Eine Genealogie der Serien- und Massenmörder im (post)modernen Horrorfilm
...unter explizitem Nichtanspruch auf Vollständigkeit
Heutzutage ist es mehr oder weniger ein Allgemeinplatz, wenn man die Wasserscheide im Horrorfilm, den Übergang vom klassischen „phantastischen Film“ zum modernen Horrorfilm, wie wir ihn meist auch heute noch kennen, auf das Jahr 1960 legt. Denn in jenem Jahr erschienen zwei Filme, die das Konzept des „Bösen“ gänzlich neu dachten; ein Konzept, das den Horrorfilm seit jeher beherrscht hat, indem er es ernst nahm und in einem konkreten Handlungsrahmen darstellte und umsetzte.
Bis dato waren die Bedrohungen im Horrorfilm meist dem Bereich des Aberglaubens oder des Übernatürlichen zuzurechnende Monster oder Halbwesen – Vampire, Werwölfe, Katzen- und Amphibienmenschen etc. – oder vom Menschen geschaffene Ungetüme – der Golem und Frankensteins Ungeheuer wären exemplarisch zu nennen. Zwar stand auch der Mensch immer schon im Verdacht, seinen Anteil am Bösen zu haben, weshalb die halbwahnsinnigen Wissenschaftler, wie eben jener der Hybris erlegene Dr. Frankenstein, ebenfalls immer schon zum Stammpersonal des Horror- und Science-Fiction-Films gehörten, doch die konkrete Bedrohung ging eben von jenen Wesen aus, die diese Männer heraufbeschworen oder erschufen. Auch Mörder und andere Verbrecher hatte es immer schon auf der Leinwand zu bestaunen gegeben. Die von Fritz Lang auf die Leinwand gebrachte Figur des Superverbrechers Dr. Mabuse (DR. MABUSE, DER SPIELER/1921/22; DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE/1932/33) ist trotz teils grausiger Anteile der Filme, von Anfang als Krimineller definiert, auch wenn er schon all die Merkmale der späteren Superhirne hat, die schließlich etliche Helden der Filmgeschichte, allen voran den Agenten James Bond, wieder und wieder herausfordern sollten. Er ist böse, aber mindestens ebenso genial, seine Befriedigung besteht darin, sich seinen Gegnern überlegen fühlen zu können. Ein Vertreter des Bösen, wie der Horrorfilm ihn definiert und braucht, ist er nicht.
Im klassischen Horrorfilm hatte es auch schon Wahnsinnige gegeben. In James Whales THE OLD DARK HOUSE (1932) ist es schließlich der pyromanische Bruder der Gastgeber, der sich als Grund des vermeintlichen Spuks entpuppt. Doch spielt der Film, auch das klassisch, durchgängig mit Versatzstücken des Geister- und Spukhausmotivs und gibt sein Geheimnis recht spät erst preis. Daß das Böse gänzlich vom Menschen ausgeht und psychologisch erklärt, ja nachvollziehbar gemacht wurde, dürfen sich jedoch Alfred Hitchcock und Michael Powell anrechnen. Beide Regisseure lieferten im Jahr 1960 jeweils einen Film, deren Täter gänzlich der hiesigen Welt entstammen und offenbar psychopathische Anteile haben.
Das moderne Böse: PEEPING TOM und PSYCHO
Powell drehte einen zunächst recht wenig beachteten Thriller namens PEEPING TOM (1960), der schnell die Aufmerksamkeit der Sittenwächter erregte. Sein Antiheld, ein von Karlheinz Böhm gespielter Kameramann, ist ein Voyeur, ein Spanner, der abseits seines geregelten Abreitstages Frauen filmt und während des Drehs mit einem im Stativ seiner Kamera eingelassenen Messer tötet, weil er ihr Entsetzen und den letzten Blick der Sterbenden festhalten will.
Die Öffentlichkeit war außer sich, in Großbritannien, wo der Film gedreht worden war, griff die Zensur durch und ließ Powell etliche Szenen schneiden oder ganz entfernen. Dieser Mark Lewis, den der Film, den man nicht zwingend als Horrorfilm bezeichnen muß, präsentiert, ist selber ein Opfer: Sein Vater, eine Koryphäe der Psychiatrie, hatte ihn einst, als Kind, nachts geweckt und gequält, um die Angst des Kindes zu filmen und zu studieren. Das Böse, welches der Film darstellt, ist also nicht nur erklärbar, sondern zutiefst menschlich. Der Schrecken kommt aus uns selbst, wir selber sind unsere ärgsten Feinde, unsere eigene Psyche ist Auslöser für all die Morde und Verbrechen, kein Halbwesen aus mythologischer Urzeit in einem unstillbaren Blutdurst. Darüber hinaus wird dieses Böse aber auch noch erklärt. Indem wir erfahren, warum dieser Mann so ist, wie er ist, müssen wir uns damit auseinandersetzen, daß wir ihn verstehen. Sein Vorgehen, seine Taten werden zwar nicht nachvollziehbar oder gar entschuldigt, sie werden aber verständlich.
1960 war die Psychoanalyse zwar nicht mehr der letzte Schrei in Hollywood, doch gerade die vorangegangene Dekade, wie auch schon die 40er Jahre, hatten im populären Film amerikanischer Prägung einen psychoanalytischen Schub gesehen. Hollywood liebte psychologische Filme, die Freuds Thesen und Lehren natürlich in einem Vulgärkontext nutzten, um gebrochene Helden wie im ‚Film Noir‘ zu zeigen und zu erklären. Auf dieses Konzept griffen Powell und Drehbuchautor Leo Marks geradezu lustvoll zurück, um einen ebenso furchterregenden wie bemitleidenswerten Helden zu kreieren, den der Zuschauer nicht ohne Weiteres verdammen kann.
Einer jener Regisseure, der die Psychoanalyse liebte und schon früh deren Ideen in seine Filme einfließen ließ, war der in Hollywood zu endgültigem Weltruhm gelangte Brite Alfred Hitchcock. Ihn interessierten das Abseitige, der Fetisch, die Obsession schon immer und immer wieder hatte er Helden geboten, die unter psychischen Deformationen oder Neurosen litten. Das Prinzip lag sowohl einem Film wie SHADOW OF A DOUBT (1943) wie auch dem späteren SPELLBOUND (1945) zugrunde. Aber beides waren Thriller, bzw. Psychothriller, wobei in den 40er Jahren noch weitaus weniger zwischen Genres und Subgenres differenziert wurde. Die Idee, einen Psychopathen in einem waschechten Horrorfilm als Täter zu präsentieren, setzte Hitchcock erst 1960 um. Er drehte in extrem kurzer Zeit und komplett mit eigenem Geld finanziert einen schwarz-weißen Film, dessen Wirkmächtigkeit schon damals spürbar war, aber erst über 60 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen ist.
PSYCHO (1960) war ein ungeheurer Erfolg, obwohl oder gerade, weil er mit etlichen Tabus und Genreregeln brach, inhaltlich wie formal. Ohne den Film hier in seinen Einzelheiten und zahlreichen Details analysieren zu können, muß man vor allem festhalten, daß Norman Bates, der von Anthony Perkins als hypernervöser junger Mann gespielte Mörder, mehr noch als Mark Lewis aus Powells Film, ein völlig neuer Tätertypus ist. Denn obwohl er uns am Ende des Films – einer seiner sehr wenigen Schwachstellen – trotz der vorherigen 90 Minuten, die uns ja sehr genau von der vielfältigen Störung dieses Kerls berichtet haben, von einem Psychologen noch einmal erklärt wird, bleibt er erratisch und uns als Zuschauern entfremdet. Hitchcock unterstreicht dies mit seiner letzten Einstellung im Film: Norman sitzt, in eine Decke gewickelt, in einem Raum der Polizeiwache. Sein Gesicht ist unbeweglich, fast starr, während wir der Stimme lauschen, die er immer dann nutzte, wenn er in die Kleider – und damit die Rolle – seiner Mutter schlüpfte. Das Wesen, das da in Norman steckt – ein Hybrid aus ihm und seiner Mutter, deren Person in ihm weiterlebt und zugleich eine Projektion seines Geistes ist – beharrt darauf, eine arme, alte Frau zu sein, die keiner Fliege etwas zuleide tun könnte. Wie zum Beweis zeigt die Kamera uns in einer Großaufnahme eine Fliege, die über Normans Hand krabbelt. Zwar wurde uns soeben erklärt, daß Norman wohl schizophren ist, einst seine Mutter und deren Liebhaber umbrachte, als er die Beziehung zu seiner Mutter durch die Liaison bedroht sah, und dann deren Persönlichkeit übernahm, um immer mit ihr vereint zu sein, doch nutzt diese vulgärödipale Erklärung wenig bis nichts, um die Schrecken zu bannen, die der Regisseur uns zuvor in den Kopf gepflanzt hat.
Sei es die berühmte Duschszene, in der uns die bisherige Heldin des Films – Marion Crane, gespielt von der wunderschönen Janet Leigh – als Identifikationsfigur genommen wird; sei es der wiederkehrende Kontrast zwischen dem den Bildvordergrund beherrschenden Motel, einer vergleichsweise modernen Institution, und dem viktorianisch anmutenden Haus auf dem Hügel, das dunkel dräuend den Hintergrund bestimmt; sei es jene grauenerregende Szene am Ende des Films, die schließlich das Geheimnis um Norman Bates und seine Mutter lüftet – PSYCHO ist in seiner Sprache, in seiner Grammatik, in seiner Dramaturgie ein Horrorfilm. Neben THE BIRDS (1963), der sehr viel konventioneller funktioniert, ist dies Hitchcocks einziger Film, den man so eindeutig dem Genre zuordnen kann. Er selbst hätte den Film wahrscheinlich eher als Thriller bezeichnet, doch muß auch er gewusst haben, daß die Mittel, die er nutzt, denen des Horrorfilms entsprechen.
So bleibt in PSYCHO ein, in der Handlung, im Plot selbst, vielleicht nicht auszumachender Rest dessen, was im klassischen Horrorfilm das Mythologische und damit Mystische ausgemacht hat. Über dem Film hängt eine Aura des Unwirklichen, Außerweltlichen, das sicherlich zuerst auf der Symbolebene angesiedelt ist: Die Wüste – Zeichen der Einsamkeit und Verlorenheit – in der das Opfer, selbst nicht frei von Sünde (der Diebstahl des Geldes, der im Grunde die ganze Bewegung des Films in Gang setzt), einem nicht erkennbaren, fremden Feind nackt und wehrlos ausgesetzt ist; der Regen, durch den Marion von der Straße abkommt, wie sie zuvor vom „rechten“ Weg abgekommen ist; die verspiegelte Sonnenbrille des Highway-Polizisten, in der sie immer nur sich selbst sehen kann, während sie durch die Brille von den Augen der Staatsmacht beobachtet wird; die ausgestopften Vögel in Normans Büro, die mit ihren leblosen Augen und weit gespreizten Flügeln von etwas Kommenden zu künden scheinen, etwas Düsterem, dem Tod vielleicht, den sie selbst repräsentieren[1]; Normans scheinbar ständiges Mümmeln, das auf weit tiefer liegende Obsessionen und Gelüste verweist; der voyeuristische Blick (auch hier, ähnlich wie in PEEPING TOM), der natürlich auf das Wesen des Kinos selbst reflektiert und den Hitchcock schon mehrfach thematisiert hat.
Doch auch inhaltlich stechen die übergeordneten Themen sofort ins Auge: Schuld und Sühne ist dabei das Grundmotiv. Alle Hauptfiguren des Films, möglicherweise von Marions Schwester Lila abgesehen, sind auf die eine oder andere Art schuldig. Außerehelicher Sex, Schulden, Diebstahl, Mord – der Katholik Hitchcock bietet hier schon ein beeindruckendes Spektrum von Todsünden, an denen er sich abarbeiten kann. Es gelingt ihm brillant, die profane Ebene des alltäglichen Lebens in den modernen USA mit der zutiefst religiösen, fast archaischen Grundmelodie des Films zu vereinen und je nach Nutzen von der einen in die andere Ebene zu wechseln. Umso schrecklicher, wenn wir dann am Ende des Films gewärtigen müssen, daß wir es hier eben nicht mit etwas Außerweltlichem, Unerklärlichem zu tun haben, sondern der Horror, der da entfacht wird, tief aus der verstörten Seele eines kleinen Jungen entspringt.
Es ist bekannt, daß PSYCHO auf der Vorlage des gleichnamigen Romans von Robert Bloch beruht, der nur ein Jahr zuvor erschienen war. Bloch seinerseits gehörte zu der Meute jener Autoren und Journalisten, die einem aufsehenerregenden Verbrechen auf der Spur waren. Ed Gein war 1957 in Wisconsin verhaftet worden. Er wurde des Mordes, Leichendiebstahls und der Leichenschändung beschuldigt. In seinem Haus und diversen Nebengebäuden seiner Farm wurden allerlei Gliedmaßen und Körperteile gefunden, zudem hatte Gein offenbar Fetischschmuck aus Haut und Einzelteilen menschlicher Körper gebastelt. Er wurde als psychisch krank eingestuft und in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, wo er 1984 starb.
Gein war also der Prototyp dessen, was sich Schriftsteller und Drehbuchautoren fürderhin unter Psychopathen vorstellten. Offensichtlich auf seine Mutter fixiert, mit der er lange zusammengelebt hatte, war sein Fall einerseits mit den gängigen Mitteln der Psychoanalyse (Ödipuskomplex!) psychologisch nachvollziehbar und zugleich so bizarr und die Details derart abwegig, daß sich daraus ein gut funktionierendes Gemisch aus Faszination und Ekel ergab. Bloch hatte das Potential erkannt und in seinem Thriller verarbeitet; Hitchcock seinerseits war in der Lage gewesen, das Potential für die Leinwand zu erkennen. Daß der im Buch und im Film präsentierte Motelbesitzer Norman Bates nicht mehr viel mit dem ältlich wirkenden Farmer aus Wisconsin gemein hatte, kann man sich vorstellen. Allerdings bezogen sich im Lauf der folgenden Dekaden noch einige Filme auf den Fall Ed Gein. Dabei kommt es zu einer interessanten pop-kulturellen Kreuzung eines realen Vorbilds und seiner ersten und so prägenden fiktionalen Entsprechung auf der Leinwand.
Exkurs: Zum Horrorfilm der 1960er Jahre
Die 60er waren für den Horrorfilm kein wirklich prägendes Jahrzehnt. Einzelne Werke stechen heraus, spielen aber im Kontext der Entwicklung des Phänomens Massen- und Serienmörder im modernen Horrorfilm keine oder höchstens eine untergeordnete Rolle. Roman Polanski hatte mit THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (1967) und ROSEMARY`S BABY (1968) zwar formal neue Wege beschritten, doch bezog er sich in seinem satirischen Vampir-Film bewußt auf eine mythologische und damit dem klassischen Hollywood-Horror zugehörige Spezies, sein Satanistenwerk spielt mit der Möglichkeit des Undenkbaren, indem es das Konzept des Bösen als abstrakte, aber aus sich heraus herrschende Kraft in personam Satan, Luzifer, Teufel – you name it – bitterernst nahm. Damit antizipierte Polanski aber eher eine in den 70er stark aufkommende Spielart des Horrorfilms, bzw. fundierte sie. Filme wie THE EXORCIST (1973) oder THE OMEN (1976) spielten das Thema Satanismus/Satan auf Erden, aber auch Hexerei und Okkultismus in verschiedenen Formen durch.
Vor allem die Filme aus der Werkstatt des Produzenten, Regisseurs und Drehbuchautors Roger Corman sind als stilprägend für den Horrorfilm der 60er Jahre in Erinnerung geblieben. Corman adaptierte etliche Edgar-Allen-Poe-Geschichten (und weitaus weniger des Autors H.P. Lovecraft) und brachte sie in einem meist plüschigen Ambiente, das bewußt ein überzeichnetes Bild des ausgehenden 19. Jahrhunderts zeichnete, mit einigen Schauspielern wie Peter Lorre und vor allem Vincent Price als Billigproduktionen auf die Leinwände der Provinz- und Autokinos, wo sie meist in Double-Features gezeigt wurden. Auch sie spielen mit den Topoi des klassischen Horrorfilms und wandeln mit dem oft exaltierten Spiel der Darsteller und dem unterschwelligen Humor immer schon am Rande der Parodie.
