingt einen eigene Stempel aufzudrücken wusste? Eher nicht. Obwohl er auch letzteren Film neben seiner Regiearbeit geschrieben und produziert hatte. Vielleicht muß man die Sache auch komplett anders herum betrachten: Vergleichbar solchen Regie-Größen wie Robert Wise, Richard Brooks oder Robert Aldrich, die alle lange um künstlerische Reputation kämpfen mussten, da sie als Handwerker des ausgehenden Studio-Systems betrachtet  wurden, die viele Genres bedienen konnten, ohne eine eigene Handschrift zu hinterlassen, traf Hill über einen langen Zeitraum seiner Karriere den Nerv des Publikums, war am Puls der Zeit, entwickelte gemeinsam mit anderen die ikonographische Filmsprache einer Dekade, war in den unterschiedlichsten Genres zuhause und konnte jedem einen eigenen Impuls geben. Und er bediente zudem sein Lieblingsgenre, den Western, in einer Zeit, da kaum mehr jemand an den Western glauben mochte. EXTREME PREJUDICE (1987) war ein glasklarer Western in modernem Gewand, eine Hommage an Peckinpahs THE WILD BUNCH ebenso wie an THE GETAWAY.

STREETS OF FIRE und CROSSROADS (1986) hingegen waren Musikfilme, gekleidet ins Gewand eines in apokalyptische, unbestimmbare Zeiten verlegten Western (STREETS…) und eines Road-Movies. STREETS OF FIRE ist zudem auch eine Rock-Oper, die den damals gängigen Musik- und Tanzfilmen à la FOOTLOOSE (1984) oder FLASHDANCE (1983) eine ganz eigene Variante des Themas hinzuzufügen wusste. Anders als seinen genannten Cousins war dem Film aber wenig Erfolg beschieden. Ein Gespür für den Zeitgeist bewies Hill allemal. CROSSROADS war da schon erfolgreicher, wenn auch kein wirklicher Hit. In Liebhaberkreisen errang  er allerdings Kultstatus. Bei uns war er in etlichen Videonächten Standard- und Erholungsprogramm für zwischendurch. Die Mischung aus Blues-Musik und Blues-Mythologie, einem astreinen Road-Movie, das alles hat, was es dafür braucht, dem Geschmack der Straße und jugendlicher Aufbruchstimmung – eine coming-of-age-Story ist das ganze sowieso – ist nahezu perfekt angereichert durch Ry Cooders Soundtrack sowie etlichen Blues-Standards und -klassikern und bietet so vielen verschiedenen Zielgruppen viele Ebenen an, auf denen der Film funktioniert. Für die Anhänger der härteren Gangart hatte Hill zum großen Showdown den Meistergitarristen Steve Vai engagiert, damit die Hürde des Gitarren-Duells auch glaubwürdig zu vermitteln sei. CROSSROADS ist ein ungemein sympathischer kleiner Film, voller Wärme, seinen Figuren und seinem Sujet liebevoll zugewandt. Zwischen den beiden Filmen hatte Hill mit BREWSTER`S MILLIONS (1985), einer Auftragsarbeit, einen veritablen Hit gelandet, was vor allem an den damals sehr beliebten Darstellern wie Richard Pryor und John Candy gelegen haben mag. Am Buch, für das Hill nicht verantwortlich zeichnete, lag es sicherlich nicht. Heute mutet das Ganze wie eine der typischen überdrehten 80er-Comedies an, die zwischen Mel Brooks und Zucker/Zucker/Abraham selten Bleibendes hervorgebracht haben. Wer kann ernsthaft mehr als drei Eddie-Murphy-Filme beim Namen nennen?

 