Erst die späten 60er zeigten eine ernsthafte Weiterentwicklung: Der in Pittsburgh beheimatete und dort auch seine Filme realisierende George A. Romero schuf mit NIGHT OF THE LIVING DEAD (1968) etwas radikal Neues. Interessanterweise verband er ein letztes Mal die Mythologie des klassischen Hollywood-Horrors mit den durch Hitchcock aufgezeigten neuen Wegen des modernen Horrorfilms. Auch er verließ die Burgen und Keller, die düsteren Häuser und unwegsamen Gebiete eines imaginierten Europas und wendete sich seiner gegenwärtigen US-Heimat zu. In diese allerdings durch den schwarz-weiß-Effekt seines Films entfremdete Gegenwartswelt, die für das Publikum sofort als Teil der eigenen Nachbarschaft auszumachen war, ließ er Wesen einbrechen, deren Herkunft ähnlich mysteriös ist wie die eines Werwolfs oder Vampirs: Tote, die aus den Gräbern auferstehen und den noch Lebenden an die Gurgel gehen in einem nicht zu bändigenden Hunger nach Fleisch. Zombies. Besser: Moderne Zombies, denn Zombies im engeren Sinne – durch Voodoo-Zauber Willenlose, die folgen und ausführen, was ihnen aufgetragen ist – hatte es schon im Hollywood-Film gegeben. Victor Halperins WHITE ZOMBIE (1932) und Jacques Tourneurs I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) spielen das Motiv deutlich und in seinem eigentlich karibischen Kontext durch.
Romeros Wesen waren völlig anders geartet. Einerseits maximal fremd, da offensichtlich von der anderen Seite der großen Wasserscheide kommend, scheinbar geistlos, hungrig und ohne Gnade, da vollkommen emotionslos, erinnern sie uns doch ständig an uns selbst, weil sie – zumindest im ersten Teil – den Lebenden noch ähneln. Sie mögen weiß geschminkt sein, aber in ihrem Erscheinen gleichen sie den Lebenden zum Verwechseln. Das Potential, das in dieser Figur steckt, schöpfte Romero erst im zweiten Teil seiner Zombie-Saga voll aus. In DAWN OF THE DEAD (1978) wurden die Untoten zu einem Symbol für den hohlen, geistlosen Warenfetischismus, den Konsumismus, der Amerika auch in den 70ern schon prägte. Nicht umsonst zieht es die Massen der Zombies zu einem Kaufhaus, wo sie Überlebende wittern, die sich dort verschanzt haben. Deren Fleisch wird hier zu einer ebensolchen Ware, wie es die Uhren, Ringe, Pelzmäntel etc. sind, die die Fenster der verlassenen Mall ausstellen.
Doch sind die Zombies ihrem „Wesen“ nach dem Werwolf wahrscheinlich verwandter als einem Norman Bates. Sie umgibt etwas Übernatürliches, ihre Herkunft, wie gesagt, bleibt rätselhaft. Gerade ihre Undurchdringlichkeit aber erlaubt Romero in NIGHT OF THE LIVING DEAD, mit Versatzstücken der amerikanischen Pop- und Medien-Gegenwart zu spielen. Die in einem Haus Eingeschlossenen versuchen lange, sich über das Fernsehen zu informieren, das ununterbrochen Notstands-Meldungen versendet, die in ihrer naiven Sachlichkeit an die Übungsfilme der 50er Jahre erinnern, die einem staunenden Publikum nahelegten, wie es sich bei einem Atomangriff zu verhalten habe. Zwischendurch gibt es Expertenrunden, die darüber spekulieren, was der Auslöser für die Katastrophe sein könne. Die einen erinnern an die biblischen Plagen, die andern denken eher an eine Epidemie, vielleicht auch Pandemie. Der Kampf zwischen Wissenschaft und Glaube im Zeitalter der Massenmedialität. Im Nachfolger führte Romero diesen Aspekt bis an die Grenze des Erträglichen und damit ad absurdum.
Europäische Slasher-Filme: Mario Bava, Dario Argento et al.
Bedenkt man, daß PEEPING TOM ein britischer, also in Europa entstandener Film gewesen ist, darf es natürlich nicht verwundern, daß er auch im europäischen Kino seinen EInfluß gelten machte. Auf die allgemeinen Entwicklungen im europäischen Horrorfilm einzugehen, würde den vorhandenen Rahmen sprengen, doch sei an dieser Stelle angemerkt, daß es neben den Produktionen der britischen Hammer Studios, die vor allem darauf setzten, klassische Topoi des Horrorfilms neu, bunt, grell und brutal zu verarbeiten und dabei eine ganz eigene Ikonographie für Figuren wie den Grafen Dracula, Frankensteins Ungeheuer, den Werwolf oder die Mumie auszubilden, kaum nennenswerte Horrorfilme gab, die in Europa entstanden. Einzelne Werke stechen heraus, belegen jedoch keine Tendenz.
Georges Franju LES YEUX SANS VISAGE (1960) entstand im gleichen Jahr wie Powells PEEPING TOM und Hitchcocks PSYCHO und müsste vielleicht neben diesen ebenfalls als Initiator des modernen Horrorfilms genannt werden. Der Einfluß des Films war jedenfalls lange im internationalen Horrorfilm zu spüren. Es ist ein schöner, ein poetischer Film, dem ein moralisches Dilemma zugrunde liegt. Ein Wissenschaftler tötet junge Frauen, um seiner Tochter ein neues Gesicht zu verschaffen. Er selbst war einst verantwortlich für den Unfall, der seiner Tochter ihrer Schönheit beraubte. Franju schafft eine bedrückende Atmosphäre, er bietet glaubwürdige Settings und Figuren, auch schockiert er das Publikum mit einigen Momenten reinen Grauens. Doch ist der Film eben auch ein Beweis dafür, daß nicht jeder Film, in dem ein Serienmörder umgeht, automatisch ein Slasher-Film ist. Es ist eine Frage des Schwerpunkts, der Vermittlung und des Aufbaus. Hier liegt das Augenmerk definitiv eher auf den inneren Konflikten der jungen Frau, für die ihr Vater tötet, weniger darauf, das Publikum mit expliziten Effekten in Angst und Schrecken zu versetzen.
Doch gilt auch für Franjus Film, was weiter oben hinsichtlich der Filme von Michael Powell und Alfred Hitchcock festgehalten wurde: Auch hier hat man es mit einem menschlichen Killer zu tun, allerdings einem, der vielleicht verrückt sein mag – womit hier der klassische Topos des Mad Scientist bedient wird – jedoch einer klar nachvollziehbaren Logik und klar nachvollziehbaren Motiven folgt. Letztlich mordet dieser Mann (oder lässt morden, bedenkt man, daß er eine ihm treu ergebene Assistentin hat) aus Liebe und der Hilflosigkeit gegenüber seiner Tochter und einer tief empfundenen Schuld. Daß es die Tochter selbst ist, die am Ende des Films den Vater richtet, gibt dem Film eine romantische Note. Und Franjus Inszenierung bietet vielfältige Hinweise auf ein Märchen.
Vielleicht hatte Europa in den Jahren zuvor genug realen Horror erlebt, um sich bereits wieder fiktiven Horror auf der Leinwand zu betrachten. Jedenfalls blieb ein Film wie Franjus kleines Meisterwerk ein Solitär. In Deutschland, wo das Genre des Horrorfilms – in diesem Zusammenhang sollte man vielleicht eher vom fantastischen Film sprechen – mit dem Aufkommen des NS-Regimes zum Erliegen kam, weil der Film, wie nahezu alle künstlerischen sparten, ausblutete, gab es in den Nachkriegsjahren überhaupt keine Beiträge zum Genre, erst die Edgar-Wallace-Filme der 60er Jahre nutzten Elemente des Horrorfilms, blieben aber letztlich Kriminalfilme.
Es blieb den Italienern vorbehalten, das Genre zu bedienen. Generell etablierte sich in Italien ein ganz neues Genre-Kino, wie es dies im Nachkriegseuropa so kein zweites Mal gab. Es mag daran liegen, daß Hollywood in der römischen Film-Stadt Cinecittà eine Dependance eröffnet hatte, die niedrigere Produktionskosten abseits der strengen Gewerkschaftsregeln in den USA versprach, weshalb hier u.a. einige der bekanntesten Monumentalproduktionen der Nachkriegszeit, u.a. BEN HUR (1959), entstanden. Jedenfalls bildete sich auch in Italien eine Vorliebe für Filme dieser Art aus, die sogenannten „Sandalenfilme“, die die europäische Mythologie in Vulgärgeschichten verwurstete. Zu Beginn der 60er Jahre entwickelte sich dann der Italo-Western, der dem Genre frisches Blut zuführte. Und auch der Horrorfilm entwickelte in Italien ein Eigenleben. Eines der bekanntesten Beispiele des frühen italienischen Nachkriegs-Horrorfilms dürfte Mario Bavas LA MASCHERA DEL DEMONIO (1960) sein. Bava kreuzte Versatzstücke des Vampir-Mythos mit Hexengeschichten und nahm mit Letzteren ein weiteres, vor allem in den 70er Jahren dominantes, Subgenre vorweg – den immer mit einer gewissen Erotik unterlegten, immer sadistischen Hexenfilm.
Bavas Film ist ein herrliches Stück Gothic Horror. Der Nebel dräut, die Pappkulissen wackeln und die Ausstattung könnte einer Hammer-Produktion oder einem jener plüschigen Edgar-Allen-Poe-Filme aus der Werkstatt Roger Cormans entliehen sein. Definitiv kein Slasher-Movie. Doch war es Bava, der dem italienischen Kino auch einen ganz anderen Impuls gab und damit enorm einflußreich werden sollte, was die Entwicklung des Slasher-Genres in Italien betraf – und der die Eigenheit des italienischen Slasher-Films definierte. Denn Bavas SEI DONNE PER L`ASSASSINO (1964; zu Deutsch: BLUTIGE SEIDE) wird gemeinhin als Grundstein des Giallo betrachtet.
Giallo – eine italienische Sonderform
Der Begriff des Giallo leitet sich von der Farbe jener Hefte ab, die in Italien synonym für Kriminalliteratur standen: Die gelben Hefte (letteratura gialla). Allerdings weist der filmische Giallo bestimmte Merkmale auf, die sich eindeutig dem Subgenre des Slasher-Films zuordnen lassen. Fast immer geht ein Serienmörder um, der es auf junge Frauen abgesehen hat. Die Pathologie dieser (meist) männlichen Killer wird nahezu ausschließlich mit einer psychosexuellen Störung, basierend auf frühkindlichen Traumata, erklärt. Die Mörder im Giallo sind Fetischisten, Zwangsneurotiker und Psychopathen, deren Identität zumeist am Ende eines Films entlarvt wird.
Wesentlicher als die inhaltliche Ebene ist im Giallo allerdings die formale, also die Machart der Filme. Mord wurde im Giallo nahezu zur Kunst erhoben. Vor allem der Giallo der 70er Jahre bot bizarre, blutige, oft sadistische Spielarten des Tötens, die mit der aufkommenden Freizügigkeit der 60er und 70er Jahre auch die Möglichkeit boten, viel nackte Haut zu zeigen und somit die Opfer noch wehr- und hilfloser erscheinen zu lassen. In seinen extremsten formen vernachlässigte der Giallo mutwillig jeglichen logischen Handlungsverlauf, die Ermittlungen der Polizei werden oft nur oberflächlich behandelt, auch die Frage, wer nun eigentlich der Täter ist – klassisches Whodunit – wurde im Laufe der Jahre immer unwesentlicher, zumal das Publikum irgendwann schon damit rechnete, daß es schließlich eine abwegige Lösung geboten bekommen wird, um maximal zu überraschen – was dann natürlich keine wirkliche Überraschung mehr gewesen ist.
Gerade die Darstellungen der Morde, das Spektakel, das die Filme selbst schon dem Fetischismus zuordnete, verwiesen auf Hitchcocks PSYCHO, der auch hier als maßgeblicher Einfluß genannt werden muß. Viele der exaltierten, wie bewusste Aufführungen inszenierten Morde im Giallo, wirken wie Variationen der berühmt-berüchtigten Duschszene bei Hitchcock, in der Janet Leigh von einer zunächst unbekannten Frau mit einem langen Fleischermesser attackiert und getötet wird. Was Hitchcock mit Schnitt und Montage gelang – den Zuschauer glauben zu machen, daß er wirklich sähe, wie dieses Messer in das Fleisch der jungen Frau eindringt – ließen die Regisseure des Giallo plastisch und graphisch sehr eindeutig auf der Leinwand geschehen. Ihre Morde waren explizit, sie waren deutlich und ausgesprochen blutig. Die Lust an der Zerstörung schöner Frauenkörper wirkte hier schließlich wie ein Selbstzweck, der lediglich den Mantel einer Handlung umgelegt bekam. Dies trug gerade der italienischen Spielart des Slasher-Films den Vorwurf ein, misogyn zu sein und lediglich die (kranken) Phantasien ihrer Macher wiederzugeben.
Im Kontext dieser Untersuchung bleibt aber vor allem festzuhalten, daß der Giallo seinem Wesen nach zwar Elemente des Slasher-Films enthält, jedoch eindeutig als Kriminalfilm markiert ist, was ja nicht zuletzt seine Bezeichnung schon bedeutet. Dennoch waren die wesentlichen Regisseure des Giallo Grenzgänger zwischen dieser Form des Krimis (der in seiner frühen Form auch von den Edgar-Wallace-Filmen aus deutscher Produktion beeinflusst war) und dem Horrorfilm. Neben Mario Bava (REAZIONE A CATENA/1971; Dt. IM BLUTRAUSCH DES SATANS) sind vor allem Sergio Martino (I CORPI PRESENTANO TRACCE DI VIOLENZA CARNALE/1973; Dt. TORSO/DIE SÄGE DES TEUFELS), Lucio Fulci und vor allem Dario Argento zu nennen. Sie alle fügten dem Genre eigene Ideen und Visionen hinzu und entwickelten es stetig weiter. Sie alle arbeiteten aber auch häufig mit eindeutig dem Horrorfilm zuzuordnenden Sujets. So sind die zuletzt genannten Titel von Bava und Martino eindeutige Slasher-Movies.
Dario Argento und Lucio Fulci: Crossover des Giallo mit dem Horrorfilm
Dario Argento wagte den Crossover mit dem Horrorfilm bereits in SUSPIRIA (1977), der eine Hexengeschichte erzählt. Diese Mär spann er dann in INFERNO (1980) fort und deklarierte beide Filme als die ersten beiden Teile einer Reihe, die er die „Mütter-Trilogie“ nannte, welche dann aber erst mit LA TERZA MADRE (2007) über zwanzig Jahre später vollendet wurde. Dieser dritte Teil entspricht in Machart und seinen Schwerpunkten allerdings weitaus eher den Gialli, denn einem Horrorfilm herkömmlicher Machart. Argento griff in den 80ern immer wieder auf das spezifische Genre des Giallo zurück, der bekannteste dieser Filme dürfte TENEBRE (1982) sein. Hier wurde das Übernatürliche vollends ausgeschlossen und erneut hatte der Zuschauer es mit einem astreinen Psychopathen zu tun, der sich durch Rom mordet.
Argento spielt eine Sonderrolle im internationalen Horrorfilm, da er eng mit George A. Romero bei der Vermarktung von dessen DAWN OF THE DEAD zusammenarbeitete. Argento wurde als Produzent geführt (besuchte die Dreharbeiten tatsächlich aber nur ein einziges Mal), da er Romero bei der Finanzierung des Films half, zudem hatte er am Drehbuch mitgearbeitet. Wichtiger jedoch ist sein Einfluß auf die internationale (sprich: europäische) Fassung des Films. Denn deren Vermarktung hatte er sich als Gegenleistung für seine finanzielle Einlage gesichert. Argento, eng verbunden mit der italienischen Progressive-Rock-Band Goblin, produzierte einen eigenen Soundtrack für den Film (den Romero allerdings zum Teil übernahm) und stellte eine Fassung zusammen, die gemeinhin als die kürzeste des Films betrachtet wird (ca. 117 Minuten) und anders als Romero in seiner düstere Version den Schwerpunkt eher auf Action- und Gewaltanteile legt. Kommerziell vielleicht die ergiebigste Fassung, wirkt sie allerdings auch am ehesten berechnend.
Ein anderer Großmeister des Giallo war Lucio Fulci. Er hatte sich, wie etliche Regisseure seiner Generation, in den verschiedensten Genres getummelt, hatte Komödien ebenso gedreht, wie Italowestern, reüssierte im Fach des Giallo und überführte dessen Prinzipien des explizit und extravagant inszenierten Quälens, Verstümmelns und Tötens in den Horrorfilm. So wurde er mit Werken wie ZOMBI 2 (1979; zu Deutsch WOODOO – SCHRECKENSINSEL DER ZOMBIS), der ganz bewußt an Romeros Erfolg mir DAWN OF THE DEAD anknüpfte und vorgab, offizieller Nachfolger zu sein, oder PAURA NELLA CITTÀ DEI MORTI VIVENTI (1980; im Deutschen trägt der Film den mittlerweile zum geflügelten Wort avancierten Titel EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL) zu einem Mitbegründer dessen, was heute gemeinhin unter der Sammelbezeichnung Splatter-Film fungiert. Hatte der Slasher-Film immer auch Elemente des Splatter- und Gore-Films, kehrte sich das Verhältnis bei Fulci schließlich um. Seine Splatter-Filme wiesen häufig Elemente des Slasherfilms auf.
Ihm gelang nach seinen reinen Horrorfilmen, die durchaus auch mit übernatürlichen Aspekten spielten, die Engführung des Giallo mit dem Horrorfilm. LO SQUARTATORE DI NEW YORK (1982; Dt. DER NEW YORK RIPPER) funktioniert wie ein Giallo, er erzählt im Kern von den Ermittlungen im Fall eines Serienmörders, der mit einer quäkenden Stimme spricht, weshalb man ihn mit Donald Duck vergleicht, nutzt aber die Bildsprache des modernen Slasher- und Horrorfilms. Er erinnert momentweise an den amerikanischen Slasherfilm MANIAC (1980) von William Lustig, der zu Beginn der Dekade mit einer Mischung aus ultrabrutalen Spezialeffekten, für die einmal mehr Tom Savini verantwortlich zeichnete, und einem hanebüchenen psychologischen Konzept zur Erklärung seines Killers Aufsehen erregt hatte. Daß er zwischen den delirierenden Gewaltszenen vor allem Langeweile verbreitet, sei nur am Rande erwähnt.
Anhand der Arbeit von Argento und Fulci lässt sich aber gut nachverfolgen, wie sich amerikanischer und europäischer Film gegenseitig beeinflusst haben. Auffällig ist, daß die Europäer immer etwas weitergingen, als ihre amerikanischen Kollegen, daß sie die Drastik stetig steigerten und die Darstellung von Gewalt immer mehr ausweiteten und dehnten – bis die Filme (was vor allem für die Welle italienischer Zombiefilme gilt) lächerlich wirkten ob der Diskrepanz dessen, was dargestellt werden sollte und den Ergebnissen, die aufgrund der meist sehr niedrigen Budgets entsprechend billig und meist einfach schlecht gemacht wirkten. Daß Filme wie FRIDAY THE 13TH (1980) und später die NIGHTMARE-Reihe (ab 1984) teils harte Splatterszenen aufwiesen, ist sicherlich auch und gerade dem europäischen Einfluß geschuldet. Die Europäer ihrerseits waren massiv durch Alfred Hitchcock und vor allem PSYCHO beeinflußt. So kann man trotz aller Unterschiede und Sonderwege gerade in Italien durchaus von einer wechselseitigen Wirkung ausgehen.
Die 1970er Jahre: Invasion der Irren
Das Prinzip, den Horror in genau die Welt einbrechen zu lassen, die der Zuschauer kennt, der er vertraut, die ihn auch im Moment des Kinoerlebnisses umgibt, hatte George A. Romero sehr genau verstanden und umgesetzt. Nur ließ er letztlich eine andere Form der Monster auf die Menschheit los, die aber auch Außerirdische oder mutierte Bakterien hätten sein können.
Wes Craven bot da schon andere Kost, als er mit THE LAST HOUSE ON THE LEFT (1972) ein astreines Rape-and-Revenge-Movie vorlegte, das aber durchaus Slasher-Anteile aufweist. Der Film kostet zunächst die Qualen zweier junger Mädchen aus gutem Hause aus, die erstmals den Trip in die Großstadt wagen und natürlich prompt einem Haufen übler Kerle in die Hände fallen, die sie foltern und vergewaltigen. Schließlich sterben beide junge Frauen in Folge der Übergriffe und eines Fluchtversuchs. Doch mehr noch gefällt sich Cravens Werk darin, die Rache des gutbürgerlichen Ehepaars, dessen Tochter Opfer der Gang wurde, abzubilden. Ausgesprochen graphisch – heutzutage würde man sagen: mit deutlichen Splatter-Anteilen – weidet sich der Film an der Darstellung sexualisierter Gewalt ebenso, wie am reinen Sadismus aller Beteiligten, die toten Mädchen einmal ausgenommen.
Wes Cravens Film bietet zwar ausgemachte Psychopathen, in der Darstellung entsprechen diese aber eher jenem Typus, der auch die damals beliebten Biker-Filme oder einen Thriller wie DIRTY HARRY (1971) bevölkerte: Oft noch dem Jugendalter zuzurechnende Rowdies, Punks (im ursprünglichen Sinne des Wortes), Misfits, Kleinkriminelle, die es natürlich mit Drogen und einem schnellen Geschäft mal hier, mal da, haben. In diesem speziellen Fall sollen es Ausbrecher sein, was die Dramatik natürlich erhöht. Doch sind die Figuren des Films nahezu alle uninteressant. Die drei Jungs und die eine junge Frau, die die Gang bilden, sind reine Abziehbilder, denen wir sowieso alles zutrauen. Interessanter ist Cravens Idee – er war Regisseur und Drehbuchautor in einem – die Rache der Eltern ähnlich sadistisch und von verdrängten Gewaltphantasien geprägt zu zeigen wie zuvor die Untaten der flüchtigen Verbrecher. Allerdings hatte Sam Peckinpah bereits in STRAW DOGS (1971) eindrucksvoll nachgewiesen, daß der Firnis der Zivilisation auch bei denen sehr dünn ist, die glauben, durch ihre Bildung einen Abwehrgürtel gegen die Masse, den Plebs, die damit immer verbundene Gewalt in sich selbst errichtet zu haben – um einen Satz von Elias Canetti zu paraphrasieren. Cravens Film wirkt da eher wie der kleine Bastard-Bruder, der sich dadurch hervortun will, daß er den Skandal des Originals ins Unermessliche steigert. Was zwar Ekel erzeugt, aber wenig Interesse.
Hier waren sie also am Werke, jene menschlichen Monster, die unsere Nachbarn sein könnten, und deren Abgründe entsetzlicher erscheinen als jeder transsilvanische Bergpfad im Nebel. Ging es Craven offenbar um Exploitation, darum, das Spektrum des Zeigbaren um ein paar Grad zu erweitern, um die Lust am Schock, um das Visualisieren der Gewalt und damit das Brechen von Tabus, zog Tobe Hooper etwas später die Spirale des Bizarren noch um einige Umdrehungen enger. THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE (1974) bot nicht einfach nur den ganz normalen, zurückgezogen lebenden Nachbarn – wenn auch in der menschenfeindlichen Einöde Texas´ – als unfassbares Ungeheuer, sondern gleich eine ganze Familie davon.
THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE und der Weg zum Slasher
Hoopers Film bezieht sich ebenfalls auf den in den 70ern bereits legendären Fall Ed Gein. Er eröffnet mit grausigen Bildern eines mit Totenköpfen und Knochengebilden geschmückten Friedhofs, unterlegt mit einem sich sachlich gebenden Kommentar aus dem Off, daß die im Folgenden geschilderten Ereignisse auf einer wahren Begebenheit beruhten. Was so natürlich nicht der Fall ist. Vielmehr bietet Hooper dem Zuschauer eine groteske Comic-Version des nachbarschaftlichen Monstrums.
Es sind einige wirklich seltsame Typen – ein Tramp, ein Hüne, dessen Gesicht hinter einer Ledermaske versteckt ist, ein uralter Greis, der, mehr tot als lebendig, dringend im wahrsten Sinne des Wortes frisches Blut braucht. Irgendwo sitzt im Hintergrund auch eine dazu gehörige Greisin herum. Und dann gibt es noch den Koch, dessen Verwandtschaftsverhältnis zum Rest der Bande nicht ganz geklärt ist, während der Tramp und der Hüne offensichtlich Brüder sind. Dieser Koch scheint allerdings die Verfügungsgewalt über alle anderen im Haus zu haben. Diese seltsame Männerwirtschaft verdiente ihr Geld einst in den nahegelegenen Schlachthöfen, die nun aber stillgelegt sind. So sind die Herren dazu übergegangen, sich ein anderes Verdienst zu suchen. Der Koch hat eine Burger-Bude am Highway eröffnet, der noch arbeitsfähige Rest der Familie schafft das Fleisch heran. Dabei ist man nicht zimperlich und nimmt was man kriegen kann – eben auch fünf Jugendliche, die der Zufall in der Nähe hat stranden lassen.
Was in den 80ern das berühmt-berüchtigte Slasher-Movie werden sollte, ist hier im Kern schon angelegt: eine Gruppe junger Menschen, meist Frauen und Männer gemischt, damit für eine gewisse Prise Erotik gesorgt ist, findet sich an einem räumlich begrenzten Ort – ein Haus, ein Camp, die eigenen Träume – ein und wird hier nach und nach von einem – oder, wie in diesem Fall, gleich mehreren – Killer(n) dahingerafft. Hooper aber ist, anders als die meisten seiner Nachfolger, weniger daran interessiert, explizite Gewaltdarstellungen und Schocks zu bieten, sondern vielmehr will er den Zuschauer mit reinem Terror traktieren und frontal angreifen. THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE ist entgegen den Erwartungen, die sein Titel wecken mag, kein Splatterfilm, sondern ein auf maximale Wirkung angelegter Psychoschocker. Im grellen Tageslicht, in gleißenden, ausgewaschenen Bildern, die die Hitze über Texas nahezu spürbar werden lassen, werden hier ebenfalls nach und nach alle Teenager massakriert, doch geschieht dies eher nebenher, ohne daß die Regie es darauf anlegt, jeweils ein Mords-Spektakel zu inszenieren.
Da gibt sich die gesamte Produktion – nahezu ein No-Budget-Unterfangen, bei dem alle Beteiligten in unterschiedlichen Funktionen ein Höchstmaß an Kreativität einbrachten – sehr viel mehr Mühe bei der Mise en Scene und der Darstellung dessen, was später der letzten Überlebenden, Sally, sogenanntes Final Girl und klassische Scream Queen, widerfahren soll. Denn sie ist auserkoren, Opa mit frischem Blut zu versorgen. Der darf ihr, zur Feier des Tages, höchstselbst mit dem Hammer auf den Kopf hauen, damit das Blut frisch in eine Wanne fließe, um abgeschöpft zu werden. Nur hat der Alte leider nicht mehr die nötige Kraft und Sally einen Überlebenswillen, den die übrigen Familienmitglieder unterschätzt haben. Doch die ganze Sequenz, in der die zuvor ohnmächtige Sally an einen Thron aus Knochen gefesselt direkt im Wahnsinn dieser Bande erwacht und sich von seltsamen Gebilden aus menschlichen wie tierischen Knochen und Haut sowie furchterregenden Gestalten umgeben sieht, bis es ihr gelingt, sich mit einem beherzten Sprung durch eines der Fenster des Speiseraums des Hauses, in dem dies alles geschieht, zu retten, ist an psychischem Druck, der auf ein Publikum ausgeübt wird, bis heute kaum zu überbieten. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln – extremen Nahaufnahmen blutunterlaufener Augen, der lachend verzerrten Münder der Familienmitglieder, ebenso verzerrten Kamerawinkeln und -perspektiven, mit enervierenden Soundcollagen, die das Gehör an seine Grenzen und den Blutdruck in die Höhe treiben – wird die formale Umsetzung, wird der Film selbst zu einem Teil des Terrors, den er zeigt und greift damit von der Leinwand auf den Zuschauerraum über.
Exkurs: Backwoods-Movies und Slasher: Eine reaktionäre Haltung?
Im Kontext einer Untersuchung der Genealogie des modernen filmischen Massen- und Serienmörders, ist THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE auch deshalb interessant, da der Film, vielleicht eher ungewollt, etwas definiert, das in den 70er Jahren zwar virulent, jedoch noch nicht klar benannt war. Der Film wird als einer der ersten sogenannten Backwoods-Movies verstanden, also als Vertreter jenes Subgenres, das die Rache des Provinzlers, des Hinterwäldlers, des Abgehängten, an der urbanen, modernen Lebensweise der Jugend (vor allem) betrachtete und darstellte. Dabei nehmen Filme dieser Machart eine oft ambivalente Haltung ein: einerseits sehen sie die Hinterwäldler als Aggressor (eine Haltung und Sichtweise die bereits John Boorman in seinem wegweisenden Film DELIVERANCE/1972 bot), zugleich konnten sie sich eine gewisse Häme gegenüber den „sündigen“ jungen Leuten, die meist umgehend für sexuelle Handlungen „betraft“ wurden, nicht verkneifen, weshalb sie schnell in den Ruf gerieten, reaktionär zu sein. Doch ganz so einfach ist die Lage dann doch nicht.
Zum einen, es wurde gerade erwähnt, stellen viele dieser Filme, auch jüngeren Datums, wie die WRONG TURN-Serie (ab 2003), die Provinzler als Aggressoren dar. Dabei bleiben sie in ihrer Motivation häufiger ohne Begründung, entsprechen somit schlicht den dumpfsten Vorurteilen, die der moderne Städter so vom Landleben und seinen Vertretern mit sich trägt. Letztlich gehört dazu auch die Vorstellung, diese Landbevölkerung sei primitiv und durchweg brutalisiert, Gewalt sozusagen ihre natürliche Kommunikationsform. Es wird also ein kulturelles Unbehagen ausgedrückt, das vor allem dann eintritt, wenn diese unterschiedlichen und scheinbar so unvereinbaren Lebenswelten aufeinandertreffen. Der Slasher – im Falle von Hoopers Film die Slasher – übernimmt dann schnell die Funktion einer strafenden Macht, die moderne Entwicklungen wie ungezwungenen Sex, lockere Verhältnisse, Drogen- und Alkoholmißbrauch sanktioniert. Gerade in Hoopers Film, der seine Backwoods-Familie allerdings zu Comicfiguren degradiert, hat deren, wenn auch moralisch fragwürdiges, Verhalten eine soziale Komponente. Sie wurden ihrer Arbeit entfremdet, dann verloren sie ihre Arbeit, saßen mitten in der Einöde von Texas auf ihrem Land und mussten sich etwas einfallen lassen, um überleben zu können. Daß dieses Überleben vor allem mit dem Ableben anderer zu tun hat, darf man getrost der Degeneration der einzelnen Familienmitglieder zuschreiben. Zudem bietet Hooper ja eine fast ausschließlich männliche Familie, was die Darstellung dieses Verbands zusätzlich subversiv wirken lässt. Eine männlich dominierte Gruppe scheint also immer auch eher zur Gewalt zu neigen. Die jungen Leute hingegen – die zu charakterisieren sich THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE nicht viel mehr Mühe gibt, als seine Nachfolger und Verwandten, dennoch aber zumindest mit dem Geschwisterpaar Sally und ihrem im Rollstuhl sitzenden Bruder Franklin zwei interessante Protagonisten bietet – sind nahezu paritätisch in Männer (3) und Frauen (2) aufgeteilt, zudem offenbar dem erweiterten Milieu der Hippies zuzuordnen und somit als friedfertig und erlebnishungrig definiert.
Hooper bildet also eher eine gesellschaftliche Entwicklung ab, als daß er sie forciert oder gar unterschwellig reaktionäre Botschaften transportiert, wie dies bspw. seine Kollegen aus dem Mainstream, wie William Friedkin in THE EXORCIST, immer wieder taten. Diese Haltung kann man schließlich auch in den Folgejahren in Produktionen wie HALLOWEEN (1978), FRIDAY THE 13TH oder A NIGHTMARE ON ELM STREET (1984) erkennen. Deren Slasher, die alle zu Ikonen des Horrorfilms wurden, haben zwar Geschichten, die ihre Handlungen und Motivation zumindest rudimentär erklären, ihre Auftritte erinnern aber oftmals an alttestamentarische Racheengel oder Unheil verkündende Propheten.
Das Subgenre des Backwoods-Film (das einige durchaus als eigenständig und nicht zwingend dem Horrorfilm zugehörig betrachten) bildete seine eigenen Spielarten aus, die sich hier und da immer mal wieder mit dem Slasher-Motiv überkreuzten und durchdrangen, doch kann man gerade an den eben genannten Werken von John Carpenter, Sean S. Cunningham und Wes Craven beobachten, daß – vielleicht von FRIDAY THE 13TH abgesehen, der eigenen Wege einschlägt – Slasher ausgerechnet dort am besten funktionieren, wo sie an der Lebenswelt ihres Publikums – die amerikanischen Vorstädte und die (wohlhabende) Kleinstadtidylle – andocken und tätig werden.
Die klassischen Slasher der goldenen Ära des Subgenres: Michael Myers, Jason Vorhees und Freddy Krueger
THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE beweis also früh schon das genreübergreifende Potential des Slasher-Motivs. Doch war Hoopers Film nicht der einzige Film der 70er Jahre, der bereits erkannt hatte, wie viel Möglichkeiten diese neue Spielart des Horrorfilms hatte.