Drei Western

Hills Pechsträhne begann erst gegen Ende der 80er Jahre. Er produzierte weiterhin die ALIEN-Filme, doch seine Regie-Arbeiten ANOTHER 48 HRS. (1990) und TRESPASS (1992) waren völlige Flops. Mitte der 90er dann legte Hill eine Western-Trilogie vor, die in Zeiten, da der Western trotz Kevin Costners Ethno-Spektakel DANCES WITH WOLVES (1990) und Clint Eastwoods Oscar-Triumph UNFORGIVEN (1992) keinen guten Leumund hatte, herausragte. Der erste und wohl beste der drei Filme ist GERONIMO: AN AMERICAN LEGEND (1993), der in bestechenden Bildern ein postmodernes Spiel mit Wahrheit und Legende um den aufständischen Häuptling gleichen Namens ersinnt. WILD BILL (1995), basierend auf dem Roman DEADWOOD von Pete Dexter, erzählt – ebenfalls als Erzählung eines Freundes, also als Beginn einer Legende – lose die Geschichte des Scharfschützen Wild Bill Hickok, der in etlichen Schießereien etliche Menschen vom Leben zum Tode beförderte, anders als seine Berufsgenossen Billy the Kid oder Jesse James aber nie den Ruf eines üblen Burschen genoß, sondern auf eine lange Karriere in ganz unterschiedlichen Berufen wie Fährmann, Armee-Scout, Indianerkämpfer, Büffeljäger und immer wieder Sheriff in diversen Käffern zurückblicken konnte. Vor allem aber war er ein Spieler. Wie das Buch bleibt auch der Film uneinheitlich, kann sich nicht entschließen, ob er sein Sujet ernst nimmt und – wie es GERONIMO getan hatte – über das Verhältnis von Wahrheit und Legende meditieren, oder ob er es parodieren und ironisieren soll. So hat man ein Bündel teils gelungener Einzelteile, die kein rechtes Ganzes ergeben wollen. LAST MAN STANDING (1996) hingegen zeigt Walter Hill vielleicht zum letzten Mal auf der Höhe seines Könnens als Action- und Genreregisseur, der seine Hausaufgaben gemacht hat. Als Neuinszenierung des filmklassischen YŌJIMBŌ-Stoffes (1961) von Akira Kurosawa, den Sergio Leone einige Jahre später zu seinem wiederum klassischen Italo-Western PER UN PUGNO DI DOLLARI (1964) verarbeitete, versetzt LAST MAN STANDING seine Handlung ins Jahr 1931 in ein staubtrockenes Kaff an der mexikanischen Grenze zu Texas. Im Setting Leones Film verpflichtet, in der Inszenierung der Schußwechsel hingegen eher an Kurosawas Film gemahnend, funktioniert Hills Werk wie eine Hommage an beide, macht keinen Hehl aus seiner Verehrung der Vorbilder und fügt dem Stoff mit seiner Härte und Ernsthaftigkeit doch auch eine eigene Note hinzu.

Erfolgreich waren die drei Filme alle nicht, doch konnte GERONIMO zumindest bei der Kritik punkten. Wie bei vielen Filmen Hills – und eben auch Carpenters, auch da sind sie sich ähnlich – war es die Zweitverwertung, die dem Film sein Ansehen verschaffte. Anhänger des Action-Films wie auch Western-Liebhaber konnten dem Film etwas abgewinnen und seine zweifellos vorhandenen Stärken wurden erst im Laufe der Zeit gewürdigt. Sicherlich kann man auch nicht behaupten, daß WILD BILL und LAST MAN STANDING zum Genre Wesentliches beizutragen hätten, doch GERONIMO ist nicht nur ein Western, der den Indianern Gerechtigkeit widerfahren lässt, indem er einen der ihren nicht nur ins Pantheon der Westernhelden überführt und mythisiert, sondern auch das Unrecht deutlich zeigt, das den Chiricahua Apachen widerfahren ist. Und es gelingt Hill darüber hinaus, die Quellen von Rassismus und Gewaltgläubigkeit bloßzulegen. So nutzt er den Mythos, wie einst John Ford ihn beschwor, und kehrt ihn praktisch um, kehrt durch das Labyrinth des Fiktionalen an die Quelle im Faktischen zurück, dabei das eigene Medium filmtechnisch als Mythenmaschine reflektierend. Es hat nicht viele wesentliche Western in den 90er Jahren gegeben, ganz sicher gehörte GERONIMO aber dazu.

 