Verwandt im Sujet, aber noch kein Slasher-Movie im eigentlichen Sinne, war DERANGED (1974), der sich als Dokumentation einer wahren Begebenheit gab, die sich entfernt ebenfalls an den von Fall Ed Gein anlehnt. Eher an psychologischem Schrecken denn an expliziter Gewaltdarstellung interessiert, bietet der ungeschnittene Film zwar einige wahrlich grauenerregende Momente, kann aber ansonsten nicht wirklich dem Subgenre zugerechnet werden, da er nicht mit dessen engeren Merkmalen spielt.
Anders liegt die Sache bei Filmen wie der kanadischen Produktion BLACK CHRISTMAS (1974), der gern bescheinigt wird, der wirklich allererste Slasher-Film im engeren Sinne gewesen zu sein, THE TOWN THAT DREADED SUNDOWN (1976) oder COMMUNION/ALICE, SWEET ALICE (1976). In den allen Fällen haben wir es mit menschlichen Killern zu tun, die ihrem Handwerk mit großem Eifer nachgehen. In Bob Clarks BLACK CHRISTMAS ist der Einfluß des Giallo spürbar, wenn er seinen Mörder in einem Wohnheim für Studentinnen umgehen lässt – ein oft und gern genutztes Motiv im Kriminalfilm italienischer Prägung, da es immer wieder sexualisierte Bilder zulässt. Der Einfluß des Films auf seine Nachfolger ist wiederum evident. Auch Clark bietet schon die subjektive Kamera, die John Carpenter in HALLOWEEN popularisieren sollte und die auch Sean S. Cunningham in FRIDAY THE 13TH exzessiv nutzte, um Spannung aufzubauen. Der Blick des Mörders als Blick der Kamera, ist seither oft zitiert worden und kann durchaus Schrecken erzeugen, da der Zuschauer sich plötzlich in eins gesetzt sieht mit dem Killer.
Die Besonderheit von COMMUNION besteht darin, den Zuschauer lange glauben zu lassen, der Killer sei eines der ursprünglich bedrohten Mädchen und uns später dann wirklich eine der raren weiblichen Serienmörder zu präsentieren. Ein Alleinstellungsmerkmal, das aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß Alfred Soles´ Film zwar eindeutige Slasher-Motive und -merkmale aufweist, dennoch aber recht dilettantisch in der Umsetzung ist.
Es gibt sicherlich (hier wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben) noch einige Filme der 70er Jahre, die bereits dem Subgenre des Slasher-Films zuzuordnen sind, definitiv trugen sie alle – erwähnte wie unerwähnte Werke – zur Ausformung des Metiers bei. Doch wirklich zu sich selbst kamen der Slasher-Film Ende der 70er Jahre und dann vor allem zu Beginn der 80er, als gleich mehrere Produktionen hintereinander erschienen, die vor allem Mörder präsentierten, deren Auftritte nachhaltig in Erinnerung blieben und die in ihrer Erscheinung Maßstäbe setzten: HALLOWEEN, FRIDAY THE 13TH und A NIGHTMARE ON ELM STREET . Ihnen gebührt genauere Betrachtung, da sie zu den prägendsten Werken der Ära gezählt werden müssen.
HALLOWEEN – Michael Myers
John Carpenter hatte schon mit seinem Debutfilm DARK STAR (1974), einem Kurzfilm, der später mit einem erweiterten Budget in eine Langfassung gebracht wurde, auf sich aufmerksam gemacht. Offenbar als Satire auf Werke wie Stanley Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY (1968) angelegt, konnte der gewillte Zuschauer schon hier eine Lust am Schrecklichen verspüren, die sich auch in Carpenters erstem echten Kassenerfolg, ASSAULT ON PRECINT 13 (1976) niederschlug. Obwohl nominell ein Thriller, in dem ein aufzugebendes Polizeirevier von Jugendgangs angegriffen wird, funktioniert der Film grammatikalisch bereits wie ein Horrorfilm. Carpenter war also ein Geheimtipp, bis er dann HALLOWEEN vorlegte und damit nicht nur einen enormen Erfolg hatte, vor allem gemessen am geringen Budget des Films, sondern auch das Subgenre des Slasher-Movies in seinen engeren Regeln und Konventionen initiierte.
HALLOWEEN bot einen erratischen Killer, der sich hinter einer Maske versteckt, die eine Totenmaske sein könnte, und scheinbar wahllos ein Massaker am Halloween-Abend unter den Jugendlichen der Kleinstadt Haddonfield, Illinois, anrichtet. Carpenter, ein Verehrer von Alfred Hitchcock, hatte nicht nur dessen Inszenierungsstil und den Spannungsaufbau sehr genau studiert, sondern sich auch an den Prämissen orientiert, die seit PSYCHO galten: Die Lebenswelt, in der der Film angesiedelt ist, entspricht der des Publikums, der Unhold ist – zumindest zunächst und in der ersten Darstellung – ein Mensch. Sicherlich ist Michael Myers ein Psychopath, dessen Geschichte rudimentär von seinem Psychiater Sam Loomis erklärt wird. Schon der junge Michael hatte wohl Mordgelüste und tötete im Alter von sechs Jahren in der Halloween-Nacht des Jahres 1963 seine Schwester. Loomis aber – darauf wird noch zurückzukommen sein – bezeichnet Michael Myers mehrfach als „böse“, womit er die Terminologie seines Fachbereichs verlässt und auf jene der Theologen, bzw. eines Priesters oder Predigers zurückgreift. Das „Böse“ als Entität, als nicht mehr erklärbarer Rest der Entmenschlichung, gar Kraft eigenen Rechts, wird hier mehr oder minder gesetzt und nicht mehr hinterfragt.
Carpenter hatte aber – vielleicht eher instinktiv, denn berechnend – einen ganz anderen Aspekt erkannt und nahezu genial in seinen Film integriert: Das Publikum der kommenden Dekaden würde nicht mehr durch erwachsenen Mitdreißigern und -vierzigern bestehen, Erwachsenen, die das reife, künstlerisch anspruchsvolle Kino – den europäischen Autorenfilm und das ‚New Hollywood Cinema‘ – der 60er und 70er Jahre bevorzugten, sondern zunehmend und hauptsächlich aus Teenagern. Sie waren die kommerzielle Zielgruppe des Mainstreamkinos. Und so ist es nur folgerichtig, Hoopers durchs Land tingelnden Jugendliche/jungen Leute zu einem Topos zu erheben und ab nun vor allem Gefährdete und Opfer anzubieten, die im Habitus, vor allem aber im Alter, ihrem Publikum entsprachen. Dies wurde wesentlicher Bestandteil des Slasher-Movies.
HALLOWEEN zeichnet allerdings teils auch für den reaktionären Ruf des Subgenres verantwortlich. Carpenter zeigt sich, damit wird man ihm und seinem Film wohl am ehesten gerecht, zumindest ambivalent. In der Wikipedia kann man den Kulturstreit um den Film, der zwischen Feministinnen, herkömmlichen Kritikern und späteren Rezensenten tobte, gut nachvollziehen. Daß mit Jamie Lee Curtis´ Laurie Strode ausgerechnet das Mädchen überlebt, welches noch Jungfrau ist, während ihre Freundinnen, die weniger Skrupel mit vorehelichem Sex haben, vom irren Psycho hingemetzelt werden, wurde als offenkundigste konservative Anwandlung des Films gesehen, jedoch wurden ihm auch generell frauenfeindliche Tendenzen unterstellt. Darüber wäre zu streiten, wahr ist allerdings eben auch, daß Carpenter, der für Drehbuch, Produktion, die Musik und die Regie verantwortlich zeichnete, schließlich Laurie nicht nur sich zur Wehr setzen und überleben lässt, sondern sie neben Loomis auch der einzige Mensch in dieser Nacht (und diesem Film) zu sein scheint, der Michael wirklich etwas entgegenzusetzen hat. Sie ist also kein wehrloses Opfer, das einfach nur schreiend auf Rettung durch einen wie auch immer gearteten männlichen Helden wartet, sondern ein eigenwilliger, starker Charakter. Und auch ihre Enthaltsamkeit, die sie in der ersten Hälfte des Films ausgiebig mit ihrer Freundin diskutieren darf, ist begründet und nachvollziehbar.
Interessant in dem Zusammenhang ist die Tatsache, das Ridley Scotts Heldin in ALIEN schon bald nach der Premiere des Films zu einer Ikone des Feminismus erkoren und keineswegs als schwach betrachtet wurde. ALIEN behauptet als Science-Fiction-Film natürlich auch einen utopischen Zustand, indem er die Besatzung des Raumschiffs Nostromo, welche durch das fremde Wesen dezimiert wird, vollkommen emanzipiert und gleichberechtigt darstellt. Zwar frotzeln sich die Crewmitglieder gegenseitig an, wobei auch durchaus als sexistisch einzustufende Worte fallen, doch geben die Frauen mit gleicher Münze zurück. Zudem sind sie hochprofessionell in dem, was sie tun. Nie werden sie zu passiven Figuren, die durch ihre männlichen Kollegen gerettet werden, eher schon sind sie diesen überlegen, weil sie im Kontext der Bedrohung logischer denken. Dennoch irritiert die Differenz in der Wahrnehmung. Daß ALIEN eine weitaus größere Produktion denn HALLOWEEN ist und zudem Filmgeschichte geschrieben hat, sollte nicht alleiniger Grund dafür sein, ihn sich genauer anzuschauen oder zu analysieren. HALLOWEEN bot letztlich die Blaupause, die Scott nutzte.
Daß Filme – Film generell – immer mit der Gegenwart, der sie entstammen, korrespondieren, ist eher eine Binse, dennoch aber wichtig im Zusammenhang mit jener Dekade, die den Slasher-Film dann erfolgreich machen sollte. Das Amerika Ronald Reagans, die 80er Jahre also, war eine konservative geprägte Ära. Der Zeitgeist entwickelte nach den progressiven 70ern eine Gegentendenz, man wollte wieder vermeintlich amerikanische Ur-Werte wie die Familie, Arbeit, eine gewisse Prüderie, etablieren und gegen den Liberalismus gerade der 68er verteidigen (oder zurückerobern). Es wäre eine eigene Studie wert, zu untersuchen, wieso gerade in diese Dekade auch die Erweiterung der Gewaltdarstellung im Kino fällt, zunächst an den Rändern, später auch im Mainstream. Und wie verhalten sich diese Gewaltdarstellungen zu jenen, ebenfalls schon als skandalös empfundenen, der 60er und 70er Jahre in den Filmen von Arthur Penn (BONNIE & CLYDE/1967), Sam Peckinpah (THE WILD BUNCH/1969) oder auch Francis Ford Coppola (THE GODFATHER/1972)?
Carpenter entwarf aber nicht nur das Korsett für Aufbau und Ablauf des Slasher-Films, sondern lieferte auch stilistisch die Blaupause. Am deutlichsten wird dies beim Umgang mit der subjektiven Kamera. Wie bereits weiter oben beschrieben, nutzte der Regisseur sie häufig, um den Zuschauer durch die Augen des Killers blicken zu lassen. Schon in der Exposition, in der der Mord des kindlichen Michael an seiner Schwester gezeigt wird, kommt sie zum Einsatz und erhöht nicht nur die Spannung der Szene, sondern auch den Schrecken. Wir werden gezwungen, den Mord auch aus der Perspektive des Killers zu sehen, was uns nachhaltig verstört. Es durchbricht unsere Sehgewohnheiten, es macht uns zu Komplizen, unsere (moralische) Position als Zuschauer wird in Frage gestellt und unterwandert. So kriecht der Schrecken nicht nur durch das, was gezeigt wird, an uns heran, sondern eben auch dadurch, wie es gezeigt wird. Eine durchaus perfide Strategie, die Schule machen sollte.
FRIDAY THE 13TH – Jason Vorhees
Das Jahr 1980 sollte man vielleicht als das Premiumjahr der Slasher-Movies bezeichnen, kamen doch u.a. drei Werke in die Kinos, die als Erfolgsgaranten bestätigten, noch genauer definierten und weiter ausbauten. TERROR TRAIN (1980) und PROM NIGHT (1980) boten Jamie Lee Curtis die Möglichkeit, endgültig zur Sream Queen aufzusteigen, zumindest ersterer fand auch einige Fortsetzungen, dennoch sind beide Filme heute – obwohl in ihrer Machart, Atmosphäre und im Spannungsaufbau durchaus überzeugend und nach wie vor sehr unterhaltsam – nahezu vergessen. Anders verhält es sich bei Sean S. Cunninghams FRIDAY THE 13TH. Nicht nur war dies der Ausgangspunkt einer der längsten und teilreichsten Serien im Horrorfilm, sondern er bot mit Jason Vorhees auch einen Killer, der schreckenerregend, weil scheinbar ähnlich unbeteiligt war, wie zuvor Myers in HALLOWEEN, zugleich aber – mehr als jener offenbar durchanalysierte und einer Psychiatrie entflohene Psychopath – mythologisches Potential besaß.
Das Rezept des Films glich dem des Vorläufers: Eine Gruppe Jugendlicher betritt einen mehr oder weniger geschlossenen Raum (zu dem auch die Kleinstadt in HALLOWEEN zu rechnen ist), wo sie nach und nach durch einen Irren dezimiert wird. Zwar dringt Jason nicht in den Lebensraum der Jugendlichen ein, da diese den Seinigen – das mittlerweile ebenfalls ikonographische Camp Crystal Lake – freiwillig betreten, doch ist das Summer Camp in den USA zumindest zu Beginn der 80er Jahre noch eine Institution und jedem Jugendlichen geläufig. Also bewegen sich die zukünftigen Opfer des Killers in einem Raum, den sie durchgehend als bekannt und vertraut wahrnehmen. Nur damit ließe sich auch die Unbekümmertheit erklären, mit der sie sich nachts allein in der Dunkelheit zwischen dem Haupthaus und den einzelnen Hütten des Camps bewegen.
Der Unterschied zu anderen Filmen ähnlicher Machart liegt aber nicht nur darin, daß es gar nicht Jason ist, der hier umgeht, sondern auch in der (scheinbaren) Unlogik, die der Figur innewohnt und die in späteren Teilen der Reihe geradezu als Merkmal zelebriert wurde. Denn er ist scheinbar unsterblich. Jason Vorhees ist 1957 im See, der zum Camp gehört, ertrunken, als die Aufseher abgelenkt waren und nicht darauf achteten, was mit dem geistig zurückgebliebenen Jungen geschieht. Der also ist zum Zeitpunkt, zu dem der Film angesiedelt ist, bereits 20 Jahre tot. Es ist schließlich seine – ebenfalls psychopathische – Mutter, die für die Morde des ersten Teils verantwortlich ist. Sie will die Wiedereröffnung des Camps verhindern und zugleich Rache an Aufsehern nehmen, die ihren Dienst vernachlässigen – was die noch jugendlichen Vertreter im Film nahezu alle tun (allerdings sind noch gar keine Kinder anwesend, die es zu beaufsichtigen gälte). Dennoch wird das Final Girl in der vorletzten Szene des Films, als sie bereits in scheinbarer Sicherheit in einem Kanu auf dem See treibt und der neue Morgen anbricht – bis dato eigentlich todsicheres Zeichen im Horrorfilm, daß das schlimmste überstanden ist, wozu auch die dahingleitende Klaviermusik beiträgt – von einem aus dem Wasser springenden Jungen angegriffen, der sie offenbar in die Tiefe reißen will.
Dies allerdings, so werden wir aufgeklärt, war eine Traumsequenz, welche die überlebende Alice während ihrer Ohnmacht heimsucht. Oder? Was, wenn es keine Vision gewesen ist? Dann hätten wir ein Problem, die Gestalt, die da aus dem Wasser aufsteigt, einzuordnen: Ist das ein Junge? Also der Junge, der 1957 ertrank? Oder ist es der Junge in einem älteren Stadium, mit dem Element des Wassers mittlerweile vertraut? FRIDAY THE 13TH lässt diese Fragen offen und behält so sein Geheimnis, was durchaus eine Qualität des Films ist. Ebenso der Clou, Jasons Mutter, die erst als Retterin in der Not erscheint, zur Killerin mutieren zu lassen. Obwohl es Cunningham und seinen Komplizen vor allem um Schocks und Effekte gegangen sein dürfte – eine Annahme, die dadurch gestützt wird, daß man sich mit Tom Savini den damals führenden Mann für die Spezialeffekte engagierte, der zuvor all jene Ekeleffekte für Romero und dessen DAWN OF THE DEAD geliefert hatte – gibt FRIDAY THE 13TH sich deutlich Mühe, eine angemessene Atmosphäre zu schaffen und das Publikum nicht nur in Panik zu versetzen, sondern auch zu überraschen.
Dazu gehört auch das von Cunningham und Kameramann Barry Abrams fast exzessiv genutzte Mittel der subjektiven Kamera. Wenn der Mörder in der Nähe ist – und mit fortlaufendem Film ist er das naturgemäß immer häufiger – werden wir mit Bildern aus seiner Perspektive versorgt. Allerdings hat das nicht ganz den verstörenden Effekt von HALLOWEEN, da das Mittel so weniger für Schrecken sorgt, als vielmehr zu einer Art Signet wird. Taucht der Mörder auf, gibt es subjektive Blicke – vergleichbar mit dem Einsetzen des spezifischen Themas im Soundtrack von JAWS (1975). Immer, wenn der Hai in der Nähe ist (oder wir denken sollen, daß er es ist) erklingt dort das an Bernhard Herrmanns Leitthema für PSYCHO erinnernde Motiv auf.
Für den vorliegenden Kontext wesentlich bleibt jedoch Jason Vorhees´ seltsame Beziehung zur eigenen Sterblichkeit. In den Folgefilmen wurde er im Showdown jedes Mal auf eine andere Art und Weise getötet, dennoch kehrt er im jeweiligen Nachfolger auf die Leinwand zurück – meist, ohne daß sich irgendwer die Mühe macht, dies zu erklären. Was HALLOWEEN mit dem plötzlichen Verschwinden des tot geglaubten Michael Myers lediglich andeutete, macht die Serie um Jason also zum Prinzip: Dieser Kerl ist einfach nicht totzukriegen, weder auf der Leinwand, noch an der Kinokasse. Letzteres beweisen nicht nur die regulären Teile der Serie, sondern auch Spin-Offs wie FREDDY VS. JASON (2003) und eine Neuverfilmung (inklusive neuem Narrativ) im Jahr 2009. So sehr Jason Vorhees also in Erscheinungsbild – nebenbei: auch die später zu seiner Ikonographie so wesentlich beitragenden Eishockeymaske setzt Jason erst in Teil 3 (1982) der Serie erstmals auf – und Motiv – Rache! – seinen Kollegen im Killer-Gewerbe gleicht, ist er doch auch den mythologischen Gestalten des klassischen Hollywood-Horror zuzurechnen. Denn was ist er, wenn er wieder und wieder geköpft, verbrannt, erstochen, zu Tode gestürzt wird und doch Folge um Folge seinem sehr materiellen Wüten nachgehen kann, anderes als ein Geist? Ein Wiedergänger? Oder gar ein Zombie, der nicht sterben kann und wieder und wieder zurückkehrt? Allerdings fehlt ihm dann zum Zombie vielleicht doch der Hunger nach Fleisch; sein Mordhunger oder Blutdurst jedenfalls sind offenkundig und unwidersprochen. Jason aber ist und bleibt ein Untoter – oder er ist und bleibt unsterblich. So oder so entspricht er damit eher einem Fabelwesen, denn einem der einfach „nur“ verrückten Killer herkömmlicher Slasher-Movies.
Festzuhalten bleibt, daß FRIDAY THE 13TH eine wahre Welle von Epigonen lostrat. Sie fluteten die Leinwände der Auto- und Provinzkinos, der Bahnhofskinos und schließlich die Schmuddelecken der damals aufkommenden Videotheken. Ihre Zahl ist Legion, alle Titel aufzutreiben und sich zu merken nahezu unmöglich. Es gab obskure Werke, die das Prinzip von PROM NIGHT aufgriffen und nahezu jeden Anlaß für Feiern – ob Valentinstag (MY BLOODY VALENTINE/1981), den Muttertag (MOTHER`S DAY/1980; ein Film, der sich eng an LAST HOUSE ON THE LEFT anlehnt), Pyjama-Partys (THE SLUMBER PARTY MASSACRE/1982; eigentlich eine Parodie, in der Umsetzung aber als vollwertiger Vertreter des Subgenres zu sehen), Feriencamping (THE BURNING/1981) – nutzten, um einen entsprechenden Killer auftreten zu lassen. Einige sind durchaus sehenswert, einige haben ihre volle Wirkmächtigkeit erst durch spätere Neu-Veröffentlichungen entfaltet, teils, weil man ursprünglich geschnittenes Material wieder einsetzte, einige sind vollkommen zurecht vergessen. Allerdings haben die besseren unter ihnen meist in irgendeiner Form EInfluß auf die Weiterentwicklung des Genres gehabt.
A NIGHTMARE ON ELM STREET – Freddy Krueger
War die Familie in THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE ein soziologischer Sonderfall der Rezession der 70er Jahre, war Michael Myers der einer Strafanstalt und Psychiatrie entkommene Psychopath, so war Jason Vorhees das Bindeglied zwischen dem netten Kerl von nebenan, der sich als eiskalter Killer entpuppt, und den Wesen der Halbwelt, der Nacht, jenen Gestalten, die ihren Ursprung und ihre Vorbilder schon in Sagen und Legenden sowie den Volksmärchen haben – und Vorlagen des klassischen Hollywood-Horrorfilms wurden. Logischerweise müsste nun also jemand auf der Bildfläche erscheinen, der gleich ganz von der anderen, der dunklen Seite kommt, um Vergeltung zu üben – oder einfach Terror auszuüben, weil er oder sie zutiefst vom Bösen durchdrungen ist.
Diese Figur sollte das Meisterstück Wes Cravens werden: Der dämonische Freddy Krueger, böser Protagonist und heimlicher Held in NIGHTMARE ON ELM STREET. Die Figur des Kindermörders, einst von den Eltern in jener titelgebenden Straße, in der er seine Opfer fand, umgebracht und verbrannt, wurde im Laufe der Serie mit immer mehr persönlichen Details seiner Geschichte ausgestattet. Schließlich war er ein bösartiger Clown, in seinem grün-rot gestreiften Pullover und unter seinem Schlapphut. Ein Dämon und Clown, der sich mit einem sardonischen Humor über seine Opfer und deren Angehörige lustig macht und sich zugleich in immer gräßlicheren aber auch ausgefalleneren Methoden übt, die Jugendlichen, die zumeist die Leidtragenden sind, ins Jenseits zu befördern. Freddy, wie er bald in der Gemeinde der Anhänger der NIGHTMARE-Filme liebevoll genannt wurde, war anfangs nahezu stumm und wenn er sprach, funktionierte dies auf ähnliche Weise, wie es der Dämon in THE EXORCIST praktizierte: Mit Grabes- oder Fistelstimme gibt er Obszönitäten von sich. Erst später wird Freddy zu einem unentwegten Kommentator sowohl dessen, was auf der Leinwand geschieht, als auch außerhalb der Filmreihe existierender Phänomene der Alltags- und Popkultur. Mit diesen konnte und kann er interagieren, weil er selbst zu einem Teil dieser Popkultur avancierte, weit über den Dunstkreis der Filme selbst hinaus. Freddy war allseits bekannt. Darin übertraf er auch die Wirkmächtigkeit von Michael Myers, dessen Existenz vor allem kennen wird, wer HALLOWEEN kennt; Jason Vorhees seinerseits mag ein Eigenleben entwickelt haben und damit über den reinen Kontext der FRIDAY THE 13TH-Serie hinaus bekannt sein, doch nur Freddy Krueger wurde eine echte Pop-ikone.
Dieser Aufstieg passt allerdings zu Cravens Art, Filme zu machen, die man durchaus als postmodern bezeichnen kann. NIGHTMARE ON ELM STREET erschien 1984 und damit schon in der fortgeschrittenen Ära der Postmoderne, die filmisch u.a. durch Selbstreferenzialität auffiel. Filme wie STAR WARS (1977) hatten es vorgemacht: Ihr Kosmos griff über die Leinwand hinaus, wurde Teil eines ganzen Referenz-Systems aus Comics, Büchern, Spielzeugfiguren und allem, was man heute gemeinhin Merchandising nennt. Bezogen sich Satiriker oder andere Kulturschaffende auf „die dunkle Seite der Macht“, wusste nahezu jeder, der seine Kino-Initiation zwischen 1970 und 1980 erlebt hatte, automatisch, worum es sich handelte, auch, wenn er oder sie den Film gar nicht gesehen hatte. Die in den 80er Jahren immer beliebteren Sit-Coms trugen das ihrige dazu bei, solche Referenzsysteme auszuweiten und spätestens die Zeichentrickfiguren in den SIMPSONS (ab 1989) bewegten sich ausschließlich in einem popkulturellen Kosmos, ließen fiktive wie reale Gestalten auftreten, die sich bestenfalls auch noch selber sprachen.
Die Figur des Freddy Krueger passte perfekt in solche Referenzsysteme hinein. Denn der Kerl ist zwar böse – das Produkt einer Vergewaltigung, das schon früh psychopathische Züge aufweist, bis er schließlich zum Kindermörder wird – hat aber einen mephistophelischen Charme. Freddy hat Witz und er ist intelligent genug, die psychologischen Schwachstellen seiner Opfer zu erkunden und auszunutzen. Er taugt ebenso als Kinderschreck, als „schwarzer Mann“, als „Bogeyman“, der mit einem Augenzwinkern eingeführt wird, als auch zum skrupellosen und eiskalten Killer, der seine Fangemeinde mit bizarren Splatter-Ideen zu überraschen versteht. Eine Figur mit einem Eigenleben, das so weder Michael Myers, noch Jason Vorhees aufweisen. Dazu trägt sicherlich auch bei, daß die Figur, wenn sie erstmals auftaucht und damit ins Bewußtsein sowohl der Teenager im Film als auch des Zuschauers tritt, bereits eine Geschichte, eine Legende, hat. Freddys Zeit als Kindesmörder ist bereits vorbei, er wurde ermordet, nachdem er wegen Verfahrensfehlern freigesprochen wurde.
So gesehen – auch dies ein durchaus postmoderner Ansatz – ist die eigentliche Geschichte, von der erzählt werden müsste, längst geschehen. A NIGHTMARE ON ELM STREET bezieht seinen Reiz eben auch daraus, aus einem Danach zu berichten und den Ursprung seiner Narration vor den Ursprung des Films zu legen. Ein vorursprünglicher Ursprung, sozusagen. Damit verkettet Craven die Figur aber schon in einem Narrativ des Grauens, das vor dem Film begann – und somit verweist der Regisseur immanent auf die Vorgänger, die seinen Film erst möglich gemacht haben. Somit vernetzt er die Figuren aber auch, wenn auch auf einer Metaebene.
Was A NIGHTMARE ON ELM STREET jedoch wirklich der Postmoderne zuordnet, ist der Plot, ist Cravens Herangehensweise an das, was auf der Leinwand geschieht. Nicht nur bietet Craven mit Freddy eine wirklich außergewöhnliche Figur als Killer, sondern er hat sich auch weitaus mehr Gedanken über dessen Opfer gemacht als bspw. Cunningham in FRIDAY THE 13TH. Freddy nämlich kann nur über die Träume seiner Opfer überhaupt mit der Wirklichkeit Kontakt aufnehmen. Er erscheint ihnen in ihren Träumen und tötet sie entweder dort, in der Traumwelt, wo er grundlegend ein Heimspiel hat, oder aber es gelingt ihm auf diesem Wege, sich in der wirklichen Welt erneut zu materialisieren. Die Analogie des Traums und des Films liegt nahe und wird von Craven subtil vereinnahmt. Wie Freddy ins Unterbewußtsein seiner Opfer, dringen Filmbilder oft in unser Unterbewußtsein ein und können dort mitunter auch Schaden anrichten. Erst recht die Bilder aus Horrorfilmen. Und da Craven sehr genau weiß, daß sein Publikum exakt den jungen Menschen im Film entspricht, greift er sein Publikum also umso genüßlicher mit seinem Film und auf allen Ebenen an. Entscheidend dabei ist, daß die Teenager, die Freddy heimsucht, nicht nur seine Opfer sind, sondern auch die Opfer ihrer Eltern, die sich eisernes Schweigen ob ihrer Selbstjustiz auferlegt haben und damit im Grunde einen Pakt mit dem Killer eingegangen sind, eine Verschwörung gegen ihre eigenen Nachkommen angezettelt haben. Die Entfremdung gegenüber den Eltern, so typisch für Teenager-Dramen, wird hier also konkret, fassbar. Die Pubertät als Albtraum – was sonst Metapher bleibt, wird in A NIGHTMARE ON ELM STREET sehr, sehr ernst genommen.
Doch ist sich Craven auch mehr als Carpenter oder Cunningham bewußt, wie Teenager realiter ticken. So nimmt er den Teenager-Topos, die Nacht zum Tage zu machen und aufzubleiben, um in den Stunden zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang jene Dinge zu erkunden, von denen ihre Eltern besser nichts wissen sollen, und wendet ihn gegen die Protagonisten. Denn die dürfen nun gar nicht mehr einschlafen, um Freddy nicht in ihre Träume einzulassen. Was eben noch Versuchung und Flucht aus dem Alltag war, ist nun überlebensnotwendig: Um keinen Fall zu früh in Morpheus´ Arme sinken. Denn in jedem Fall verpasst man etwas: Entweder den tollsten Teil der Party, auf dem die zukünftigen Legenden langweiliger Highschool-Stunden gestrickt werden – oder den Auftritt des Traumdämons und seiner Messerhand, den man um keinen Preis der Welt erleben will. Eine brillante gebaute Zwickmühle.
Krueger also ist diese Figur, die das mythologische Moment auch in den Slasher-Film zurückbringt, zugleich aber auch ironisiert, indem Freddy immer auch als ein sehr profaner Dämon dargestellt wird, der um jeden Preis in die Realität zurückkehren will. Craven gab mit dieser Figur einen ganz entscheidenden Impuls für kommende Slasher-Movies.
Exkurs: Slasher in verwandten Genres: ALIEN bis THE SILENCE OF THE LAMBS
Es ist an dieser Stelle nötig, noch einmal einen Abstecher in die Filmgeschichte zu machen und den Blick ein wenig zu erweitern, um sich die Entwicklungen der 90er Jahre und danach vor Augen zu führen.
Serienmörder hat es auf der Leinwand schon etliche gegeben, auch schon lange bevor Alfred Hitchcock Norman Bates auf die Leinwand losließ. Er selbst hatte bereits Dekaden zuvor in THE LODGER (1927) die Untaten Jack the Rippers als Hintergrund für eine für ihn später typische Wrong-Man-Geschichte herangezogen.
Peter Lorre spielte für Fritz Lang den Kindermörder Hans Beckert in M (1931; Alternativtitel: M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER) und bot dabei eine unfassbar gute Performance als zerrissener Mensch, getrieben von seinem dunklen Verlangen, zugleich aber voller Gewissensbisse und Selbstvorwürfen. Ein brillantes Psychogramm.
Robert Siodmak ließ in seinem Thriller THE SPIRAL STAIRCASE (1945) einen Psychopathen Morde an behinderten jungen Frauen begehen, da der alles Schwache verachtet. Dies wiederum ist Folge der Verachtung seines Vaters. Allerdings konstruiert der Film für die im Film behandelten Morde ein „nachvollziehbares“ Motiv: Eifersucht.
Siodmaks Film, der mit allerhand Versatzstücken des Horrorfilms arbeitet, wie einem alten Haus, Gewitter, das die Mordnacht begleitet, und anderen Elementen des Gothic Horror, wird jedoch gemeinhin dem ‚Film Noir‘ zugeordnet. Er erschien im Februar 1946, also zur Hoch- und Blütezeit des ‚Film Noir‘. Er bietet wie dieser ein gewisses Maß an Melodrama, eine letztlich realistische Auflösung und einen psychologischen Konflikt sowie ein analytisches Problem – die von Dorothy McGuire gespielte Heldin ist stumm infolge eines kindlichen Traumas. Zudem war Siodmak ein Meister des ‚Film Noir‘ und nutzte dessen Möglichkeiten des Licht-Schatten-Spiels auch hier vortrefflich.
Vor allem beweist dies aber, daß die Serienmörder keineswegs auf den Horrorfilm post PSYCHO beschränkt sind. Sie spielten nur im Horrorfilm keine herausgehobene Rolle. Weder Hitchcocks früher Stummfilm, noch Langs Meisterwerk können dem Genre zugeschlagen werden. Beide nutzen den Plot, um ganz andere Geschichten zu erzählen und andere Themen abzuhandeln.
In der Kriminalliteratur der 50er und 60er, bspw. bei Patricia Highsmith oder Jim Thompson, traten reihenweise Verbrecher, Mörder und andere lichtscheue Gestalten auf, denen man unumwunden psychopathologisches Verhalten nachweisen könnte, selbst für Highsmiths berühmtesten Anti-Helden, Tom Ripley, gilt dies. Auch wenn seine Morde nachvollziehbar wirken und meist aus Berechnung geschehen. Doch sowohl die lange verkannte Autorin, als auch Thompson, in dessen Romanen immer wieder psychopathisch Veranlagte auftreten und teils aus der subjektiven Perspektive eines Ich-Erzählers berichten, dabei auch nicht davor zurückschrecken, die eigenen Untaten herauszustellen, legten Wert darauf, keine Schauergeschichten aufzutischen, sondern aus einer amerikanischen Wirklichkeit zu berichten, die gerade in den als Jahrzehnt des Aufbruchs und des Wohlstands wahrgenommenen 50er Jahren gern verdrängt wurde. Die Schattenseiten des Lebens, vor allem des urbanen Lebens, und die Auswirkungen von Einsamkeit und Vereinzelung, waren ihre Themen.