Im Grunde sind beide – John Carpenter wie Walter Hill – am Ende ihrer Karrieren ganz bei sich angekommen. So wie man die letzten Filme Carpenters als Beiträge zu den postmodernen Formen und Hybriden des Horrorfilms zählen kann, so sind Hills letzte Arbeiten – auch als Produzent fürs Fernsehen – neben einigen Auftragsarbeiten weitestgehend dem Westerngenre gewidmet. Beide sind in ihren jeweilig favorisierten Metiers zu Meistern geworden, haben in ihrer Zeit und mit ihrem jeweiligen Stil definiert, wie gewisse Genres aussehen und wohin sie sich entwickeln werden. Für einen kurzen Moment, so scheint es mir, haben sich ihre Arbeiten stilistisch und in gewisser Weise sogar inhaltlich berührt. Ich starre auf die Rückseiten der DVD-Hüllen und noch einmal trifft mich wie ein Blitz: THE THING, SOUTHERN COMFORT, ESCAPE FROM NEW YORK, THE WARRIORS oder THE DRIVER – jene frühen, sehr viel persönlicheren Filme der beiden, wirkten auf mich oft wie aus einem Guss. Immer wieder ist es mir passiert, daß ich sie jeweils dem andern zugeordnet habe. Das hat sich in ihren weiteren Karrieren geändert, man käme nicht auf die Idee, BREWSTER`S MILLIONS oder RED HEAT Carpenter zuzuordnen, ebenso wäre CARPENTER`S THEY LIVE nicht Hills Kragenweite. Aber neben den vielen, vielen Regisseuren, die für Schwarzenegger oder Stallone den Weg bereiteten, neben echten Berserkern und Erneuerern wie James Cameron, neben Actionspezialisten wie John McTiernan oder Michael Bay oder Grenzgängern wie den Scott-Brüdern Ridley und Tony, die alle auch Genres bedienten und ihnen oft neue Impulse und Narrative verpassten, waren Hill und Carpenter – Kinder der 70er Jahre und des New Hollywood – schließlich die klassischen Vertreter des Genrekinos, wie Hollywood es immer hervorgebracht hat. Sicher waren auch ihre Filme von Action geprägt, doch wussten sie sie zumeist in den Dienst ihrer Geschichte, bestenfalls einer Message zu stellen, waren Dialoge, Charaktere und der Plot (meistens) ausgefeilt, die Action, mehr noch die Gewalt, die beide allerdings ausgiebig zeigen und damit auch Maßstäbe gesetzt haben, dienten ebenfalls der Dramatik, selten wurden sie Selbstzweck, und wenn, war die Gewalt zumindest immanenter Teil der erzählten Geschichte, wie in Hills THE LONG RIDERS.

Vielleicht ist es das, was ich meine: Beide Filmemacher haben so gut wie nie in ein und demselben Genre Regie geführt (wohl haben beide Science-Fiction gedreht, ansonsten ähneln sich eher Setting und Thematik gerade der frühen Filme), ergänzen sich aber, als seien sie zwei ähnliche Modelle für unterschiedliche Metiers. Horror und Science-Fiction der eine, Action- und Gangsterfilme sowie Western der andere. Als Hollywood anfing, seine Filme immer mehr nach Haushalts- und Budgetplänen zu planen, ja, sie geradezu zu entwerfen, als die Studios nicht mehr von Maniacs, wie es die frühen Tycoons der 20er oder 30er Jahre gewesen waren, oder Filmliebhabern wie Darryl F. Zanuck geführt wurden, sondern von aalglatten Business-Typen, für die Filme keine Kunstwerke waren, sondern Produkte in Plansöllen, die Rendite abwerfen, die in Quartalsplänen aufgehen und Gewinne, Gewinne, Gewinne einfahren oder gewinnbringend abgeschrieben werden müssen, als Hollywood also immer mehr wie eine herkömmliche ökonomische Maschine oder ein Finanzmarktplatz funktionierte, da waren es wenige Filmemacher wie Walter Hill und John Carpenter, die, einst als Wunderkinder und Erneuerer gefeiert, die Fahne des klassischen Hollywood-Kinos als Genre-Kino hochhielten. Damit fuhren sie in den erfolgsverliebten 80er Jahren nicht mehr die ganz großen Erfolge ein, aber künstlerisch ist es beiden gelungen, zunächst grundlegend, später punktuell, wesentliche Impulse, Variationen, manchmal auch nur Fußnoten, zu ihren jeweiligen Genres beizutragen.

Und ob man nun einen , zwei oder etliche ihrer Filme mag, fast ein jeder, der in den 70er und 80er Jahren seine filmische Sozialisation erleben durfte, wurde an irgendeinem Punkt dieser Entwicklung auch von einem Film dieser beiden Regisseure berührt. Versonnen lächle ich in mich hinein, lese noch einmal den Klappentext zu ESCAPE FROM NEW YORK und ordne ihn dann ein. Bei Walter Hill.

 

[1] Americana nennt man die meist liebevollen Betrachtung und Zurschaustellung der jüngeren und gegenwärtigen amerikanischen Alltagskultur, eine Feier spezifisch amerikanischer Errungenschaften; das kann vom Cadillac als Ausdruck eines gewissen amerikanischen Geistes des 20. Jahrhunderts, über die Fetischisierung von Alltagsgegenständen, wie Campbell´s Suppendosen oder bestimmten Kaugummimarken, bis zur Darstellung typischer Diners, Juke Joints oder Sport Bars, der Ikonisierung von Sport-, Musik- oder Filmstars oder dem Einsatz typischer Musik – Blues, Jazz, Country, Rock´n´Roll – reichen.

[2] THE DEAD ZONE von David Cronenberg; CUJO von Lewis Teague; CHILDREN OF THE CORN von Fritz Kiersch (erschienen 1984) und schließlich Carpenters CHRISTINE.

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