Ähnliches kann man auch über die 80er Jahre sagen. Der Serienmörder wurde nun aber ein immer gängigeres Motiv in Thrillern und Kriminalfilmen. Der Autor Thomas Harris hatte 1981 RED DRAGON veröffentlicht und damit erstmals dem snobistischen Psychiater und Kannibalen Dr. Hannibal Lecter einen literarischen Auftritt verschafft. Die Figur verselbstständigte sich spätestens als Jonathan Demme den Nachfolger zu RED DRAGON auf die Leinwand brachte. THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) traf einen Nerv, wurde ein immenser Erfolg und mit Anthony Hopkins´ Darstellung Lecters wurde die Figur ikonographisch. Hopkins stattete den Mann mit einer leisen Ironie und Süffisanz aus, er charmierte und bewies in nahezu jeder Szene, die er auf der Leinwand hat, seine Brillanz. Nur eines ist Lecter nicht: ein Slasher. Er tötet, keine Frage, auch mit Genuß, aber er trifft seine Auswahl mit Bedacht und seine Opfer dienen ihm dazu, seine besonderen Rezepte zuzubereiten. Demme nutzte auf der visuellen Ebene ebenfalls Elemente des Horrorfilms, doch steht der Film exemplarisch für die Crossover-Filme, die in den 90ern immer häufiger unterschiedlichste Genres zugleich bedienten und nur noch schwer zuzuordnen waren. Dennoch ist THE SILENCE OF THE LAMBS vor allem ein Psychothriller, der vom Duell seiner beiden Hauptdarsteller lebte und sich ansonsten durchaus der Normen des Kriminalfilms bediente.
Ein anderes Genre, das dem Horrorfilm seinem Wesen nach verwandter ist, als der Kriminalfilm, ist die Science-Fiction. Und hier hatte Ridley Scott bereits Ende der 70er Jahre das Prinzip aufgegriffen, das John Carpenter, worauf noch näher eingegangen werden soll, zuvor populär gemacht hatte, und mit ALIEN (1979) im Grunde einen Weltraum-Slasher vorgelegt. Das fällt allerdings kaum auf, weil der Zuschauer vollkommen gefangen ist von den Bauten des Films, seiner kalten Atmosphäre, einer ungewöhnlichen Heldin – und vor allem von einem völlig ungewohnten, fremdartigen Wesen, das zur Bedrohung für die Besatzung eines Raumschiffs wird.
Der Schweizer Künstler H.R. Giger hatte nicht nur für die überwältigenden Kulissen gesorgt, sondern mit dem Alien auch ein wirklich neues, sehr fremdartiges Wesen auf die Leinwand gebracht. Solch ein Monster hatte es davor nicht gegeben und seither wurde es tausendfach kopiert, zitiert, persifliert, ohne je erreicht zu werden. Das alles ist so überwältigend, daß es lange dauert, möglicherweise mehrere Durchgänge, bis auffällt, daß der reine Plot des Films kaum redundanter hätte sein können. Nach der brillanten Exposition und dem Ausbruch des Wurms – eines frühen Stadiums des Aliens, gern als Chest-Buster bezeichnet – aus der Brust von John Hurt, funktioniert der restliche Film recht genau nach den Regeln des Abzählreims, die auch für den herkömmlichen Slaher-Film gelten. Die Crew-Mitglieder werden separiert, einige begeben sich mit ähnlich dummen Ideen wie die Jugendlichen im Slasher-Film allein auf die Pirsch und einer nach dem andern wird vom Alien getötet. Bis schließlich nur noch Ripley, die von Sigourney Weaver gespielte Heldin des Films, übrig ist, die es mit dem Wesen final aufnehmen muß und es schließlich tötet. Ein klassisches Final Girl. Allerdings keine Scream Queen.
ALIEN ohne seine Bauten, die Kulissen, das Wesen etc. erinnert im Rohgerüst in Tempo und Rhythmus genau an den Aufbau eines Slasher-Horrorfilms. Und wie schon in den 50er Jahren bei Filmen wie CREATURE FROM THE BLACK LAGOON (1954) oder TARANTULA (1955) wird auch in Scotts Film der Übergang von einem Genre ins andere fließend. Eine Zuordnung ist nicht mehr eindeutig möglich, es sei denn, man kaprizierte sich auf reine Äußerlichkeiten: Raumschiffe, Außerirdische, Weltraumanzüge als eindeutige Merkmale für einen Science-Fiction-Film.
Der Slasher-Film fand seinen Niederschlag also auch außerhalb des Horrorgenres und wurde hier spätestens in den 90er Jahren auch am ehesten bedient. Der Serienmörder und der Profi-Killer sind wahrscheinlich die beiden Figuren des Kinos, die seit den frühen 90er Jahren am häufigsten in einschlägigen Genres Auftritte hatten. Und natürlich kamen sie irgendwann auch in den Horrorfilm zurück.
Die 80er und darüber hinaus: Der Slasher-Film als postmodernes Spiel und Retroprodukt
Mit Wes Cravens Freddy-Krueger-Figur war also auch der Slasherfilm – wie der Horrorfilm generell – in der Postmoderne angelangt. Selbstironie, Selbstreferenzialität, Querverweise, ein bewußtes Spiel mit Regeln und Konventionen sollte ihn in der kommenden Dekade prägen, die allerdings kein wirklich gutes Pflaster für den Horrorfilm war. Zwar wurden auch die 90er Jahre hindurch jede Menge Genrewerke gedreht, doch wirklich herausstechen konnten darunter lediglich BRAINDEAD (1992), allerdings kein Slasher, eher ein splattriger Zombie-Film, mit dem ein junger neuseeländischer Regisseur namens Peter Jackson, später Mastermind hinter den epochalen THE LORD OF THE RINGS-Filmen (ab 2001), sich einem breiteren Publikum vorstellen durfte, und SCREAM (1996), ebenfalls eine Kreation von Wes Craven, der explizit das Slasher-Subgenre aufs Korn nahm und ihm doch auch Neues hinzuzufügen verstand.
Doch sollte zunächst noch ein Blick auf ein Werk gerichtet werden, das einerseits Cravens Idee einer übernatürlichen Erklärung für die Geschehnisse aufgriff, selbst aber schon ein Verweis auf das war, was kommen sollte. CHILD`S PLAY (1988) führte den vielleicht letztgültigen Slasher der 80er Jahre ein und reflektierte den modernen kommerziellen Film mit schwarzem Humor, indem er sich über Phänomene wie das Merchandising lustig machte.
CHILD`S PLAY – Chucky, die Mörderpuppe
Der Produzent Don Mancini gilt heute als der entscheidende Geist hinter der letzten Slasher-Figur von Rang in den 80er Jahren. Die Idee, eine Puppe als Schreckensgaranten auftreten zu lassen, war nicht gänzlich neu, doch selten wurde sie derart bösartig und brutal umgesetzt, wie CHILD`S PLAY dies tat. Mancini führte das Motiv erstmals in den Slasher-Film ein. Hier ist es der durch einen Voodoo-Zauber in den Körper der Puppe Chucky verpflanzte Geist des Serienmörders Charles Lee Ray, der das Kommando übernimmt und fortan versucht, einen neuen Wirt aufzutreiben. Denn wer will schon in einer Spielzeugfigur sein Dasein fristen?
Mancini und Regisseur Tom Holland gingen ähnlich vor, wie die Macher herkömmliche Slasher-Movies, allerdings gaben sie sich außerordentlich viel Mühe mit der Story. So tötet Chucky überlegt und meist mit einem konkreten Ziel und „Nutzen“. Daß es der Geist eines Serien-Killers ist, der da in der Puppe steckt, beweist der gelegentliche Hang zum Sadismus. Obwohl der Film leider nicht sonderlich gut gespielt ist, überzeugt die Handlung durchaus.
Auch hier greifen die Autoren auf die unmittelbare Lebenswelt eines urbanen Publikums zurück, bilden die Metropole New York sehr naturgetreu ab, bieten mit einer alleinerziehenden Mutter und einem vaterlosen Sohn ein Setting, das in den 80ern ebenfalls immer mehr zur Lebensrealität vieler Amerikaner wurde, und bauen ihre Geschichte um ein Phänomen der postmodernen Waren- und Konsumwelt auf. Denn die Puppe ist im Film selbst schon ein Merchandising-Produkt, einer TV-Serie entlehnt, und somit Teil eines der weiter oben beschriebenen Referenzsysteme. Es wirkt wie einem Werk von Stephen King entnommen, der in seiner Karriere allerlei Alltagsgegenstände zur Bedrohung werden ließ, daß auch die Macher von CHILD`S PLAY einen sehr modernen und allgemein bekannten Gegenstand und dessen prägnante Eigenschaft, sprechen zu können, nutzen, um daraus einen Schauereffekt zu beziehen. Die Puppe ein vermeintliches Eigenleben führen und sich darin gegen ihre Zielgruppe – von der Fernsehserie begeisterte Kinder – wenden zu lassen, ist an und für sich eine brillante Idee, bietet aber auch jede Menge Möglichkeiten für sarkastischer Seitenhiebe auf die zeitgenössische Popkultur.
Von Craven haben Mancini und Holland wahrscheinlich gelernt, sich nicht vor übernatürlichen Motiven zu scheuen. Der oft verkannte Brad Dourif spielt den Serienmörder in den ersten Szenen des Films, in denen er seinen Geist, seine Seele (wenn er denn eine hat) oder seine Psyche in die Puppe transferiert, und sprach die Figur in den Folgeteilen der natürlich ebenfalls zu einer solchen ausgebauten Serie. Es ist en Voodoo-Zauber, den Lee einst im Knast von einem Zellengenossen gelernt hat. Allerdings weiß er nicht, wie er diesen Wirtskörper nun also wieder verlassen kann. Ein nachvollziehbares Motiv dafür, daß die Puppe ihren mörderischen Feldzug durch halb New York City antritt. CHILD`S PLAY bringt die einzelnen Ebenen und Motive des Slasher-Movies noch einmal auf einen definitiven Nenner.
Daß der Film gelegentlich wegen seiner humoresken oder gar schon komischen Seiten als eine schwarze Komödie definiert wird, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich hier trotz allem um einen Horrorfilm handelt, der sich in den entscheidenden Momenten sehr genau an die Konventionen des Genres hält. Die Puppe ist gut gemacht und wirklich bedrohlich, das ganze Setting wirkt nie unfreiwillig komisch oder gar lächerlich, sieht man einmal von der Diskrepanz zwischen der Wohnung mitten in Manhattan, wo die Hauptfigur und ihr Sohn leben, und ihrer Aussage, sie habe sich das Geld für eine Chucky-Puppe nicht zusammensparen können, ab. Wenn Chucky zur Tat schreitet, wissen die Macher des Films, was sie ihrem Publikum schuldig sind. Der Tatsache, daß es kaum mehr möglich sein würde, eine solche Story mit dem heiligen Ernst zu erzählen, den John Carpenter Ende der 70er Jahre in HALLOWEEN noch an den Tag legen konnte, werden Mancini und seine Kollaborateure sich ebenfalls bewusst gewesen sein. Im gleichen Jahr wie CHILD`S PLAY erschien mit A NIGHTMARE ON ELM STREET 4: THE DREAM MASTER (1988) bereits der vierte Teil von Cravens Freddy-Krueger-Reihe, die von Mal zu Mal selbstironischere Züge annahm. Der Wegweiser, wie man auch zukünftig das Subgenre bedienen könnte, war also längst aufgestellt. Man musste ihm nur folgen.
CHILD`S PLAY also war der letzte nachhaltige Slasher-Film, Chucky der letzte wesentliche Serienkiller, den die 80er Jahre hervorbrachten. Danach gab es bis heute verkannte Werke, wie bspw. Scott Spiegels INTRUDER (1989), der einige interessante Variationen des Themas, vor allem stilistischer Natur, bereithält, bei abebbendem Interesse am Genre aber generell nicht mehr sonderlich auffiel, nichts zuletzt, weil er in der Gemeinde der letzten Aficionados nicht viel Aufmerksamkeit erzielte und wenn, eher abschätzig bewertet wurde.
Einmal mehr blieb es Wes Craven vorbehalten, dem Horror-Genre generell, dem Slasher-Film im Speziellen, neues Leben einzuhauchen. Und erneut sollte er dabei sehr erfolgreich sein-
SCREAM und die Regeln und Konventionen des modernen Horrorfilms
Wes Craven war also seit nunmehr nahezu drei Jahrzehnten im Business und hatte mit THE LAST HOUSE ON THE LEFT nicht nur einen frühen Klassiker des Splatter-Films vorgelegt, er hatte nicht nur Freddy Krueger erstehen lassen, sondern mit THE HILLS HAVE EYES (1977) mindestens auch einen echten Klassiker des modernen Horrorfilms abseits der Slasher und Großstadtjunkies gedreht. 1994 kehrte er zu seinem sicherlich größten Erfolg zurück und inszenierte WES CRAVEN´S NEW NIGHTMARE (1994). Der Film deutet an, wohin die Reise für Craven gehen sollte: Wes Craven spielt Wes Craven, der den Freddy-Krueger-Darsteller Robert Englund und die Darstellerin aus dem Original-Film und dem dritten Teil, Heather Langenkamp, für einen weiteren Teil gewinnen konnte. Doch während der Dreharbeiten merken nicht nur Englund und Heatherkamp, daß etwas nicht stimmt, sondern auch die Crew spürt die Anwesenheit von etwas Bösen. Was soll man sagen? Freddy Krueger mag keine fiktionale Figur mehr sein, sondern peilt an, sich in der Filmrealität der Filmrealität zu materialisieren.
So durchbricht Craven hier auf zwar geschickte, einem Horrorfilm allerdings wenig förderliche Art und Weise den Zyklus der Serie und macht die Filme selbst zum Gegenstand seines Werks. Eine wahrlich selbstreferenzielle Bewegung. Doch will man das Publikum schocken, bzw. das Grausen lehren, bleibt eine Regel des Horrorfilms eben ehern bestehen: Man muß eine Story erzählen und das Publikum mitnehmen. Das funktioniert aber bei Metaerzählungen wie in WES CRAVEN`S NEW NIGHTMARE eben nur bedingt. Also überlegte Craven sich einen anderen Clou: Er nahm die Tropen des Slasherfilms – ein begrenzter Raum, eine Jugend-Clique, einen Serienmörder, den Abzählreim – und ließ sie exakt so ablaufen, wie man es seit HALLOWEEN gewohnt war. Allerdings gibt es einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Diese jungen Leute, die der Film präsentiert, wissen natürlich um genau diese Regeln und Konventionen, weil sie all die Filme, die hier besprochen wurden, ebenfalls gesehen haben. SIe benennen sie (kein Sex, keine Drogen oder Alkohol, niemals allein den Raum verlassen und zuvor erklären, man komme gleich wieder) und bannen damit den Schrecken. Zumindest glauben sie dies, bis der Mörder – auch er mit einer an Edvard Munchs Bildnis DER SCHREI angelehnten Maske ausgestattet – eben doch zuschlägt und einen nach dem andern meuchelt. Wie es sich gehört, wurde nicht nur der Mörder zur Ikone der späten 90er und frühen 00er-jahre, sondern der Film bekam auch drei standesgemäße, ebenfalls von Craven inszenierte Fortsetzungen.
Die Idee, das Personal eines Horrorfilms als Horrorfilm-affin zu zeigen und das Genre damit über sich selbst (und seine Unzulänglichkeiten) reflektieren zu lassen, es auch ein wenig der Lächerlichkeit preiszugeben, hat natürlich einen gewissen Charme. Sie erlaubt es, Referenzen und Bezüge zu früheren Filmen und Vorbildern herzustellen, was beim – ebenfalls Horrorfilm-affinen – Publikum das große Rätseln und Suchen-nach-Verweisen auslöst und für zusätzliche Spannung und zusätzlichen Spaß sorgt. Und natürlich weiß Wes Craven, daß Filme wie SCREAM meist in großer Runde auf dem Videorekorder oder als DVD geschaut werden – so, wie es die Protagonisten im Film eben auch handhaben. Zudem kann sich Craven – ähnlich wie es CHILD`S PLAY mit seiner Franchise-Puppe schon tat – über den Hype auslassen, den Filme wie der, den man gerade schaut, auslösen und welchen Vermarktungsprozessen sie mittlerweile unterliegen. Es entsteht eine Art unendliche Rückkopplung zwischen dem Film, seinem Macher und dem Publikum.
Aber wie das so ist mit guten Ideen, manchmal reichen sie einfach nicht für ein ganzes Werk, ob sich nun um ein Buch, ein Theaterstück oder eben einen Film handelt. Zwar wurde SCREAM ein großer Erfolg an der Kinokasse, einige wollten in ihm auch gleich einen „Kultfilm“ sehen (ein Begriff, der in den 90ern inflationär gebraucht wurde und dadurch viel seines Wertes eingebüßt hat), doch täuscht all das nicht darüber hinweg, daß Craven im Grunde nichts Originelles mehr einfiel. SCREAM ist blutig, brutal, voller Sadismus und Freude an der Darstellung von Gewalt – und darin eben exakt ein Wiedergänger seiner Ahnen aus den 80er Jahren. Denn wo liegt letztlich der Unterschied beim gewaltsamen Sterben, nur weil man weiß, daß man sich nicht an die gängigen Regeln schlechter Filme gehalten hat? Oder daß ein Killer, der sie ebenfalls kennt, sie auch immer brechen kann?
So bleibt als einziges Element des Films, das wirklich überzeugt, der Slasher selbst. Bekleidet mit einem schwarzen Umhang und der markanten Maske, die allerdings einer wirklich guten Idee geschuldet ist, wird Ghostface, wie sein Leinwandname fürderhin lautete, umgehend Gegenstand eines massiven Hypes und damit auch genau des von Craven im Film als so peinlich dargestellten Merchandisings. Schon im zweiten Teil tauchen die Masken auch im Film selbst auf – exakt die Masken, die es in den Kinofoyers zu kaufen gab. Da man die Fratze auch heute noch gelegentlich sieht, ob im Karneval oder auf öffentlichen Mottopartys, ist davon auszugehen, daß Ghostface zwar nicht ganz das Level eines Freddy Krueger erreicht hat, aber im Ranking der Slasher doch einen der vorderen Plätze einnimmt. Was insofern bemerkenswert ist, als daß er in dem Setting seiner Filme nur möglich ist, weil es die Vorläufer gibt. Schwer vorstellbar, daß eine Figur wie Ghostface am Anfang solcher Ketten stehen kann. Auch da schließt sich ein Kreis und manchmal befällt einen der Gedanke, daß der 2015 verstorbene Wes Craven es ganz genau so geplant hatte – inklusive des Hypes und des Merchandisings. Aber warum auch nicht? Die Figur ist furchteinflößend, umso mehr, da sie weitestgehend stumm ist und ähnlich rätselhaft wie MIchael Myers oder Jason Vorhees wirkt. Und das Publikum, auch das gehört zur Wahrheit, ist recht einfach zu berechnen.
Nach der Jahrtausendwende: Post-Postmoderne
Mit der Jahrtausendwende kam ein neues Interesse an Horrorfilmen auf, Über die Gründe ließe sich streiten. Tatsache ist, daß die 90er Jahre – mehr noch als die 80er, von denen man dies schon gern behauptet hatte – eine oberflächliche Dekade waren, sich aber gerne als intelligent und aufgeklärt gaben. Es war das Jahrzehnt der Ironie, der Uneigentlichkeit, jener Moment kulturellen Geschehens, in der einst hochtheoretische Positionen und Diskurse plötzlich zu Mainstreampositionen wurden. Jeder wollte dekonstruieren, wollte die Zeichen zersetzen und mit neuer Bedeutung füllen, Bedeutungsüberschüsse schaffen und die Symbolebene damit durchkreuzen und hinterfragen. Darum bemühte sich ebenso die Kulturwissenschaft, als auch das Feuilleton, die Theater und die Literatur. Der Horrorfilm hatte in einer solchen Melange einen schweren Stand, da er zwingend darauf angewiesen ist, daß der Zuschauer seine Prämissen glaubt. Wie soll ich jemandem eine Geistergeschichte erzählen, der schon bei Wort „Geist“ zu kichern beginnt, weil sein Referenzsystem dazu aus GHOSTBUSTERS (1984) oder CASPER (1995) besteht? Wie soll mich etwas schocken, wenn ich alle Schocks der Geschichte längst im Fernsehen gesehen habe?
Wenn der Horrorfilm auch immer eine Reaktion auf den Zeitgeist ist, in dem er entsteht, dann muß man konstatieren, daß die 90er Jahre in ihrer ununterbrochenen Partystimmung bei gleichzeitig maximaler Verdrängung dessen, was teils direkt vor der eigenen Tür geschah – die fürchterlichen Bürgerkriege direkt nebenan auf dem Balkan; das entstehen zusehends radikalerer rechter Szenen in den neuen Bundesländern; massiver Abbau sozialer Standards, um nur einige auf die Bundesrepublik beschränkte Phänomene zu nennen – den Schrecken nicht zuließ. Und wenn, dafür steht ein Film wie SCREAM ebenso, wie bspw. die Werke eines Quentin Tarantino (PULP FICTION/1994), nur um den Preis, ihn zu ironisieren. So gesehen ist SCREAM der perfekte Horrorfilm der 90er.
Der Spaß war allerdings spätestens 2001 vorbei. Nachdem am 11. September des Jahres drei inneramerikanische Linienflüge entführt und zweckentfremdet als fliegende Geschosse in die Türme des World Trade Center in New York sowie das Pentagon in Washington, D.C., gelenkt worden waren, ahnte man schon am Abend des Tages, daß sich hier etwas Grundlegendes geändert hatte. Möglicherweise – hier ist kein Ort, darüber ernsthaft zu spekulieren – sind die Auswirkungen dieses einen Tages auf die Entwicklung der internationalen Politik und schließlich der Geschichte weitreichender, als jene der Wende 1989/90. Hatte man damals den Eindruck, daß das plötzliche Verschwinden des Ostblocks, des kommunistischen Systems der UDSSR und seiner Satellitenstaaten die Welt enger zusammenrücken ließe, daß Frieden eine reelle globale Option sein könnte – eine Hoffnung, die schon nach einigen Jahren, siehe Balkan, zu Grabe getragen wurde, was allerdings kaum jemand im feierwütigen Westen wahrhaben wollte – hatte man in den Tagen nach dem Angriff auf New York und dem Einsturz der Türme das Gefühl, es mit einem einer nicht mehr einschätzbaren Situation und vor allem einem Gegenüber zu tun zu haben, welches ebenso gnaden- wie skrupellos seine Ziele verfolgt und dem Westen, seinen Systemen und seiner Wirtschaftsordnung mit eiserner Ablehnung gegenübersteht. Die Folgen sind bekannt: Kriege in Afghanistan und dem Irak, Flüchtlingsströme, Revolutionen in der arabischen Welt, mehr Flüchtlingsströme, Hunger, Not und Elend im Nahen Osten, immer brutalere Vorgehensweisen westlicher Einsatzkräfte, Folterungen, Geheimgefängnisse, Zersetzung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien.
Wenn der Horrorfilm immer auch ein Spiegel seiner Zeit ist, ein Katalysator für verdrängte oder nur subkutan wahrgenommener Ängste und Befürchtungen, dann liegt es vielleicht auch an den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, daß plötzlich eine Welle neuer, extrem harter und brutaler Horrorfilme, vor allem aus Europa kommend, erschienen, die kaum mehr Ironie oder innere Distanz gegenüber ihren Sujets erkennen ließen. Im Gegenteil: Filme wie HAUTE TENSION (2003), À L´INTÉRIEUR (2007) oder MARTYRS (2008) – alles Original-Produktionen aus Frankreich – gingen ihre Themen mit großem Respekt und einer gehörigen Portion Ernsthaftigkeit an, wodurch das, was sie zu erzählen hatten, umso intensiver wirkte. Zudem sind sie alle von derart explizit-brutalen Szenen bestimmt, daß man ihnen bescheinigen muß, die Gewalt selbst und ihre Darstellung zu einem grundlegenden Gegenstand der Betrachtung zu machen. Das gilt ganz besonders für Pascal Laugiers MARTYRS, den man fast schon einen philosophischen Hardcore-Splatter-Film nennen kann.
Bei der weniger an Analyse, eher an Geschmack interessierten Kritik fielen diese Filme meist durch. Ihnen wurde das Etikett „Gewaltpornographie“ angeheftet, womit sie stigmatisiert waren. Darüber ließe sich streiten, allerdings ist hier nicht der Rahmen dafür. Nur lässt sich der Befund, betrachtet man die Masse der neu produzierten Horror- und – wie es nun immer häufiger hieß – Terrorfilme, leider nicht gänzlich von der Hand weisen.
Das bezieht sich allerdings weniger auf die eben genannten Werke – die übrigens alle keine Slasher-Filme sind, sondern sehr spezifische Situationen kreieren, in denen Gewalt entsteht oder aber sogar intendiert ist, um an höheres Wissen zu gelangen – sondern eher auf Entwicklungen, die parallel entstanden. Denn neben den wirklich innovativen Horrorfilmen aus Frankreich, teils aus Spanien, etablierte sich auch eine Serie von sogenannten „Torture-Porn“-Filmen, die ihrerseits schnell ein eigenes Sub-Genre bildeten und zugleich auch Schnittstellen mit dem guten alten Slasher-Film aufwiesen. In diese Entwicklung fällt übrigens auch eine Unzahl von Neuverfilmungen und Weiterentwicklungen bereits etablierter Serien. HALLOWEEN (2007) wurde von dem Rockmusiker und Horror-Aficionado Rob Zombie neu verfilmt, der dem Genre schon mit Filmen wie HOUSE OF 1000 CORPSES (2003) und THE DEVIL REJECTS (2005) – im wahrsten Sinne des Wortes – frisches Blut zugeführt hatte; er übernahm folgerichtig auch beim Nachfolger HALLOWEEN 2 (2009) die Regie.
Ebenso erfuhren THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE unter dem Titel MICHAEL BAY´S TEXAS CHAINSAW MASSACRE (2003) und auch FRIDAY THE 13TH (2009) – beide unter der Regie des Deutschen Marcus Nispel – Neuinterpretationen. Neuverfilmungen bestehender Stoffe waren generell en vogue. Alexandre Aja, Regisseur von HAUTE TENSION, brachte Wes Cravens Wüsten-Horror THE HILLS HAVE EYES (2006) neu auf die Leinwand, schrieb und produzierte später dann das Remake von MANIAC (2012), bei dem Franck Khalfoun auf dem Regiestuhl saß. Offenbar war das Interesse an all den Schlitzern der 80er Jahre nicht gänzlich erloschen, bzw. enterten nun Leute die Regieplätze, die in ihrer Jugend eben genau diese Filme gesehen und gemocht, wenn nicht verehrt hatten. Es war also lediglich eine Frage der Zeit, bis auch die neuen Zeiten ihren ersten eigenen Serienkiller hervorbrachten, der sich angemessen auf die Vergangenheit des Genres bezog, zugleich aber genug Eigenes mitbrachte, um zu reüssieren.
Es blieb den Regisseuren James Wan und Eli Roth vorbehalten, den Slasher-Film fortzuführen und – im Falle James Wans – eine Figur zu etablieren, die mittlerweile ebenfalls Kultstatus erreicht hat und sich problemlos zwischen Michael Myers, Jason Vorhees, Freddy Krueger, Chucky oder Ghostface einreihen darf: Jigsaw, den moralisierenden Mörder aus der SAW– Reihe (ab 2004). Beiden gebührt allerdings auch die zweifelhafte Ehre, die bekanntesten Vertreter dessen zu sein, was weiter oben bereits erwähnt wurde: Torture Porn.
SAW und HOSTEL – neue Konzepte des Slasher-Films
SAW (2004) erfüllt eigentlich alle Voraussetzungen dessen, was ein Slasher-Movie braucht: Er ist brutal bis an die Grenze des Erträglichen, wartet mit einem furchteinflößenden Killer auf, hält sich weitestgehend an die Konventionen (Abzählreim etc.), er ist billig produziert und hatte ungeahnten Erfolg sowohl an der Kinokasse als auch in der Zweit- und Drittauswertung auf DVD und im TV. Das Prinzip ist einfach: Meist gesellschaftlich erfolgreiche Menschen, Frauen wie Männer, finden sich, nachdem sie entführt wurden, in einem Folterraum wieder, wo sie Aufgaben lösen müssen, die durchaus auch darin bestehen können, sich und anderen Qualen zuzufügen, mit teils tödlichen Folgen. Die Aufgaben stellt der psychopathische Serientäter Jigsaw (Englisch für Puzzle, aber auch Laubsäge – ein Hinweis auf die Trophäen, die der Killer sammelt, indem er Hautstücke aus seinen Opfern schneidet, die er gleichsam einem Puzzle zusammensetzt), ein an Krebs erkrankter älterer Herr. Sein Anliegen ist es, den Opfern durch die Extremsituationen, denen er sie aussetzt, wieder an den Wert des Lebens zu erinnern. Ein durchaus moralisches Anliegen also. Vor allem in durch und durch unmoralischen Zeiten.
Die Kritik, die dem Film zunächst einmal seine Gewaltdarstellungen vorwarf, stritt bald darüber, wo man diesen Killer denn nun einzuordnen habe? Ist es einer jener „alten, weißen Männer“, die heutzutage gern als Vertreter des Patriarchats bemüht werden, um die Verursacher all des herrschenden Übels kenntlich zu machen? Oder ist es ein am moralischen Verfall der Gesellschaft Verzweifelnder, der im Angesicht des eigenen Todes zu letzten Maßnahmen greift, um in seinem Furor mit den falschen Mitteln das richtige zu tun? So erinnert er ein wenig an den sich John Doe nennenden Serienmörder in David Finchers SE7EN (1995) – selbst ein Grenzgänger zwischen Polizei- und Psychothriller und einem Horrorfilm – , der unter den modernen Gesellschaftsentwicklungen leidet und deshalb die sieben Todsünden inszeniert. Damit will er aufrütteln und auf den Werteverfall hinweisen. Er ist der Antagonist des von Morgan Freeman gespielten Polizisten William Somerset, der auf seine Pensionierung wartet und ebenfalls als ein gebildeter, jedoch zusehends resignierender älterer Mann dargestellt wird, der nicht mehr mit den neuen Zeiten mitkommt, auch nichts mit ihnen anfangen kann. Sein neuer Partner David Mills, den Brad Pitt als hypernervösen Spätjugendlichen gibt, der sich seine Meriten verdienen will, steht für genau die Entwicklungen, die Mills verachtet – Oberflächlichkeit, Ungeduld, mangelnde Bildung.
Nun kann man trefflich über Finchers Film im Einzelfall wie auch im Rahmen des Gesamtwerkes seines Regisseurs diskutieren, denn Fincher, der vollends einem Prototypen dessen entspricht, was man einen „postmodernen“ Filmemacher nennen kann, hat bisher ein sehr ambivalentes Oeuvre vorgelegt. Mit hochmodernen, technisch perfekten Mitteln, erzählt er immer wieder Geschichten, die im Kern konservativ bis reaktionär sind. Vielen seiner Filme wohnt eine modernitätskritische Haltung inne, die mal, wie in SE7EN, durchaus diskutabel ist, in anderen Fällen – prägnantestes Beispiel dafür ist FIGHT CLUB (1999) – schon eine fragwürdige, möglicherweise faschistoide, Haltung offenbart. Fincher versteht es allerdings, seine Diskurse derart komplex, filmisch so anspruchsvoll und inhaltlich differenziert wie auch chiffriert zu vermitteln, daß seine Werke eben auch durchweg als diskutabel, weil anspruchsvoll, gelten.
Ein Regisseur wie James Wan ist da möglicherweise nur direkter und damit vielleicht auch ehrlicher, wenn er das Slasher-Genre reaktiviert, um einen sich gelegentlich wie ein Guru gebärdenden Menschen zu zeigen, der letztlich den Menschen, entfremdet und verloren in ihrer ewigen Hatz nach mehr – mehr Geld, mehr Ruhm, mehr Erfolg – nur den „rechten Weg“ weisen will. Und dabei zu drastischen Maßnahmen greift, die die von ihm als drastisch wahrgenommenen Zeiten nun einmal erfordern.
Jigsaw entspricht da durchaus seinem Zeitgeist, denn der ist von einem neuen Moralismus beseelt. Ein Moralismus allerdings, mit dem im Namen von was auch immer – Freiheit, Demokratie, selbst den in solchen Momenten gern herbeizitierten Menschenrechten – nahezu jede Gräueltat rechtfertigen kann. Ob man im Nahen Osten foltert oder auf Kuba ein außerhalb jeder Rechtsnorm stehendes Gefangenenlager unterhält, ob man ohne Anklage, Prozess und Verteidigung per Drohne tötet und dabei ab und an eben eine ganze Hochzeitsgesellschaft hops gehen lässt – all das ist mit einer Moral, die angeblich einem Wertesystem entspringt und eine vermeintlich gültige universale Weltordnung vertritt, zu erklären und zu entschuldigen. Daß uns, in deren Namen all dies geschieht, dabei jedwede moralische Rechtfertigung abhandenkommt, genau das spiegelt sich in Figuren wie John Doe und Jigsaw. Sie stehen für eine andere Zeit, in der die Dinge klarer waren und eindeutiger zugewiesen werden konnten.
Zu diesem Narrativ gehört auch, daß Jigsaw sich selbst keineswegs als Mörder wahrnimmt. Rein technisch erklärt er dies damit, daß seine Opfer immer eine Wahl hätten und durchaus in der Lage seien, schlimmes zu verhindern, moralisch und intellektuell ist es sein „Erziehungsprogramm“, das ihn als moralische Instanz ausweisen und über herkömmlich vulgäre Massenmörder erheben soll. Wirkten Michael Myers und Jason Vorhees gelegentlich wie Todesengel, die, der Hölle entsprungen, Elend und Verderbnis einer Plage gleich über ihre Opfer brachten, war Freddy Krueger gleich ein Dämon, der zu seiner bösen Seele steht, so tritt mit Jigsaw also ein Serienmörder auf, der das Kant´sche Diktum des sich selbst befreienden Subjekts erfüllt und sein Handeln zur Maxime erhebt. Er ist weder übernatürlich, noch als eindeutig „böse“ markiert, er wurde mit keiner oberflächlichen Biographie ausgestattet, um irgendwie seine Motive zu erklären. Nein, Jigsaws Tun ist das Ergebnis einer Überlegung, einer Analyse, ausgelöst durch die eigene Krebserkrankung und den dadurch veränderten Blick auf das eigene Leben. Das hat, keine Frage, eine neue Qualität und weiß der Figur des Slashers wirklich etwas Neues hinzuzufügen.
Ein anderes Konzept verfolgt Eli Roth in seinen HOSTEL-Filmen, die man wahrscheinlich nicht direkt dem Slasher-Genre zuordnen sollte, die aber bei genauerer Betrachtung eine ebenfalls originelle und vollkommen eigenständige Idee hervorbringen, die auch im Kontext der Slasher-Filme zu untersuchen sind. Denn hier gibt es keinen Einzeltäter, keinen verrückten Psycho, keinen maskierten Unhold, der in kannibalistischer Absicht seine Opfer erschlägt. Stattdessen bietet Roth das Konzept des Schlitzens gleich als Produkt an: Hier können sich ebenso gestresste wie reiche Geschäftsleute in einem in der Slowakei gelegenen altem Fabrikgebäude als Folterknechte und Henker üben. Lebe Deine Phantasien aus! Entdecke den Slasher in Dir! Was ein Jason Vorhees, zunächst in „seinem“ Gebiet um den Crystal Lake einfach tut: Morden, ist nun ein Geschäftsmodell, geordnet und nach funktionierenden Regeln gestaltet. So ist das Morden nicht mehr, wie in den herkömmlichen Slasher-Filmen, Folge einer Pathologie des einzelnen, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Zustands. Womit der Horrorfilm in gewisser Weise bei sich selbst angekommen ist: Wer oder was ist krank? Der einzelne in eben dieser Pathologie oder die Gesellschaft, in der er leben muß?
Klingt, als würden hier nun die wirklich aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurse mal richtig auf Trab gebracht? Klingt, als wollte ein Mann wie Eli Roth ernsthafte Kapitalismus-Kritik anbringen? Schön wär´s. Setzt man einmal voraus, daß es Wan und Roth mit den Hintergrundstories ihrer jeweiligen Filme ernst meinen, bliebe festzuhalten, daß ihnen genau das passiert, was gutgemeinten Anliegen oft passiert: In der Unverhältnismäßigkeit der Mittel geht jeder kritische Ansatz verloren, geht jedes ernsthafte Anliegen unter. Gnadenlos. Denn die Drastik der Bilder – man sollte diese Analyse nicht falsch verstehen, beide Filme sind hervorragend gemacht! – übertüncht jedwede gut gemeinte Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Die zugegeben wirklich originellen Foltermaschinen Marke Eigenbau, die Wan in SAW bietet, faszinieren, es sind Hingucker, und unser Wunsch, sie im Einsatz zu sehen, ist mindestens genauso groß, wie unsere Furcht, dessen wirklich ansichtig zu werden. Die Foltermethoden und Scvhreckens-Panoramen, die Roth in HOSTEL gewährt, scheinen den Bildern und Gedankenwelten eines Hieronymus Bosch entsprungen. In beiden Fällen merkt man den Filmen an, daß sie sich genau daran ergötzen. Die Schaulust, das Überwältigungsprinzip dieser Filme – und auch hier bitte nicht falsch verstehen: Gewalt auf der Leinwand darzustellen, ist nicht abzuwerten, es fragt sich nur, wie ehrlich oder unehrlich man dies tut – , ihre Lust an Sadismus und dem Betrachten der Leiden anderer, straft ihre angeblichen Anliegen lügen.
Ein Schicksal, das beide mit SRPSKI FILM (2010), berühmt-berüchtigt unter dem geläufigeren Titel A SERBIAN FILM, teilen. Dieses Werk, obwohl explizit kein Horrorfilm, sei hier deshalb als Referenz herangezogen, da an seinem Beispiel ein wesentlicher Unterschied zwischen Anliegen, deren Vermittlung schiefläuft, und Zynismus markiert werden kann. A SERBIAN FILM ist ungeheuer brutal, möglicherweise die Speerspitze dessen, was momentan auf der Leinwand möglich, aber nicht mehr erträglich ist. Ohne näher auf Inhalt und Stil eingehen zu wollen, kann man dem Film, der dem Titel entsprechend in Serbien spielt, eine ungeheure Wut anmerken, die seine Macher bewegt haben mag, zu immer krasseren visuellen Mitteln zu greifen – bis hin zur Vergewaltigung eines Neugeborenen – , um ihre Anliegen zu unterstreichen. Denn sie erzählen vom Einbruch des Kapitalismus in den Jahren nach der Wende in Ost-Europa, sie erzählen davon, wie ein Warenkreislauf entsteht, eine ökonomischer Inklusionsmaschine auf Hochtouren läuft und daß sich der einzelne dem nicht entziehen kann – ob er will oder nicht. Die gesellschaftlichen Kräfte, auch die Führer, die sich das neue System zunutze zu machen wussten, sind stärker und haben schlußendlich immer Mittel, denjenigen, der aus dem Kreislauf aussteigen will, wieder einzufangen und dazu zu bewegen, um nicht zu sagen: zu zwingen, sich unterzuordnen und die ihm zugedachten Aufgaben zu erfüllen.
Daß in diesem Film diese Thematik anhand eines extrem brutalisierten Porno- und Snuff-Movie-Geschäfts abgehandelt wird, ist vollkommen folgerichtig. Wie einst für einen hochpolitischen Filmemacher wie Jean-Luc Godard im intellektuellen Autoren-Film der 60er Jahre, steht Prostitution, das Geschäft mit dem Körper, dem Sex, auch hier symbolisch für einen entfesselten, den Menschen komplett in seinen Fängen haltenden Kapitalismus, in dem wirklich alles zur Ware wird: Körper, Kinder, Emotionen, das Leben an sich. Und es ist ein Kreislauf, in dem nahezu alles verwertbar ist. Die vielleicht erschreckendste Szene des ganzen Films ist dann tatsächlich eben keine der ultrabrutalen Gewaltdarstellungen, die zudem nahezu alle in einem sexuellen Kontext dargeboten werden, womit ihre Kompromisslosigkeit noch einmal unterstrichen wird, sondern vielmehr die abschließende Sequenz des Films. Die tote Familie der Hauptfigur und sie selbst liegen tot in ihrem Bett, ein Kamerateam betritt den Raum und beginnt damit, einen Film zu drehen, in welchem gezeigt wird, wie sich ein Laiendarsteller an den Leichen vergeht. Der Kapitalismus in der Lesart von A SERBIAN FILM ist nur noch reine Leichenfledderei.
Die Problematik besteht darin, daß all diese sicherlich klugen und weitreichenden Analysen, die dem Buch und der Regie – beides in den Händen von Srdjan Spasojević – zugrunde liegen und die eine brutalisierte Gesellschaft reflektieren, die ein Jahrzehnt des Krieges hinter sich hat, in all der Wut, dem Furor untergehen, die aus jedem dieser kaum auszuhaltenden Bilder auf den Betrachter einstürzen. Man wird beim Betrachten dieser Bilder den Eindruck einer unendlichen Verzweiflung nicht los, man kann sich ihnen nicht entziehen, aber man kann, vielleicht muß man sie ablehnen. Und sicherlich ist genau das eine noch halbwegs gesunde Reaktion, die zeigt, daß man noch nicht vollkommen in genau dem ökonomischen Kreislauf gefangen ist, den der Film so extrem ausstellt und kritisiert. Diese Bilder sind derart hart und von solcher Vehemenz, den Zuschauer zu schockieren, daß der früher oder später dicht macht gegenüber jedem vermeintlichen Anliegen, das sich hier noch so leise bemerkbar machen will.
Nehmen wir nun noch einmal an, daß James Wan und Eli Roth es bei SAW und HOSTEL mit ihren vermeintlich kritischen Anliegen ähnlich ernst gemeint haben könnten, müsste man ihnen bestenfalls attestieren, daß sie den gleichen Fehler machen, den Spasojević gemacht hat. Nur widerspricht das, was beide Filme dann reell bieten, jedweder ernsthaften Auseinandersetzung mit irgendwelchen tieferen Anliegen. SAW mag man zumindest – wie oben geschehen – zugutehalten, daß der Film sich ein moralisches Fundament bastelt, um letztlich einen neuen, interessanten Typ Slasher vorzustellen, sich aber nicht allzu sehr mit den tieferen Schichten der daraus resultierenden Gedanken beschäftigt, weil er sich letztlich innerhalb der Konventionen des Genres bewegt, ohne diese je wirklich zu überschreiten oder auszuweiten.
Doch HOSTEL ist derart durchdrungen von seinen Klischeebildern Osteuropas, in seiner Darstellung teils rassistisch, voller Vorurteile und derart manipulativ, daß dem Film jedwede ernsthafte Auseinandersetzung mit irgendetwas abzusprechen ist. Genau das macht einen Film wie HOSTEL eben zynisch. Man merkt, daß hier ein gegenwärtiger Diskurs aufgegriffen wird, um eine dünne Story zu ummanteln und sich damit bei einer gewissen Klientel anzubiedern. Damals waren dies eher linke Diskurse, wie u.a. eben die globale Ökonomie, das Finanzmarktwesen, die Hedgefonds und die berühmten „Heuschrecken“, die über die Finanzmärkte, manchmal aber auch über ganze Volkswirtschaften herfielen, um sich gnadenlos zu bereichern. Der „Markt“ hatte für einige schon mindestens Fetischcharakter, wenn nicht gar religiösen Charakter. An diese kritischen Diskurse versucht Roths Film anzudocken. Doch was er zeigt und wie er es zeigt, weisen in eine ganz andere Richtung. Denn die Gewaltpornographie, die dem Film – wie auch zuvor schon SAW – vorgeworfen wurde, bedient er allzu offensichtlich. Und gern.
Beide Filme – allerdings ist dies kein Alleinstellungsmerkmal, exakt die gleiche Diagnose kann man für alle Filme der neuen Welle harter Horror- und Terrorfilme treffen – sind geprägt von einer tiefsitzenden Lust an Sadismus. Das Zeigen von Quälereien und Folter wird vor allem in HOSTEL so sehr zum Selbstzweck, daß der Film einen tiefer sitzenden Ekel auslöst, als jenen, den er auszulösen hofft. Die Zerstörungen der Körper in diesem Film sind unerträglich und doch nichts, was man, mag man das Genre und seine Unterabteilungen, nicht irgendwo schon einmal gesehen hätte. Teils in Filmen von Fulci und sogar bei Pasolini, Filmen, die über zwanzig Jahre zuvor entstanden sind. Nein, es ist die so offenkundige Manipulation selbst, die dieser Film betreibt, die Behauptung, etwas anderes zu sein, als was es ist, die Ekel auslöst.
Sicher, geht man ins Kino, gibt es ungeschriebene Verträge zwischen dem Film und dem Zuschauer: Ich muß mich einlassen, dafür gibt sich ein Film die Mühe, das Beste aus dem zu machen, was er zu bieten hat. Schaue ich mir einen Horrorfilm an, habe ich im Vertrag stehen, daß ich mich auf die Sache einlasse, dafür aber eben auch geboten bekomme, was ich erwarte. Und dazu darf ruhig gehören, daß ich mich gehörig erschrecke. Es ist aber etwas anderes, wenn mir ein Film ununterbrochen vermittelt, einen geheimen Pakt mit mir eingehen zu wollen, an den gängigen Regeln vorbei. Und dieser Pakt appelliert an die niedersten Instinkte. Mir wird angeboten, noch das letzte (visuelle) Tabu zu brechen, dafür soll ich dem Film aber zugestehen, daß er seine Schwächen verdeckt und mich anlügt. Denn der Film bricht dann gar keine Tabus, sondern er übersteigert Bekanntes bis ins Groteske und hängt dem ganzen einen Diskurs um, der mir weismachen soll, es hier mit etwas Subtilem zu tun zu haben.
Es ist vielleicht die Ehrlichkeit, die Filme wie NIGHT OF THE LIVING DEAD, THE TEXAS CHAINSAW MASSACRE, HALLOWEEN oder FRIDAY THE 13TH auch zu dem hat werden lassen, was sie heute sind: Kultobjekte, denen immer noch große Verehrung entgegengebracht wird. Sie machen dem Publikum nie etwas vor, sie sind direkt, sie kommen auf den Punkt, what you see is what you get. Natürlich wurde auch ihnen Gewaltverherrlichung, Frauenfeindlichkeit und Verrohung des Zuschauers vorgeworfen. Es wurde weiter oben genauer darüber berichtet. Vielleicht liegt das in der Natur der Sache, daß, wer in einer bestimmten Generation aufgewachsen ist, skeptisch auf die Nachfolger blickt. Dennoch scheinen gerade heute einige Zweige des Horrorfilms bedenkliche Wege einzuschlagen. Darüber kann man nun klagen – oder sich freuen, daß es derart viele Verästelungen gibt, vom Gruselfilm bis zum Hardcore-Splatter alles dabei ist. Und auch das klassische Slasher-Movie feiert eben gelegentlich fröhliche Urständ´.
Adam Green feierte in HATCHET (2007) seine Vorbilder ungeniert und führte mit Victor Crowley einen weiteren Slasher ein, der sich zwar nur unwesentlich von seinen Verwandten unterscheidet, das aber auch im Zweifel gar nicht will. Greens Film ist eine Hommage und spielt genüsslich alle Regeln des Genres durch. Selbst seine Spezialeffekte – durchaus drastischer Natur – wirken wie jene aus den lang vergangenen Zeiten. Und überzeugen dennoch. Zudem bietet der Film eine gute Prise Humor, was die Angelegenheit erträglich macht. Insgesamt vier Fortsetzungen zeugen davon, daß der Serienmörder nach wie vor Anziehungspotential hat.
Aber gerade eine Serie wie HATCHET beweist auch, was am Ende aller Verwertungsketten kommt: Reproduktion. Green bemüht sich eben, seinen Film genau wie einen zeitgenössischen Slasher-Film der 80er Jahre aussehen zu lassen, was erneut einen Zirkel vollendet. Bauten SCREAM und auch SAW noch auf den Vorgängern auf und wollten den Blick erweitern, etwas entwickeln, will HATCHET genau das nicht mehr. Er ergeht sich in der Geste einer tiefen Verbeugung und versucht, etwas wieder herzustellen, das vorbei und vergangen ist – allein schon, weil es analog war, eine Zeit, in der man das Blut, das Gekröse, die Knochen, die dem Publikum um die Ohren fliegen sollten, in Handarbeit herstellen und sich etwas einfallen lassen musste, damit das, was man da bot, überzeugte. Daß das nicht allen gelungen ist, kann man anhand etlicher Ableger des Slasher-Movies, aber auch anderer Subgenres, durch all die Jahre hindurch beobachten. Und erstaunlicherweise findet man ab und an immer noch ein Kleinod, das man völlig vergessen oder tatsächlich übersehen hatte. Denn wo sehr viel Asche liegt, findet sich ab und an auch ein Diamant.
[1] Hier sei, eher nebenbei, angemerkt, daß sie auch von etwas anderem künden, ebenfalls etwas Zukünftigem: Hitchcocks Nachfolgefilm THE BIRDS (1963) nämlich sollte das uns so fremde Wesen der Vögel nutzen, um Angst und Schrecken zu verbreiten.